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WM-Historie: Italien 1990 WM-Historie: Italien 1990: «Kaiser-Krönung» und Revanche gegen Argentinien

Von Ines Bellinger und Andreas Bellinger 10.04.2006, 14:21
ARCHIV - Franz Beckenbauer feiert am 08.07.1990 im Olympiastadion von Rom als Trainer der deutschen Fußballnationalmannschaft im Kreise der Spieler den eroberten Weltmeistertitel. Deutschland hatte Argentinien im Finale mit 1:0 bezwungen. (Foto: dpa)
ARCHIV - Franz Beckenbauer feiert am 08.07.1990 im Olympiastadion von Rom als Trainer der deutschen Fußballnationalmannschaft im Kreise der Spieler den eroberten Weltmeistertitel. Deutschland hatte Argentinien im Finale mit 1:0 bezwungen. (Foto: dpa) dpa

Hamburg/dpa. - Die Spieler auf der Ehrenrundekreisten um ihn wie die Gedanken nach dem 1:0-Triumph im Finale derFußball-Weltmeisterschaft 1990 gegen Titelverteidiger Argentinien.«Ich wusste: Nur hier finde ich Ruhe, nur hier kann ich über allesnachdenken, was mir in diesem einmaligen Moment durch den Kopfschwirrte», erzählte Franz Beckenbauer später über seine «Kaiser-Krönung». Dem WM-Titel als Spieler (1974) hatte er am 8. Juli 1990den als Teamchef folgen lassen. Das schaffte außer ihm nur MarioZagallo mit Brasilien.

Im Jahr vor der Endrunde vom 8. Juni bis 8. Juli 1990 hatteBeckenbauer die Trainerlizenz bekommen - ehrenhalber. Auch ohnejemals die Schulbank gedrückt zu haben, zeigte sich schon im erstenSpiel, was er der Mannschaft zu geben im Stande war. Hervorragendeingestellt, feierte das Team um den überragenden Kapitän LotharMatthäus mit dem 4:1 gegen Jugoslawien den besten Turnierauftakt nach1974.

Es folgte das 5:1 gegen die Vereinigten Arabischen Emirate, dochzum Abschluss der Vorrunde trübte das 1:1 gegen Kolumbien das Bild.Die Partie gegen die Südamerikaner, die in dem löwenmähnigen CarlosValderrama einen Fußballer hatten, der auch als SchauspielerWeltklasse war, erschien nur mehr als Pflichtaufgabe. Doch TorschützePierre Littbarski warnte die Kollegen: «Wir sind noch lange keinWeltmeister; dafür haben wir zu viele Fehler gemacht.»

Beckenbauer war froh, die Favoritenbürde los zu sein. Vor demAchtelfinale gegen Europameister Niederlande stachelte er seine Jungsan: «Bei der EM haben wir gegen die Holländer verloren; in der WM-Qualifikation zwei Mal unentschieden gespielt. Jetzt sind wir miteinem Sieg dran.» Doch auch «Oranje»-Kapitän Ruud Gullit waroptimistisch: «Die Deutschen inspirieren uns. Gegen die haben wirimmer besonders gute Laune.»

Frank Rijkaard war ganz und gar übellaunig - und erlebte die 1:2-Niederlage zum Schluss nur noch als Zuschauer. Erst beharkte er RudiVöller mit unfairen Mitteln, dann bespuckte er den deutschen Stürmerund sah dafür die Rote Karte (22.). Warum der argentinischeSchiedsrichter Juan Loustau den sich zu Recht echauffierenden Völlerebenfalls vom Platz stellte, verstand niemand. Trotzdem blieb derMittelstürmer fürs Viertelfinale gegen die CSSR (1:0) gesperrt. Mit10 gegen 10 bot sich Deutschen und Niederländern nach dem peinlichenZwischenfall viel Platz. Es entwickelte sich ein Topspiel, dasBeckenbauer schwärmen ließ: «Wir können uns nur selber schlagen.»

Eine gewagte These, wie sich in den dramatischen Halbfinalspielenzeigen sollte. Nach 90 Minuten war nichts entschieden, nach 120 auchnicht. Sowohl in der Partie im Turiner Stadio Delle Alpi zwischenDeutschland und England als auch im Stadio San Paolo in Neapelzwischen Argentinien und Italien stand es 1:1. Im Elfmeterschießenwaren die Engländer (3:4) und Italiener (3:4) die Pechvögel.«Spannender kann Fußball nicht sein», meinte Beckenbauer nach demZitterspiel, in dem Torwart Bodo Illgner mit dem gehaltenen Elfmetergegen Stuart Pearce zum Helden wurde.

Die «Tifosi» waren nach dem Elfmeter-Drama tief getroffen. AuchPlatz drei durch ein 2:1 gegen England und die Torjägerkrone für denSizilianer Salvatore «Toto» Schillaci (sechs Treffer) konnte sienicht trösten. Ausgerechnet Diego Armando Maradona, der beim SSCNeapel seine Millionen verdiente, verwandelte den entscheidendenElfmeter zum 4:3, bevor Argentiniens Keeper Sergio Goycoechea denVersuch von Aldo Serena abwehrte.

Erstmals in der 60-jährigen WM-Geschichte trafen zwei Länder zumzweiten Mal im Finale aufeinander: Argentinien und Deutschland in derNeuauflage des 86er Endspiels. Argentinien hatte sich zum Auftaktgegen Kamerun mit 0:1 blamiert. Alle Welt dachte an einZufallsprodukt von «Afrikas Löwen». Doch der von seinemStaatspräsidenten reaktivierte Roger Milla führte dasÜberraschungsteam ins Viertelfinale und tanzte ungeachtet seiner 38Lenze eine Eckfahnen-Samba nach der anderen.

Sogar das Halbfinale gegen Deutschland war greifbar nahe, bis GaryLineker Kamerun aus allen Träumen riss und England zum 3:2 nachVerlängerung führte. Die Fußball-Welt war traurig, und Superstar Peletröstete: «Für mich seid ihr die wahren Weltmeister.» Das Urteil überseine Brasilianer nach dem 0:1 im Achtelfinale gegen Argentinien fielweniger schmeichelhaft aus: «Das war eine spielerische Schande.»

Vor dem Revanche-Finale gegen Argentinien meinte Beckenbauer:«Jetzt sind wir dran.» Sicher wie er waren sich auch 97,2 Prozent derBundesbürger. Tatsächlich gelang den ohne vier Gelb-gesperrteStammspieler angetretenen Südamerikanern, bei denen überdies PedroMonzon und Gustavo Dezotti vom Platz flogen, im Endspiel gar nichts.Auch Maradona, vier Jahre zuvor noch der gefeierte Superstar, bekamkeinen Stich gegen den großartigen Guido Buchwald, der sich damit denSpitznamen «Diego» verdiente.

Andreas Brehmes Elfmeter-Tor fünf Minuten vor Schluss war eine«Konzessionsentscheidung», wie es Pierre Littbarski treffendbeschrieb, doch der Pfiff nach Rudi Völlers Sturz im Strafraumbesiegelte einen gerechten Sieg. Deutschland zog mit dem drittenTitel nach 1954 und 1974 mit Italien und Brasilien gleich. Der«Kaiser» trat zurück. Nach 66 Spielen mit 36 Siegen, 17 Unentschiedenund 13 Niederlagen bei 107:61 Toren übernahm sein Assistent BertiVogts die Nationalmannschaft.