Weihnachten Weihnachten: Hochsaison für Marzipan
Lübeck/dpa. - Die Stimmen der beiden Kinder in der LübeckerFußgängerzone sind glockenhell: «Schneeflöckchen, Weißröckchen, wannkommst du geschneit», trällern sie - nicht zuletzt, um möglichstviele Passanten zu motivieren, den einen oder anderen Euro in dierote Mütze zu ihren Füßen zu werfen. Doch irgendetwas passt da nicht.Man braucht kurze Zeit, um es herauszuhören: Richtig, da mischt sicheine konkurrierende Melodie ein - «Süßer die Glocken nie klingen».Das muss der Drehorgelspieler einige Meter weiter sein. Und gleichum die Ecke gibt der nächste Freizeitmusikant Besinnliches mitGitarrenbegleitung zum Besten. Weihnachtlichen Klängen ist in Lübeckim Dezember nicht zu entkommen.
Wer das nicht mag, muss um die Hansestadt dann einen weiten Bogenmachen. Aber das scheint eine Minderheit zu sein. Denn gerade imAdvent, wenn zwischen Marienkirche, Rathaus und Lübecker Dom dieLichterketten glühen, ist die «Königin der Hanse» bei Städtetouristenbesonders beliebt. «Wir haben dann Hochsaison», sagt Doris AnnetteSchütz vom Lübeck und Travemünde Tourist-Service. Tatsächlich ist dieHansestadt dann auch besonders schön.
Weihnachtsmärkte gibt es in jeder größeren Stadt, die meisten sindeine Mischung aus Kommerz und Kunstschnee. Das ist in Lübeck anders:Hier passen die weihnachtlichen Stände perfekt zur Backsteinfassadedes Heiligen-Geist-Hospitals und die Lichterkette auf dem Tannenbaumzur Atmosphäre auf dem Rathausmarkt. Sogar das Riesenrad auf demKoberg fällt in der Vorweihnachtszeit nicht aus dem Rahmen.
Genau genommen hat Lübeck gar keinen Weihnachtsmarkt - Lübeck istein Weihnachtsmarkt. Besucher können zwischen dem 27. November undHeiligabend in der Altstadt an fast jeder Ecke Lebkuchen knabbernoder Punsch trinken. In der St.-Petri-Kirche ist in der AdventszeitKunsthandwerkermarkt, und das ist nur einer von zweien: Das Pendantdazu macht den Abstecher zum Heiligen-Geist-Hospital vom 1. bis 11.Dezember noch lohnender.
Im Advent hat auch das Marzipan Hochsaison, das zu Lübeck gehörtwie das Holstentor. Angeblich hat es ein Konditormeister erfunden,als in Hungerszeiten nichts als Mandeln und Zucker zur Hand waren.Aber das ist eine Legende: Marzipan stammt nicht aus Lübeck, sondernaus dem Orient und kam erst Ende des Mittelalters mit Kaufleuten überVenedig in den Norden Deutschlands. Heute allerdings ist das LübeckerMarzipan weit über die Grenzen der Stadt berühmt und als Mitbringselbegehrt - nicht zuletzt das von Niederegger in der Breiten Straße.
Das traditionsreiche Familienunternehmen ist gerade 200 Jahre altgeworden. Das süße Sortiment ist breit gefächert, und zu Weihnachtengibt es sogar noch mehr als sonst ohnehin: Vom letzten Donnerstag vordem 1. Advent bis Weihnachten werden beim «Weihnachtsbasar»ungewöhnliche Kreationen vorgestellt. Zur Geschichte der Süßigkeitaus Mandelmus gibt es eine Ausstellung. Und auch die Frage nach derHerstellung des Marzipans wird in der Breiten Straße beantwortet.
Eng verbunden mit Lübeck ist der Literaturnobelpreisträger ThomasMann. «Buddenbrooks», der Roman, für den er den Preis 1929 bekam,spielt in der Hansestadt - auch wenn sie darin nicht ein einziges Malgenannt wird. Thomas Mann hat im Roman auch beschrieben, wie FamilieBuddenbrook Weihnachten feiert: Ein überdimensionaler Tannenbaum,geschmückt mit großen Blüten weißer Lilien, viel Lametta und einemgoldenen Engel auf der Spitze, gehörte unbedingt dazu.
«Weihnachten bei Buddenbrooks» lässt sich auch heute noch erleben:im Buddenbrookhaus, Mengstraße 4, in dem einst Thomas MannsGroßeltern lebten. Dort gibt es in der Adventszeit regelmäßigVeranstaltungen unter diesem Titel. «Das Obergeschoss desBuddenbrookhauses ist ein begehbarer Roman», sagt Heide Aumann, dieBesucher auch auf literarischen Stadtführungen durch Lübeckbegleitet. «Dort wird im Landschaftszimmer dann alles so gestaltet,wie in der Weihnachtsszene der Buddenbrooks beschrieben.»
Und wer das alles noch einmal nachlesen möchte: Auf Paketanhängernist notiert, auf welchen Seiten sich die Szenen wiederfinden. Nocheindrucksvoller ist es aber, Jan Bovensiepen zuzuhören, wenn er dasWeihnachtskapitel vorliest. Das macht der Mitarbeiter des Heinrich-und Thomas-Mann-Zentrums gekonnt und routiniert im Untergeschoss desBuddenbrookhauses. Seine sonore Stimme füllt dann den Raum. Über sichhaben die Gäste das Kreuzgewölbe aus Backsteinen, vor sich Marzipan,Tee und Gebäck. Wem dann nicht weihnachtlich zumute wird, dem istwirklich nicht mehr zu helfen.
Besinnliches zur Weihnachtszeit ist nicht gerade das Spezialgebietvon Günter Grass. Doch das sollte kein Grund sein, sich nicht auchmit Lübecks zweitem Literaturnobelpreisträger zu beschäftigen. Er istzwar in Danzig und nicht in Lübeck geboren, wohnt aber seit langemunweit der Hansestadt.
Das Günter-Grass-Haus in der Glockengießerstraße zählt zu Lübecksjüngsten Attraktionen. «Es beschäftigt sich nicht nur mit Literatur,sondern ausdrücklich mit Mehrfachbegabungen», sagt Leiter KaiArtinger. «Grass selbst hat ja als Bildhauer angefangen. Zeichnen undSchreiben sind bei ihm eng verknüpft.» Und deshalb sind in den neuenAusstellungsräumen viele Bleistift- und Tuschezeichnungen zu sehen,aber auch Druckgrafiken - oft Motive, die aus den Büchern des Autorsbekannt sind, aus dem «Butt» etwa.
Anders als Thomas Mann hat Grass Lübeck noch keinen Romangewidmet. Da müssen sich Besucher auch künftig an die «Buddenbrooks»halten, deren Spuren man fast durch die ganze Stadt folgen kann. Obzu Hanno Buddenbrooks Zeiten schon Kinder mit Schmelz in der Stimme«Schneeflöckchen, Weißröckchen» geträllert haben, um ihr Taschengeldaufzubessern, ist bei Thomas Mann zwar nicht überliefert - dieDrehorgelmänner gehörten aber auch in den «Buddenbrooks» schon zumLübecker Vorweihnachtsrepertoire.
Informationen: Lübeck und Travemünde Tourist-Service,Holstentorplatz 1 (Hotline: 01805/88 22 33 für 12 Cent pro Minute,E-Mail: [email protected], Internet:www.luebeck-tourismus.de, www.luebecker-weihnachtsmarkt.de).
SERVICE-KASTEN: Weihnachtszeit in Lübeck im Überblick
Die Weihnachtsmärkte am Rathaus und auf dem Koberg sind vom 27.November bis 23. Dezember von 11.00 bis 21.00 Uhr geöffnet, der inder Breiten Straße zu den gleichen Terminen jeweils bis 19.30 Uhr.
Die St.-Petri-Kirche öffnet vom 29. November bis 17. Dezember von10.30 bis 18.30 Uhr ihre Türen für den Kunsthandwerkermarkt.
Der Kunsthandwerker-Weihnachtsmarkt im Heiligen-Geist-Hospitalkann vom 1. bis 11. Dezember zwischen 10.30 und 18.30 Uhr besuchtwerden.
Der Weihnachtsmärchenwald an der Marienkirche ist im Adventjeweils von 10.00 bis 19.00 Uhr vor allem für Kinder eine Attraktion.
«Weihnachten bei Buddenbrooks» ist beim Lübeck und TravemündeTourist-Service für 55 Euro pro Person buchbar. Zum Paket gehöreneine Lesung im Buddenbrookhaus bei Kaffee und Kuchen ab 18.00 Uhr,eine Führung durchs Haus, ein literarischer Stadtrundgang, ein Büfettim Burgkloster und «Ausklang bei Rotspon», dem für Lübeck typischenRotwein. Termine sind der 25. November sowie der 2., 9. und 16.Dezember.
Bei Niederegger, Breite Straße 89 (Tel.: 0451/530 11 26), sind vom30. November bis 18. Dezember Spezialitäten vom Baumkuchen bis zumSchoko-Tannenzapfen zu sehen. Öffnungszeiten: Montag bis Freitag 9.00bis 19.00, Samstag 9.00 bis 18.00 und Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr.
Das Eis- und Schneeskulpturenfestival «Ice World» hat einen neuenStandort: Vom 8. Dezember bis 28. Januar ist die Winterlandschaft nunam Traveufer neben der Musikhalle zu finden. Das Motto lautet diesmal«Ice Age - Jetzt taut's». Internet: www.iceworld.de.