Sportpsychologie Sportpsychologie: Wo die Liebe hinrennt

Stuttgart/dpa. - Wenn sich Weitsprung-Olympiasiegerin Heike Drechsler abends mal ein Glas Rotwein einschenkt, verzieht ihr Trainer das Gesicht. Ihr Lebensgefährte dagegen, als Franzose ohnehin kein Kostverächter, würde gern mit ihr anstoßen. Alain Blondel ist beides in Personalunion, und das bringt auch Paar-Probleme mit sich. Kein seltenes Phänomen im Leistungssport: Wo die Liebe hinrennt, wenn man ständig mit seinem Coach zusammen ist. Für Sportpsychologen Hartmut Gabler ist das nur logisch. «Man hat ganz zentrale gemeinsame Ziele und verbindet damit viele Erlebnisse», so der Tübinger. Er sieht einige «flankierende Bedingungen», die eine Beziehung zwischen Athletinnen und ihrem Trainer fördern.
Ski-Ass Hilde Gerg lebt mit DSV-Nachwuchstrainer Wolfgang Graßl zusammen, Tennis-Profi Barbara Rittner ist mit ihrem Fitnesscoach Michael Diehl verheiratet, die 400-m-Läuferin Grit Breuer hat unter Thomas Springstein die Rückkehr in die Weltelite geschafft, Marathon- «Dauerbrennerin» Katrin Dörre-Heinig baut ebenso auf ihren Mann, den Bundestrainer Wolfgang Heinig, wie Kugelstoß-Olympiasiegerin Astrid Kumbernuss auf Dieter Kollark.
Der Trainer, erklärt Gabler, sei heute nicht nur für das Training zuständig, sondern habe den Menschen «in seiner Gesamtheit zu betreuen». Dazu komme, dass zu einer funktionierenden sportlichen Beziehung ein positives Vertrauensverhältnis gehöre. Und: Dass im Gegensatz zum Beispiel zu einer Sopranistin und ihrem Lehrer im Sport «die Körperlichkeit eine große Rolle spielt».
Nach der Trennung von ihrem Coach Dan Vladescu ist die Wahl- Karlsruherin Drechsler zu Blondel zurückgekehrt: «Ich habe mich entschieden, für den Rest meiner Karriere wieder auf das zu setzen, was vorher gut funktioniert hat.» Der frühere Zehnkampf-Europameister geht jedoch davon aus, dass die sportliche Zusammenarbeit nur noch auf das WM-Jahr 2003 beschränkt ist: «Dann muss sie sich einen neuen Trainer suchen.» Es sei schwierig, so Drechsler, «wenn man privat und geschäftlich viel miteinander zu tun hat». Die Weltklasse- Marathonläuferin Dörre-Heinig räumt ein, dass die Zeit vor Wettkämpfen «nicht mehr unbedingt das ist, was man ein Wunsch- Eheleben nennt. Der arme Wolfgang kriegt den ganzen Dampf ab». Dann nehmen sie schon mal getrennte Hotelzimmer.
Anke Wischnewski, die EM-Vierte im Rodeln, ist seit vier Jahren mit Torsten Görlitzer zusammen, dem Bundestrainer der B-Mannschaft: «Privates und Sportliches kann ich schon trennen, und auch Thorsten kommt sehr gut damit klar.» Nach Ansicht von Psychologe Gabler ist es eine andere Sache, wenn zwei Innenarchitekten denselben Beruf ausüben, «das ist eine echte Partnerschaft». Im Verhältnis zwischen Athletinnen und Trainern gebe es einen «fachstrukturellen Zwang: Der eine muss Leistung bringen, der andere führen». Daraus müsse man nicht zwangsläufig darauf schließen, wer privat das Sagen hat, klar sei aber: «Von der Sache her muss der Trainer dominant sein.»
Häufig ist der Mann wesentlich älter als die Sportlerin: Kumbernuss und Kollark trennen gleich 25 Jahre, Dörre und Heinig nur einige weniger. Springstein ist fast 15 Jahre älter als Breuer - ebenso ist es bei Wischnewski und Görlitzer. Durch die viele gemeinsame Zeit, die Leistungssportlerinnen und ihr Trainer schon in jungen Jahren miteinander verbringen, so Gabler, werde Letzterer oft Ersatzvater oder Ersatzfreund - «und daraus kann dann ein Liebesverhältnis entstehen».
Ganz kompliziert wird's, wenn die Beziehung in die Binsen geht. Schwimmerin Sandra Völker ging zwar privat mit Dirk Lange «baden», schafft es aber, ihm weiterhin als Coach zu vertrauen. Die zweifache Rad-Cross-Weltmeisterin und Olympia-Zweite im Straßenrennen, Hanka Kupfernagel, hatte sich von ihrem Ehemann und Trainer Torsten Wittig getrennt, auch «weil der Sport mehr als 80 Prozent unseres Lebens ausgemacht hat» und sich ihr ehrgeiziger Partner mitunter wenig feinfühlig aufführte.
Durch dick und dünn sind Isabelle und Dieter Baumann gegangen. Die Ausdauerexpertin und der 5000-m-Olympiasieger von 1992 arbeiten seit über zehn Jahren zusammen und haben auch die «Zahnpasta-Affäre» überstanden. «Wir sind ein gutes Team. Unsere Stärke ist, dass wir immer offen gegenüber dem waren, was die anderen machen», sagte er. Für Gabler hat das Duo kein klassisches Athleten-Trainer-Verhältnis und ist in der Rollenverteilung «völlig untypisch».