Ungarn Ungarn: Reiten lernen wie die Husaren

Halle/MZ. - Aber Günther Wünschmann, sowohl Besitzer der Brummbass-Stimme als auch des wunderschönen Reiterhofs "Táltos Tanya", hat Engelsgeduld. Er führt "Napoleon" an einer Longe, dreht sich mit im Kreise wie in Zeitlupe und korrigiert meine windschiefe Sattel-Haltung, stets leise, aber bestimmt - wie zuvor schon bei Kerstin (11), Timm (9) und meiner Frau. Ein Reiterflüsterer, der Mann! Genau richtig für uns Gaul-Grundschüler.
Sein freundliches Anwesen bietet auch allerlei für Nichtreiter: Plantschen im Pool, Federballspielen auf dem Rasenflächen, Bogenschießen oder einfach in der Sonne dösen. Kein Landmaschinen-Lärm, nur eine leichte Puszta-Brise lässt die Dachrinne vibrieren. Hausherrin Vera Wünschmann reicht Apfelkuchen, und die Schleierwolken über uns sehen aus, als habe jemand einen Schuss Kaffeesahne in den blauen Himmel gekippt. Wer Dauerbespaßung will, ist hier grundfalsch. Wer familienfreundliche Abenteuer sucht, hingegen goldrichtig.
Am nächsten Tag lässt Günther Wünschmann die Longe länger. Wir sollen "Napoleon" über die Wiese lenken, ihn aus dem Sattel per Zügel dirigieren, zwischen den Bäumen durch - ohne dass der Wallach blätterrupfend stehen bleibt. Klappt! Napoleon scheint Servolenkung zu haben. Vier Trab-Azubis schreiten nach ihrer zweiten Reitstunde stolz wie Husaren zurück auf den Hof. Am dritten Tag stieren wir in Dauerregen. Die Wiese ist bestimmt aufgeweicht wie ein Wildschweingehege. "Halb elf Reitunterricht?" platzt Günther Wünschmanns Brummbass fragend ins Familien-Trübsal. Und schiebt angesichts unserer zweifelnden Mienen noch hinterher: "Puszta-Boden schluckt den Puszta-Regen und der dauert nie länger als ein paar Stunden." Halb elf, keine Wolke mehr am Himmel, "Petrus" Wünschmann hat keine Longe mehr in der Hand. Wehe, wenn wir losgelassen! Kerstin zuerst: Gekonnt lenkt sie "Napoleon" allein durch die Koppel. Timm und seine Mutter tun es ihr nach. Nun ich: Fühlt sich an wie die erste Fahrstunde. Nur dass der Fahrlehrer nicht mit dem Fuß auf der Bremse steht, sondern ein paar Schritte weg. "Zum Gas geben mit der Zunge schnalzen und den Hacken in die Pferdeflanke ticken", rät Wünschmann noch. Tatsächlich. "Napoleon" nimmt Trab, also Fahrt auf. Bleibt aber nach wenigen Metern stehen. "Abgewürgt - Sie haben am Zügel gezogen, das ist die Pferde-Bremse!" Noch mal von vorn. Endlich, "Napoleon" trabt, ich halte sogar den Hüft-Takt!
Am nächsten Morgen wartet schon der "Puszta-Express", ein gelber Planwagen mit zwei Pferden. Quer durch die Grassteppe, vorbei an Pferdeherden geht's zu Marikas Einödhof. Ein Ensemble von geduckten Hütten, ein Ziehbrunnen. Lachend begrüßt uns die rundliche Marika. Ruckzuck hat sie eine Art Glühwein geköchelt und zeigt den Kindern, wo sie Maiskolben finden, mit denen sie anschließend begeistert Hühner und Enten füttern.
Krönender Abschluss der Reiterlehre: Kerstin und Timm dürfen erstmals ins Gelände ausreiten! Günther Wünschmann und Csaba, der ungarische Reitlehrer, wollen sie von ihren Pferden aus an der Longe führen. Das klappt. Bis plötzlich ein Spaziergänger auftaucht. "Zorro" wiehert vor Schreck, sprengt davon. Die Longe reißt. Timm krallt sich in "Zorros" Zügel, hängt aber schon rücklings im Sattel. Dann fliegt er im hohen Bogen in den weichen Acker - ebenso wie die anderen. Nur Csaba kann sein Pferd halten. Kein Wunder, schließlich hat er hunderte halsbrecherische Ritte als Indianer-Darsteller bei den Karl-May-Spielen im sauerländischen Elspe gemeistert.
"Nur wer schon mal vom Pferd fiel, ist ein richtiger Reiter", sagt Günther Wünschmann beim Abschied. Keine Knochenbrüche, keine Beulen, aber ein Puszta-Reiter-Diplom gibt's als Erinnerung.