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Neuwahlen Kommentar zum Ampel-Aus: Erst das Land, dann die Partei

Die Ampel-Koalition ist am Ende, Deutschland braucht Stabilität. MZ-Kommentator Kai Gauselmann fordert rasche Neuwahlen in Deutschland.

Aktualisiert: 07.11.2024, 12:01
MZ-Kommentator Kai Gauselmann
MZ-Kommentator Kai Gauselmann Foto: MZ / Stedtler

Puh, was für eine Woche. Man hat noch nicht einmal die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten verdaut, schon schlittert Deutschland nahtlos in eine Regierungskrise. Es war zwar zu erwarten, dass die Ampel-Koalition nicht bis zum September kommenden Jahres durchhält. Zeitpunkt und Vehemenz der Ampel-Trennung sind dann aber doch überraschend.

Mit solcher Führungsstärke wäre es nicht so weit gekommen

Entschlossen, klar, kämpferisch: So wie am Mittwochabend hat man Olaf Scholz (SPD) selten erlebt. In seiner Amtszeit eigentlich nur in der Zeitenwende-Rede im Bundestag nach dem russischen Überfall auf die Ukraine. Wenn der 66-Jährige diese Führungsstärke früher und öfter an den Tag gelegt hätte, wäre es sicher nicht so weit gekommen. Und der Republik wäre der monatelange Ampel-Dauerzoff erspart geblieben.

Kanzler Olaf Scholz (SPD) hat sich selten so kämpferisch gezeigt.
Kanzler Olaf Scholz (SPD) hat sich selten so kämpferisch gezeigt.
Foto: AP

Wie bei jeder schmutzigen Scheidung verschwenden Vertreter von SPD, Grünen und FDP jetzt Zeit und Energie auf die Frage, wer Schuld am Aus ist. Scholz hat bei diesem „Blame Game“ mächtig vorgelegt, FDP-Chef und Ex-Finanzminister Christian Lindner hat sich im Anschluss bemüht, gegenzuhalten. Robert Habeck (Grüne) hat sich eher zurückgenommen. Da kann man jetzt Haltungsnoten verteilen und sich jeder überlegen, wem man eher glaubt. Im Grunde ist das aber nur eine schale Fortsetzung der Ampel-Streitigkeiten. Die Berliner Polit-Blase wird sich ausgiebig damit beschäftigen, aber im Grunde ist das nur für Parteimitglieder interessant.

Wie kommt das Land durch diese Krise?

In Europa wütet ein Krieg, die Wirtschaft lahmt, das politische System steht durch Rechtspopulisten unter Druck und niemand weiß, wie sich die Wahl Trumps auswirken wird: Die Bundesrepublik steht ökonomisch, sicherheitspolitisch und als Demokratie vor riesigen Herausforderungen. Normale Bürger interessieren sich jetzt, in dieser schweren Krise, weniger dafür, wer jetzt wann was gesagt und getan hat. Jetzt ist vor allem eines wichtig: Wie kommt das Land durch die Krise, wie geht es weiter?

Lesen Sie auch: Umfrage: Ist das Ampel-Aus die richtige Entscheidung für Deutschland?

Hat jetzt eine Schlüsselrolle: Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU)
Hat jetzt eine Schlüsselrolle: Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU)
Foto: IMAGO/Chris Emil Janßen

Dazu hat Bundeskanzler Scholz noch am Mittwochabend einen guten Weg skizziert: Bis Jahresende wichtige Vorhaben und vor allem den Bundeshaushalt 2025 auf den Weg bringen, möglichst mit Hilfe der Union. Und dann im Januar den Bundestag abstimmen lassen, ob es vorgezogene Neuwahlen geben soll. So kann die Republik stabilisiert werden. Aber es sollte dann auch Neuwahlen geben und nicht eine weitere monatelange Hängepartie, in der während des regulär aufziehenden Bundestagswahlkampfs eine Minderheitsregierung aus SPD und Grünen ohnehin keine Vorhaben mehr durch das Parlament bringen könnte.

Den Autor erreichen Sie unter: [email protected]

Es wird jetzt auf die Union ankommen. Darauf, ob Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) der Versuchung widerstehen kann, Scholz zu beschädigen, indem er sich diesem Weg entzieht, auf sofortige Neuwahlen mit einer bis dahin handlungsunfähigen Regierung besteht und dafür in Kauf nimmt, dass sich diese Regierungskrise verschlimmert. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat sich mit Merz bereits zuvor am Mittwoch über „die aktuelle Lage ausgetauscht“, wie es hieß.

Man darf davon ausgehen, dass er dabei vor allem ausgelotet hat, ob die Union aus staatspolitischer Verantwortung zur Kooperation bereit ist. Deutschland ist in diese Regierungskrise geschlittert wegen der Eitelkeit von Spitzenpolitikern und ideologischen Vorbehalten ihrer Parteien. Die Republik wird diese Krise nur unbeschadet bewältigen, wenn sich genügend verantwortungsbewusste Politiker finden, die die richtige Reihenfolge kennen: Zuerst das Land, dann die Partei, dann die Person.