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WM-Historie: Schweiz 1954 WM-Historie: Schweiz 1954: «Deutschland ist Weltmeister»

Von Ines Bellinger und Andreas Bellinger 06.02.2006, 18:32
Bundestrainer Sepp Herberger (vorn links) schaut seinen im Siegesjubel zu den Zuschauern rennenden Spielern nach, (r-l) Max Morlock (angeschnitten), Hans Schäfer, Fritz Walter (Nr. 16), Werner Liebrich, Ottmar Walter, Horst Eckel (hinten), Werner Mai, Werner Kohlmeyer, Siegtorschütze Helmut Rahn sowie Mannschaftsarzt und Masseur. (Foto: dpa)
Bundestrainer Sepp Herberger (vorn links) schaut seinen im Siegesjubel zu den Zuschauern rennenden Spielern nach, (r-l) Max Morlock (angeschnitten), Hans Schäfer, Fritz Walter (Nr. 16), Werner Liebrich, Ottmar Walter, Horst Eckel (hinten), Werner Mai, Werner Kohlmeyer, Siegtorschütze Helmut Rahn sowie Mannschaftsarzt und Masseur. (Foto: dpa) dpa

Hamburg/dpa. - «Halten Sie mich fürverrückt, halten sie mich für übergeschnappt», rief er ins Mikrofonund hielt wie die Hörer den Atem an. Viereinhalb Minuten lang, bisder dramatische Schlussspurt der «Wunderelf» aus Ungarn überstandenwar und Zimmermann sein legendäres «Aus! Aus! Aus! Aus! Aus! DasSpiel ist aus! Deutschland ist Weltmeister, schlägt Ungarn mit drei zu zwei im Finale von Bern!» schreien konnte.

In Nachkriegsdeutschland elektrisierte Zimmermanns legendäreReportage die Massen. Neun Jahre nach dem Ende des ZweitenWeltkrieges durften die Deutschen zurück auf die Weltbühne desFußballs und sorgten mit ihrem unerschütterlichen Auftreten dafür,dass ein Ruck durch das von der Kriegsschuld gezeichnete Land ging.

Es gab damals nur etwa 20 000 Fernseher in Deutschland, und dieMenschen drängten sich während des Endspiels vor den Radiogeräten.Später wurde sogar die Fernsehübertragung mit Zimmermanns Live-Kommentar unterlegt, das Zeitdokument auf Schallplatte und CDgepresst. In zahlreichen Büchern wird jede Facette des erstendeutschen Titelgewinns beleuchtet, bis hin zu nie bestätigtenDopingvorwürfen der Ungarn. Mit seinem Kassenschlager «Das Wunder vonBern» sorgte Regisseur Sönke Wortmann noch fast 50 Jahre später indeutschen Kinos für Gänsehaut-Atmosphäre.

Die Rollen waren klar verteilt an diesem verregneten Nachmittag imBerner Wankdorf-Stadion. Was wollten die biederen deutschen Fußball-Handwerker gegen die Jahrhundert-Elf der Magyaren mit Ferenc Puskas,Sandor Kocsis, Nandor Hidegkuti, Zoltan Czibor oder Gyula Lorantausrichten? Die Lage schien aussichtslos, zumal es nach demerfolgreichen Auftakt gegen die Türkei (4:1) im Gruppenspiel gegenUngarn ein 3:8 gegeben hatte.

Die Vorrunden-Partie am 20. Juni in Basel gegen den Olympiasieger,der in 31 Spielen nacheinander und über vier Jahre hinwegungeschlagen geblieben war, zählte für Bundestrainer Sepp Herbergernicht wirklich. Bis heute ist es die höchste Pleite einer deutschenFußball-Nationalmannschaft, die als erstes Team trotz einerNiederlage Weltmeister wurde. Mit einer Notelf angetreten, hatteHerberger dem Gegner den standesgemäßen Sieg geschenkt.

Noch freilich konnte er nur hoffen, dass sich der nie als solcherzugegebene Bluff auch auszahlen würde. Mit besonderen Methoden hatteder «Chef» schon im Trainingslager den Grundstein gelegt. «Der Geistvon Spiez» wird noch heute zitiert. Fünf Wochen hatte Herberger seinTeam kaserniert: vierzehn Tage in München-Grünwald, danach am ThunerSee. Immer friedlich war es zwar nicht, aber Fritz Walter, HelmutRahn, Horst Eckel, Anton «Toni» Turek oder Werner Liebrich wurden zueiner verschworenen Gemeinschaft.

Herberger vertraute vor allem auf den Lauterer Block um FritzWalter, der sein «verlängerter Arm» auf dem Platz war und seineLoyalität bisweilen so übertrieb, dass er den WM-Pokal dem «Chef» alsErstem übergeben wollte. Der Kapitän, der mit einem Tor in Norwegendas Aus schon in der WM-Qualifikation verhindert hatte, war Dreh- undAngelpunkt in den Plänen des Bundestrainers. Herberger wollte alsGruppen-Zweiter hinter Ungarn, aber vor der Türkei und Südkorea, insViertelfinale einziehen. Denn dann könnte man gegen Ungarn verlieren.Überdies schienen die Gegner in der K.o.-Runde für den Gruppenzweitenleichter zu sein als die für den Ersten.

Die Rechnung ging auf. Deutschland siegte im Viertelfinale nacheiner einzigartigen Abwehrschlacht dank des überragenden TorwartsTurek 2:0 gegen das mit Zlatko «Tschik» Cajkovski und Branko Zebecangetretene Jugoslawien. Durch einen unverhofft hohen 6:1-Erfolg imHalbfinale gegen Österreich war das Endspiel der mit 140 Treffern in26 Spielen noch immer torreichsten WM erreicht. Ungarn hatte imViertelfinale gegen Brasilien (4:2) und im «vorweggenommenenEndspiel» gegen Titelverteidiger Uruguay (4:2 nach Verlängerung) dieungleich höheren Hürden zu überwinden.

30 000 deutsche Schlachtenbummler sorgten dann im Finale für dieAtmosphäre eines Heimspiels. Auch der strömende Regen, das sogenannte Fritz-Walter-Wetter, kam dem Außenseiter zu Hilfe. DassUngarns Regisseur Ferenc Puskas trotz einer Knöchelverletzungspielte, sollte sich als dritter Pluspunkt erweisen, auch wenn esnach neun Minuten schon 2:0 für den Topfavoriten stand. DochMorlock=- förmlich mit dem großen Zeh drückte er einen Rahn-Pass überdie Linie - und der «Boss», Helmut Rahn, glichen nach 18 Minuten aus.Es folgte die 84. Minute, die das von Zimmermann legendärgeschilderte 3:2 brachte und den Mythos vom «Wunder von Bern»begründete.