Schwimmen Schwimmen: Alltag im Hause Biedermann
Halle (Saale)/MZ. - Das Klingeln an der Tür überraschte Frank Biedermann um sechs Uhr morgens. Nicht unbedingt die Zeit, Besuch zu erwarten. "Ich war gerade noch beim Zähneputzen", erzählt er, "als ein Mann und eine Frau vor der Tür standen." Gekleidet in schwarzer Hose sowie weißem Hemd und weißer Bluse baten die beiden um Einlass. Und während in tausenden anderen Familien die Tür wohl verschlossen geblieben wäre, Frank Biedermann bat die Herrschaften rein. Selbstverständlich. Denn schon vor dem Öffnen war ihm klar, wer die beiden sind: Doping-Fahnder. In diesem Fall aus Tschechien. Geschickt von der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada.
Momente wie diese sind keine Seltenheit bei den Biedermanns. Ihr Sohn Paul lebt noch daheim. Kein Wunder, wohnt die Familie doch in unmittelbarer Nähe der Schwimmhalle in Halle. Und das Leben mit einem Hochleistungssportler im Haus ist eben ein bisschen anders. Gerade wenn es um Doping und unangekündigte Tests geht. Was soll man da schon machen? "Du bittest sie in deine Stube, das gebietet die Höflichkeit, bietest was zu trinken an und leistet ihnen solange Gesellschaft, bis sie das haben, was wie wollen", erzählt Frank Biedermann. Und das kann manchmal dauern.
Die Episode mit den Testern aus Tschechien ist nur eine, die beschreibt, wie das Zusammenleben mit einem Hochleistungssportler den Familienalltag beeinflusst. Durchschnittlich zwei Mal im Monat bekommen die Biedermanns unangemeldeten Besuch. Meist im Morgengrauen, gern auch am Sonntagabend zur Tatort-Zeit.
Die Familie hat sich längst darauf eingestellt. Auch darauf, dass spontane Ausflüge nicht mehr möglich sind. Drei Monate im Voraus muss Paul - wie alle Leistungssportler - auf die Stunde genau seinen Tagesplan bekannt geben, um jederzeit für Kontrollen zur Verfügung zu stehen.
Die Urlaubsplanung tangiert das zum Glück nicht. Denn die richtet sich bei den Biedermanns schon seit Jahren ohnehin nach den Austragungsorten von Welt- und Europameisterschaften oder eben Olympischen Spielen. Seit 2004 hält es die Familie so, dem Sohn bei allen großen Ereignissen vom Beckenrand aus beizustehen. Und das hat manchmal ganz praktische Vorteile. Frank Biedermann erinnert sich an den Weltcup 2008 in Berlin. "Paul hatte seinen Ausweis nicht dabei, als er zur Dopingkontrolle gerufen wurde. Deshalb wurde ich von der Zuschauertribüne geholt und habe Pauls Identität bezeugt."
Tatsächlich ist die Doping-Problematik allgegenwärtig. Auch in scheinbar banalen Situationen. Beim Essen. Oder beim Einkaufen. Schließlich ist es schon vorgekommen, dass verseuchte Lebensmittel zu einem positiven Test geführt haben. "Ich esse gern mal ein argentinisches Steak", berichtet Frank Biedermann. Doch für seinen Sohn ist das tabu. "Wenn wir grillen, bekommt Paul immer nur deutsches Fleisch." Schon beim Einkaufen heißt es also aufpassen.
Grundsätzlich, so erzählt der Vater, sei Paul beim Essen überhaupt nicht anspruchsvoll. "Durch die vielen Reisen isst er multi-kulti." Mittags kocht meist Oma Annemarie. Fettarm und dennoch kalorienreich. Allzu viel Süßes wird auch abends nicht genascht - schon aus Solidarität mit Paul.
Bis weit in die Freizeit der Familie nimmt der Hochleistungssport Einfluss. Wie sein Vater liebt auch Paul Eishockey, insbesondere die Saale Bulls Halle. Allerdings bergen die gemeinsamen Besuche ihr Risiko. Training in der feuchtwarmen Schwimmhalle, Zuschauen in der klirrend kalten und zugigen Eishalle - das ist Gift für einen Hochleistungssportler. Doch wenn es mal passiert, dann wird der Tag richtig ausgekostet. "Mit einer Bratwurst in der zweiten Drittelpause. Und noch einem Fischbrötchen hinterher", erzählt der Vater.
Hochleistungssport ist eine Einstellungsfrage - auch für das Umfeld des Athleten. Und natürlich gibt es auch Annehmlichkeiten für die Familie. Paul, so berichtet sein Vater, hat sich angewöhnt, aus dem Höhentrainingslager in der Sierra Nevada immer einen Riesenschinken mitzubringen.
Auch Schwester Julia bedenkt er häufig. Der angehenden Medizinerin finanziert Paul in der Wahlheimat Dresden das Fitnessstudio. Die Geschwister haben einen engen Draht zueinander. Frank Biedermann umschreibt das charmant ironisch: "Schon manches Geschenk an Paul ist an die bedürftige Studentin weitergereicht worden."