USA USA: Auf den Spuren der Schlacht von Gettysburg

Gettysburg/dpa. - 1863 trafen hier an drei heißenTagen im Juli 75 000 Südstaatler und 97 000 Nordstaatler aufeinander.Heute können sich Touristen auf die Suche nach ihren Spuren begeben.
Sanft schwingen die Hügel unter blauem Frühsommerhimmel, robusteWiesen wechseln mit kleinen Wäldern aus Laubbäumen, dazwischen roteScheunen. Gettysburg ist ein verträumtes Obstanbaugebiet, knapp 190Kilometer westlich von Philadelphia und 125 Kilometer nördlich vonWashington gelegen. Wie an so vielen berühmten Kriegsschauplätzen hatdie Natur das einstige Schlachtfeld längst wieder mit grüner Idyllezugedeckt.
Der Eindruck einer friedlichen, entrückten Welt ist in Gettysburgumso stärker, als man sich bemüht hat, den äußeren Zustand der Regionin der Mitte des 19. Jahrhunderts wieder herzustellen. «Neubautenwurden abgerissen und Strom- und Telefonkabelmasten entfernt, damitdie Besucher heute den selben Eindruck haben wie einst die Soldaten»,erzählt der Fremdenführer Gary Ratay.
An den Straßen und Wegen durch den Nationalen Militärpark südlichdes Städtchens lässt sich die Geschichtsträchtigkeit des reizendenStück Landes nicht mehr übersehen. Dicht reihen sich Tafeln undDenkmäler aus Metall und Stein. Sie erinnern an die Gefallenen aus 29Bundesstaaten. Insgesamt sind mehr als 1400 Mahnmale über dasParkareal verstreut.
Nicht sehr tief unter der Grasschicht sind noch immer Bleikugelnzu finden. Danach zu graben ist allerdings verboten. «Zigtausendedavon stecken im Boden», sagt Gary Ratay. 1998 sei ein Tourist sogarnoch auf die Überreste eines vermutlich konföderierten Soldatengestoßen. Wind und Wetter hatten den Körper nahe des zentralenDenkmals des «Ewigen Lichts» nach und nach freigelegt.
Auch in dem 7500 Einwohner zählenden Städtchen, das sich dem hohenBesuchsaufkommen zum Trotz seinen dörflichen Charme erhalten hat,sind noch Spuren des Krieges sichtbar. Der letzte Teilnehmer derSchlacht starb 1956 im Alter von 107 Jahren. Mehrere Generationennach ihm und in Folge von Romanen wie «Vom Winde verweht» und Filmenwie «Fackeln im Sturm» hat die militärische Auseinandersetzungzwischen Nord und Süd die Qualität einer Mythenerzählung angenommen.Doch den Krieg um die Sklavenfrage und die Rechte der Einzelstaatengab es wirklich. Unverputzte Einschusslöcher in der Seitenwand des«Schriver House» an der Baltimore Street in Gettysburg zeugen davon.
Gettysburg war nicht zur Stätte der Entscheidung bestimmt gewesen.Vor gut 140 Jahren war es nicht weniger ein ländliches Kaff alsheute, ohne besondere strategische Bedeutung. Es war ein Zufall, derdie abtrünnigen Konföderierten und Abraham Lincolns Unionssoldatenhier aufeinander treffen ließ: Die Südstaatler wollten einen PostenSchuhe beschaffen. Dabei stießen sie auf Unions-Kavallerie.Überhitzte Gemüter auf beiden Seiten ließen die Lage eskalieren.
Beide Lager hielten große Truppenverbände in der Nähe und wolltennicht die Gelegenheit verstreichen lassen, dem Gegner nach zweiJahren Kampf einen endgültigen Schlag zu versetzen. Aus allenRichtungen strömten die Soldaten am 1. Juli 1863 herbei, bis sichnach drei Tagen gut 170 000 Mann in die Schlacht geworfen hatten.
Die Leute von Gettysburg trauten ihren Augen nicht, was sich ausheiterem Himmel kommend zunächst im Norden und Westen ihrer Stadtabspielte. Deckung suchten sie in Kellern und auf Speichern, unddurch Glück wurde die Zivilbevölkerung weitgehend verschont, obwohldie besten Kanonen jener Zeit schon etwa 1,6 Kilometer weit reichten.Das einzige Todesopfer war die junge Jennie Wade, die in der Kücheihrer Schwester an der Baltimore Street Brot backte. Ein Querschlägerdurchbrach zwei Holztüren und traf das Kind tödlich.
Anfangs sah es nach einem klaren Sieg für den Süden aus. ObwohlKavalleriegeneral Buford rasch Unterstützung von Fußtruppen erhielt,überwältigten die Konföderierten die Nordstaatler bis zum Nachmittagdes ersten Tages. Sie trieben die Blauröcke durch Gettysburg undnahmen Tausende gefangen. Die verstörten Unionssoldaten zogen sichzurück auf eine Anhöhe südlich der Stadt mit dem Namen «CemeteryHill» - Friedhofshügel. Bis zum Morgen darauf fanden sie Gelegenheit,sich auf der Anhöhe und angrenzenden Hügeln neu zur formieren.Weitere Verstärkung stieß hinzu. Doch auch an diesem zweiten Tag, dem2. Juli 1863, sahen sich die Nordstaatler heftigen Angriffenausgesetzt. Wieder war es knapp. Doch ihre Stellungen hielten.
Der berühmte Südstaatengeneral Robert E. Lee übernahm dasKommando. Er ahnte früh, dass dieser Kampf bergauf gegen die gutpositionierten Unionisten in einem Desaster enden würde. Dennochblies er nicht zum Rückzug. Ein weiterer Schlag gegen LincolnsTruppen, diesmal auf ihrem eigenen Gebiet im Norden, schien so nah.
Am dritten Tag, dem 3. Juli 1863, hatten sich die Unionstruppen inForm eines «Angelhakens» über mehrere Kuppen so gut nach drei Seitengesichert, dass sie versuchten, Boden zurück zu gewinnen. General Leekonterte mit einem letzten großen Angriff: Gegen 15.00 Uhr stürmten12 500 Südstaatler über das offene Feld. Sie waren in der freienSchusslinie der Union. Die Attacke dauerte 50 Minuten, das Resultatwar verheerend: Mehr als die Hälfte der Angreifer fiel oder wurdeverwundet, die Stellungen der Union jedoch blieben uneingenommen.
Damit war die Schlacht um Gettysburg beendet. Die Zahl der Opferbeider Seiten betrug fast 51 000 Tote, Verwundete und Vermisste.Unter einem hereinbrechenden Gewitter trat Lee den Rückzug an, wegaus Pennsylvania, zurück in das sichere Virginia. Sein GegenpartGeorge G. Meade setzte ihm aus Erschöpfung und in Anbetracht desWetters nicht nach, was ihm Präsident Lincoln zum Vorwurf machte.Dennoch wurde Gettysburg zum Wendepunkt des Krieges. Danach gelangden in Moral und Zahl dezimierten Südstaatlern keine weiterenennenswerte Offensive. Der Sieg war den «Yankees» nicht mehr zunehmen, auch wenn es noch zwei Jahre bis zur Kapitulation dauerte.
«Nach der Schlacht vergingen vier Monate, bis alle Toten und dieKadaver von 5000 Pferden begraben waren», erzählt Gary Ratay denheutigen Touristen. Für die Leute von Gettysburg war es eine Zeit desGrauens. Die Kirchen der Stadt waren zu Lazaretten geworden, in denKirchhöfen stapelten sich die amputierten Glieder mannshoch. ImNovember kam Lincoln nach Gettysburg und hielt eine Ansprache. Geradezwei Minuten dauerte seine «Gettysburg Address», in der er,mitgenommen von den Schrecken der Schlacht, die Einheit der Nationbeschwor.
Jedes Jahr kommen fast zwei Millionen Besucher nach Gettysburg.Steve Morris aus Georgia ist einer von ihnen. «Ich wünschte, derSüden hätte gewonnen», sagt der 40-Jährige mit dem singenden Tonfalldes Südstaatlers. «Der Ehre halber», fügt er hinzu. Doch statt dasses die USA damals tatsächlich in Nord und Süd zerrissen hätte, sei eswohl ganz gut, dass am Ende Lincoln und der Norden siegreich waren:«Sonst hätten wir Verhältnisse gehabt wie ihr in Europa.»
Gettysburg fasziniert auch junge Amerikaner. Der 20-jährige PaulBoccadorl aus dem Osten Pennsylvanias nimmt seit sechs Jahren jedesMal Anfang Juli an so genannten Re-Enactments teil. Bei 30 Grad imSchatten trägt der Student eine dunkelblaue Wolluniform und stelltmit Gleichgesinnten die Schlachten der Altersgenossen von 1863 nach.
«Es gibt mir ein Gefühl für die Vergangenheit», ist BoccadorlsErklärung. «Das bringt mir mehr als alle Geschichtsbücher.» VieleTouristen, die die von Trommeln, Pfeifen und Kommandogeschreibegleiteten Aufmärsche am Rande des Schlachtfelds verfolgen, begrüßendie «Re-Enactments» aus ähnlichen Gründen: Geschichte wird lebendig.
Aber manchmal hat simple Stille noch größeren Effekt. Es istbewegend, auf dem Hügelkamm der Unionssoldaten zu stehen. Vögelrascheln im Unterholz, der Blick streift über die leere Ebene in derSommersonne. Man stellt sich vor, wie einst der erste Schuss fiel unddie Konföderierten sich aus dem Grün in die letzte Attacke stürzten.Hier auf dem Gipfel, geschützt und mit bester Zielsicht auf denFeind, wird für den Besucher klar, warum die Sache der Südstaatler inder Schlacht von Gettysburg zum Scheitern verurteilt war.
