Heiner Müllers „Hamletmaschine“ Warum das Schauspiel Magdeburg seinen Spielplan ändert
Das Schauspiel Magdeburg nimmt Sartre aus dem Spielplan und inszeniert dafür „Die Hamletmaschine“ von Heiner Müller. Schauspieldirektorin Clara Weyde zu den Beweggründen.
Magdeburg. - Am Schauspiel Magdeburg sollte Jean-Paul Sartres Stück „Das Spiel ist aus“ im Januar Premiere feiern. Wie das Theater nun mitteilte, hat sich das Haus aufgrund der „jüngsten (welt)politischen Ereignisse“ zu einer Spielplanänderung entschieden. Sartre wird ersetzt durch Heiner Müllers Arbeit „Die Hamletmaschine“. Schauspieldirektorin Clara Weyde führt Regie. Was macht den Text von 1977 so aktuell? Wie kam es zur Entscheidung? Und wie aktuell kann Theater überhaupt reagieren? Grit Warnat hat mit Weyde über das Stück und seine anstehende Inszenierung gesprochen.
Volksstimme: Was waren die Ereignisse, die Sie veranlasst haben, Sartre kurzfristig aus dem Programm zu nehmen?
Clara Weyde: Es waren die vielen gesellschaftspolitischen Veränderungen in der letzten Zeit, vor allem die Ergebnisse von Wahlen. Die Europawahl, die US-Wahl, das Ja in Argentinien zu Javier Milei, das Zerbrechen der Ampelregierung. Wir fanden Sartre nicht mehr stark genug als Auseinandersetzung. Uns bewegt sehr, dass die Menschen sich in demokratischen Wahlen für einen eher undemokratischen Weg entscheiden. Uns treibt die Frage um: Was machen wir mit antidemokratischen Tendenzen?
Dann sind Sie bei Heiner Müller gelandet und einem Stück von 1977.
Wir sind uns schnell einig geworden, weil Heiner Müller in „Hamletmaschine“ auch einen Endpunkt darstellt hinsichtlich seines Optimismus in Bezug auf die Verwirklichung des Sozialismus als Utopie. Heiner Müller hat sich über Jahre intensiv mit Shakespeare auseinandergesetzt und 1977 für Benno Besson „Hamlet“ übersetzt. Als eine Art Nebenprodukt ist dieser Text entstanden. Heiner Müller kommt darin in einer Zeit an, in der kein Dialog mehr möglich ist. Es geht um Desillusionierung und die Zerrissenheit eines Intellektuellen, der in den Jahren des Sozialismus die DDR unterstützt, aber gleichzeitig ihre Fehler erkennt und darunter leidet. „Die Hamletmaschine“ durfte in der DDR übrigens nicht gespielt, nicht veröffentlicht werden.
Das Deutsche Theater nannte den Text fremdartig und rätselhaft. Was ist er für Sie?
Dieser Text ist wahnsinnig inspirierend. Ich kenne ihn seit langem. Aber meine Lesart hat sich über die Jahre verändert, wenn man bedenkt, dass Sexismus, männliche und weibliche Stereotype eine ganz andere Wahrnehmung in unserer Gesellschaft bekommen haben und keinesfalls der Vergangenheit angehören. Der Text reflektiert zum Beispiel die Rolle der Frau. Vor Jahren hätte ich das so noch nicht herausgelesen. Ich finde, dieses Stück spricht mit uns. Es ist für mich ein Klassiker, weil ich es immer neu lesen kann. Auch wenn es nur neun Seiten gibt, keine Figuren, keine Dialoge.
Das hört sich nach viel Spielraum für Interpretationen an.
Für uns ist es im Moment, als ob wir Schatztruhen öffnen und in jeder befindet sich etwas anderes, etwas Überraschendes. Heiner Müller lässt uns Raum, unsere eigene Situation zu reflektieren. Neun Seiten sind wenig Material. Wir haben Platz, dass unsere Ideen und Debatten auch wirklich vorkommen können.
Sie inszenieren mit zehn Schauspielern. Warum?
Ich hätte das Stück ohne diese spontane Situation wahrscheinlich nie mit zehn Leuten gemacht, aber wir folgen dann doch Heiner Müller, der sein Stück als Ausdruck einer kollektiven Erfahrung beschrieben hat, als ein Stück für Chor.
Ist die Inszenierung eine Art Stückentwicklung?Es ist schon „Hamletmaschine“, aber eben auch die Suche danach, wie wir einzelne Bilder für eine nicht durchgehende Handlung finden. Es ist eine offene Arbeit. Wir haben in den Proben über Ideen gesprochen, was denn helfen könnte, um den gesellschaftlichen Wandel, den wir im Moment erleben, einzufangen.
Bei Heiner Müller steht der Wunsch nach Veränderung.
In der „Hamletmaschine“ gibt es nicht mehr die Aussicht auf eine Gesellschaft, die nicht auf Gewalt aufgebaut ist oder immer neue Wellen der Gewalt hervorbringt. Wir versuchen zu fragen, was denn jeder tun könnte. Die Ohnmacht über unsere Wirkungslosigkeit ist im Moment so groß. Ich kann natürlich sehr nachvollziehen, dass man erschöpft ist von dieser jahrelangen Dauerkrisenkommunikation. Als wir diskutiert haben, sagte jemand, wenn ich einen Aufkleber sehe, der rassistisch ist, denk ich mir: Ich kratz’ den ab. Das gibt das Gefühl, ich geb’ nicht auf.
Wie schwer ist es, ein Stück so schnell zu stemmen?
Ich war für die Regie bei Sartre gesetzt, das Ensemble stand auch fest. Das Bühnenbild für die Sartre-Inszenierung mussten wir übernehmen. Auch das ist eine neue, spannende Situation, weil wir „Die Hamletmaschine“ in die bereits gebaute Bühne reinsetzen. Die Abläufe wären eigentlich ganz andere. Aber das Gefühl, sie in diesem Fall ändern zu können, ist großartig. Es ist eine andere Lebendigkeit da, das merkt man bei allen Beteiligten.
Wir stehen in Deutschland vor einer Bundestagswahl, Trump wird im Januar Präsident in Amerika, der Nahe Osten ist in Aufruhr. Schlechte Nachrichten nehmen kein Ende. Sehen Sie eine Möglichkeit, dass ein Theaterhaus wie Ihres auch zukünftig so kurzfristig reagieren kann?
Die Arbeitsstrukturen lassen es nicht immer zu. Wir bieten zusätzliche Veranstaltungen an. Eine Spielplanposition wie jetzt zu ändern, das geht nur, wenn Regie und Leitung in einer Hand liegen. Es ist eine Sondersituation. Wir machen nicht Kunst, um Leuten Informationen zur Verfügung zu stellen, das können andere Medien besser. Wir können und wollen vielmehr eine künstlerische Auseinandersetzung. Das Thema gesellschaftlicher Wandel bewegt uns im Team so sehr, dass wir das Thema jetzt setzen mussten. Das ist mutig, vielleicht sogar tollkühn. Ich weiß es nicht, aber für uns hört es sich gut an. Und für unser Publikum hoffentlich auch.
Premiere „Die Hamletmaschine“ von Heiner Müller am 24. Januar 2025, 19.30 Uhr, Schauspielhaus Magdeburg.