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Vorzeigekünstler Ai Weiwei steht zum «Vogelnest»

Von Andreas Landwehr 25.07.2008, 07:40

Peking/dpa. - Steht die künstlerische Mitarbeit am Olympia-Stadion in Peking im Widerspruch zu seiner Kritik an der chinesischen Propagandashow um die Sommerspiele? Nein, findet Ai Weiwei, überhaupt nicht.

«Ich bin stolz auf das «Vogelnest»», sagt der Künstler in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur dpa in Peking. «Es ist ein großartiges Werk. Das ist unstrittig.» Der 51-Jährige, der zu den bedeutendsten chinesischen Künstlern der Gegenwart gehört, fühlt sich missverstanden. Sonst eher ruhig und kontrolliert, erscheint der Künstler am Ende des langen Holztisches in seinem Heim und Studio im Dorf Caochangdi vor den Toren der Olympiastadt plötzlich aufgebracht. «Ich habe niemals, wirklich niemals gesagt, dass ich mich vom "Vogelnest" distanziere», beteuert er.

Mit den Schweizer Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron hat Ai Weiwei die wie ein Adlerhorst wirkende ungewöhnliche Stahlkonstruktion entworfen, die zum Symbol der Pekinger Spiele geworden ist. «Es ist unser Werk, wie kann ich mich davon lossagen?» Seine Haltung habe sich auch nie geändert. «Meine Einstellung richtet sich gegen die Feiern, die ganze Propaganda um die Olympischen Spiele.» Die Journalisten hätten nur nicht richtig zugehört oder es nicht hören wollen. «Ich sagte, ich distanziere mich von den offiziellen Olympia-Feiern. Ich lehne sie ab, finde sie abscheulich», sagt Ai Weiwei. «Das ist etwas völlig anderes.» Es sei keine Distanzierung von seiner künstlerischen Mitarbeit am Nationalstadion.

Er sei vielmehr enttäuscht, welche Entwicklung die ersten Olympischen Spiele in China genommen hätten. «Wir alle hatten gehofft, dass Olympia eine Chance für China gewesen wäre, offener oder wahrhaftiger zu sein», sagt Ai Weiwei. «China ist aber an diesem Punkt noch nicht angekommen. Das ist der Grund, warum ich enttäuscht bin.» Anders als viele Regimekritiker in China hat Ai Weiwei trotz seiner offenen Kritik an der olympischen Propaganda und trotz seiner Rufe nach politischen Veränderungen bis heute keinen Besuch von der Staatssicherheit bekommen. «Niemand hat mir jemals gesagt, ich solle die Klappe halten.» China sei heute toleranter, was die Meinungsfreiheit angehe - «zumindest in meinem Fall», sagt Ai Weiwei und fügt wohlwissend hinzu: «Ich bin auch ziemlich einflussreich.»

In Deutschland machte Ai Weiwei Schlagzeilen, als er im vergangenen Jahr 1001 Chinesen zur «documenta» nach Kassel brachte und sein Turm aus Holztüren abgerissener Pekinger Hutong-Häuser in einem Gewittersturm einstürzte. Der 51-Jährige ist nicht nur ein internationales Aushängeschild der chinesischen Kunst, sondern auch Sohn des berühmten chinesischen Dichters Ai Qing. Durch dessen Verbannung während der Kulturrevolution (1966-76) wuchs Ai Weiwei im fernen Xinjiang im armen Nordwesten auf. Nach der Rehabilitierung seines Vaters ist Ai Weiwei 1981 «buchstäblich in die USA geflohen», wie er heute sagt. Eigentlich wollte er nie wiederkommen. Doch 1993 kehrte Ai Weiwei zurück nach Peking, um an der Seite seines kranken Vaters zu sein, der drei Jahre später starb. «Ich denke, die Situation in China hat sich seither deutlich verbessert», sagt Ai Weiwei.

«China ändert sich weiterhin sehr schnell.» Doch die chinesische Gesellschaft sei immer noch sehr konservativ. «Wir brauchen noch eine lange Zeit der Veränderungen - länger als wir denken.» China stehe vor enormen Problemen und neuen Herausforderungen, die sich niemand habe vorstellen können. Ai Weiwei nennt allein die knappen Rohstoffe oder die verheerende Umweltverschmutzung. Die kommunistische Führung versuche, all diese Probleme zu bewältigen, sagt Ai Weiwei fast anerkennend. Täglich sei in den Zeitungen über neue Vorhaben zu lesen, mit denen die Bedingungen verbessert werden sollen. Doch muss sich aus seiner Sicht vielmehr grundlegend etwas ändern. «Politische Reformen sind notwendig», sagt Ai Weiwei. «Ohne politische Reform werden die Veränderungen keine ausreichende Wirkung zeigen.»