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Zum 100. Geburtstag von Marieluise Fleißer Zum 100. Geburtstag von Marieluise Fleißer: Geschmäht und gefeiert

19.11.2001, 10:22
Marieluise Fleißer (Archivbild)
Marieluise Fleißer (Archivbild) dpa

Ingolstadt/dpa. - Ihren späten Ruhm hat die SchriftstellerinMarieluise Fleißer nur noch schwach aufleuchten sehen. Dagegen warihr Dichterleben in der Provinz von tiefen Enttäuschungen geprägt.Gleichwohl hat die Kaufmannstochter aus Ingolstadt ihreoberbayerische Heimat immer geliebt. «Eine kleine Stadt ist etwasZauberhaftes, wenn sich der Kreislauf in die Natur hinaus öffnet unddie Enge plötzlich Landschaft und vielfältige Weite wird», schriebdie Dramatikerin, die am Freitag (23. November) 100 Jahre altgeworden wäre und heute als eine der großen Frauengestalten derdeutschen Literaturgeschichte im 20. Jahrhundert gilt.

Die Werke der «Fleißerin», wie Bertolt Brecht sie genannt hat,erlebten auf den deutschen Bühnen erst Mitte der 60er Jahre eineRenaissance. Junge Autoren und Filmemacher wie Rainer WernerFassbinder, Franz Xaver Kroetz oder Martin Sperr sahen in ihr einVorbild und förderten die Wiederentdeckung ihrer Stücke. Fassbinderwidmete ihr 1970 seinen Film «Katzelmacher», und Kroetz sagteeinmal: «Ich glaube nicht, dass ich ohne die Fleißer-Wiederentdeckung bekannt geworden wäre.» Auch Herbert Achternbuschlobte auf seine Art: «Die hat schreibn können, anders als derBrecht. Der hat ja immer Denkn und Schreibn verwechselt.»

Doch bevor ihre «Sprachkraft», wie es der einflussreiche BerlinerTheaterkritiker Alfred Kerr einmal formulierte, unbestrittenleuchten konnte, musste Marieluise Fleißer fast bis zu ihrem Todwarten. Sie starb am 2. Februar 1974 im Alter von 72 Jahren in einemKrankenhaus in ihrer Geburtsstadt, wo sie 60 Jahre ihre Lebensverbrachte. Dabei hatten die ersten tastenden Schreibversuche derKlosterschülerin und Studentin der Theaterwissenschaften unter einemglücklichen Stern gestanden. In Lion Feuchtwanger, den sie auf einemder legendären Münchner Faschingsbälle kennen lernte, fand sie einenverständigen Freund und Förderer.

Feuchtwanger war es auch, der dem «begabten Frauenzimmer» (Kerr)den Weg zu dem damals schon berühmten Brecht ebnete. Unter demEinfluss des Augsburgers erregte sie in Berlin Aufsehen, schriebErzählungen und einen Roman, doch für den eigentlichen Skandalsorgte Brecht selbst. Er hob ihr Stück «Die Pioniere von Ingolstadt»1929 nicht nur auf die Bühne des Berliner Schiffbauerdamm-Theaters,sondern verschärfte es auch noch. Die Autorin sah darin einenvorbereiteten Theaterskandal mit politischem Hintergrund. Zuhausehabe man von einem «gemeinen Schmäh- und Schandstück» gesprochen,der Vater ihr Hausverbot erteilt und Brecht habe triumphiert,erinnerte sich die Autorin.

Marieluise Fleißer rechtfertigte sich in einem Brief aus Berlinan den Oberbürgermeister mit den Worten: «Warum ich ein Stück überIngolstadt schrieb? Weil ich in Gottesnamen die Menschen da untenmit ihren tausend Schwierigkeiten liebe.» Nach dem Vorfall brach siemit Brecht und kehrte 1932 nach Ingolstadt zurück. Sie heiratete denJugendfreund und Tabakwarenhändler Bepp Haindl, der sie jedoch gegeneine Absprache zur Mitarbeit im Geschäft zwang. Die Nazis erteiltenihr zudem Schreibverbot, ihre Werke wurden als «Schmutz- undSchundliteratur» geächtet. Erst nach dem Krieg hörte man wiederetwas von der Autorin. Und wieder war es Brecht, der dieUraufführung ihres neuen Stücks «Der starke Stamm» an den MünchnerKammerspielen durchsetzte.

So zurückhaltend die Schriftstellerin in der Öffentlichkeit war,in ihren Werken liebte sie es deutlich und direkt. Sie schrieb überdie Gefühlskälte der Männer und schilderte Liebesaffären. «Die warsehr mutig und offen», sagte Ingrid Eiden, die im IngolstädterStadtarchiv den Nachlass der Dichterin verwaltet, «sie hat die Dingeimmer schonungslos beim Namen genannt.» Deswegen werde der Autorinnoch immer vorgeworfen, sie habe ihre Heimat verunglimpft, erzähltdie Bibliothekarin. «Noch heute gibt es Lehrer, die sagen, man kanndiesen Stoff nicht im Unterricht behandeln.»