Schweiz Schweiz: Wandern in der Jungfrauregion leicht gemacht

Interlaken/dpa. - Die bilderbuchartige Alpenkulisse der Jungfrauregion im BernerOberland mit den berühmten Gipfeln von Eiger, Mönch und Jungfrau isteinfach zu imposant, um touristisch nicht beachtet zu werden.
Seit mehr als zwei Jahrhunderten begeistern die drei Berge schonReisende aus aller Welt: Goethe war 1779 hier, später der KomponistFelix Mendelssohn Bartholdy und Preußenkönig Friedrich Wilhelm I..Auch Richard Wagner und Winston Churchill ließen sich vom Anblick desDreigestirns - zusammen mit dem 4478 Meter hohen Matterhorn dasFiletstück der Alpen - bereits gefangen nehmen.
Heute geben sich in den Zügen der Jungfraubahnen neben Schweizern vor allem Deutsche, Briten, Japaner und bemerkenswert viele Inder die Klinke in die Hand: «Bollywood, die indische Filmindustrie, drehtviele Streifen in der Jungfrauregion», erklärt Ursula Mühlemann,Geschäftsführerin von Wengen Tourismus. Die Alpenregion gleichelandschaftlich der zwischen Indien und Pakistan umkämpftenKaschmirprovinz, biete den Teams aber eidgenössische Sicherheit undInfrastruktur. Wie die Filmemacher des Subkontinents die Dorfer undHütten, die jedem Musikantenstadl als volkstümliche Kulisse zur Ehregereichen würden, auf indisch trimmen, bleibt allerdings ein Rätsel.
Der Traum vom einsamen Alpenglück erfüllt sich angesichts dessteten Besucherstromes zu Füßen von Eiger, Mönch und Jungfrau kaummehr. Gerade wegen des Andrangs aber sind die Hütten, Almen undWasserfälle um Grindelwald, Wengen oder Mürren auch sehr leicht zuerreichen. Erst in rund 3500 Metern Höhe enden im höchstgelegenenBahnhof Europas die gut ausgebauten Touristenpfade.
Die Stationen der vielen Zahnrad- und Seilbahnen sind idealeAusgangspunkte für Tagestouren: Mit 300 Kilometern markierterWanderwege und 160 Kilometern Mountainbike-Routen wirbt allein das4000-Seelen-Städtchen Grindelwald. Und in Mürren - in rund 1650Metern Höhe oberhalb des von senkrechten Felswänden eingeschlossenenLauterbrunnentals gelegen - ist die Situation nicht anders: Diejapanische Reisegruppe, die mit dem niedlichen Triebwagenzug bisMürren kam, hat sich längst auf die umliegenden Wanderwege verteiltund der Zug - exakt nach Fahrplan - den Weg über Winteregg zurücknach Grütschalp angetreten.
Für Flachlandbewohner unerwartete Frühlingsfreuden verspricht eine wenig anstrengende Wanderung von Mürren bergauf via Suppenalmund Sonnenberg zum Aussichtspunkt Allmendhubel: Marineblau strahlendie Blütenkelche des Enzians, die sich wie verstreute Glocken auf demfrischen Grün verteilen. In den Höhenlagen der Alpen kommt dieVegetation erst Ende Juni in die Gänge, um dann umso intensiver diekurze Sommerzeit auszunutzen: Herabgeregnetem Konfetti gleichverteilen sich dann die weißen, gelben und violetten Farbpunkte derAlpen-Anemonen, Trollblumen, Astern und Arnika über die Almwiesen.
Hoch über dieser Blütenpracht schweben die Gondeln der Seilbahnvon Mürren zum Schilthorngipfel in rund 3000 Metern Höhe. DieBetreiber der Bahn werben damit, dass dort in den Gebäuden desDrehrestaurants «Piz Gloria» der Filmagent James Bond in der 1969gedrehten Episode «Im Geheimdienst ihrer Majestät» seinem ErzfeindBlofeld nachstellte. Der australische Autoverkäufer George Lazenby inder Rolle des 007 erwies sich allerdings als schauspielerischeDoppelnull, und auch die Landschaftsaufnahmen konnten nichtverhindern, dass der Streifen floppte.
In die Geschichte des Alpinismus führt hingegen eine Wanderung aufdem Eigertrail entlang der berühmten Eigernordwand. Von derBahnstation Eigergletscher führt die Route in rund drei Stunden übersteile Alpweiden und Geröllhalden bergab bis nach Alpiglen. Sie istdaher eher für geübte Bergwanderer mit gutem Schuhwerk zu empfehlen.Die «Wand der Wände» - in Bergsteigerkreisen lange Zeit auch das«letzte Problem der Alpen» genannt und der mehr als 50 Toten wegengelegentlich als «Eiger-Mordwand» verschrien - ragt dabei rechts derStrecke gut 1800 Meter in den Himmel.
Warum gerade diese Felswand so gefährlich sein soll, lässt sichvon unten nicht erkennen. Nicht immer gibt der Eigertrail viel vomMythos Eigernordwand preis – es kommt durchaus vor, dass es auch imFrühsommer noch schneit und die Strecke dann unpassierbar ist undgesperrt bleibt.
Der Österreicher Heinrich Harrer, der als Teil einerViererseilschaft die Wand 1938 als Erster durchstieg, hält trotzaller Sicherheitsmaßnahmen die Eigernordwand für «eine dergefährlichsten Wände der Alpen.» Der Grund sei die schlechte Qualitätder Felsen. Kletterer müssen daher häufig mit Steinschlägen rechnen.Viele Felspartien sind zudem vereist und ganze Hänge mit Eis- undSchneefeldern überzogen, aus denen sich Lawinen lösen können.Außerdem schlägt das Wetter schnell um an dieser zur Mitte gewölbtenFelswand, in der sich auch im Hochsommer Regen und Schneestürmeverfangen können.
Bei jedem Wetter und ohne Risiko für Leib und Leben können aberauch völlig Unsportliche der Eigerwand nahe kommen: Denn in die Wandder Wände fahren schon seit dem Jahr 1903 Züge. Auf ihrem Weg durchdas Eigermassiv zum Jungfraujoch in rund 3500 Metern Höhe halten dieTriebwagen der Jungfraubahnen im Berg hinter der Eigerwand. DieFahrgäste dürfen kurz aussteigen und sich – während sie ihre Nasen anden Panoramafenstern platt drücken – ein Bild von der Perspektive derKletterer machen.
Nach fünf Minuten ist der Spuk vorbei: Der Gegenzug isteingetroffen, und über die 1905 eingeweihte Station Eismeer geht esauf eingleisiger Strecke weiter zum höchst gelegenen Bahnhof desKontinents. Bis die 1912 in Betrieb genommene Station Jungfraujocherreicht wird, erfahren die jährlich rund eine halbe MillionFahrgäste mit Hilfe viersprachiger Videos Wissenswertes über dieBahn, die Gipfelgebäude und den Gletscher, dessen obere Schneefeldersie in Kürze betreten dürfen.
Der Aletschgletscher zu Füßen des Jungfraujochs ist der mächtigsteEisstrom der Alpen. Der schrumpfende Koloss aus schätzungsweise 27Milliarden Tonnen Eis, der sich von hier aus derzeit noch in einemweiten Bogen rund 24 Kilometer nach Süden ins Rhonetal erstreckt,zählt seit Dezember 2001 zum Weltnaturerbe der Unesco. Gespeist wirdder Eisriese von drei Firnfeldern, die noch in Sichtweite desJungfraujochs am Konkordiaplatz zusammenfließen. Das Eis hat dorteine Dicke von mehr als 900 Metern.
Näher an das alte Gletschereis, das an den Rissen und Abruchkantenwie blau-graues Milchglas in der Sonne schimmert, kommen nur noch dieTeilnehmer zweitägiger, geführter Wanderungen, die dreimal pro Wocheam Jungfraujoch starten. Warnschilder und Gletscherspalten setzen demPioniergeist der Tagesbesucher Grenzen.
Auch nordwärts ist der Ausblick vom Dach der Gipfelstationgrandios: Zur Rechten und zur Linken arbeiten sich - von vielenFerngläseraugen beobachtet - unterhalb der mehr als 4000 Meter hohenGipfel von Mönch und Jungfrau Bergsteiger durch den Firn. Über dieZacken ferner, viel niedrigerer Berge hinweg kann der Blickschweifen: Dort hinten, wo sich der Horizont verliert und die Gipfelgrau und rund sind statt spitz und weiß, dort liegt Deutschland. DieHöhenzüge des Schwarzwalds heben sich aus dem Dunst - das Genuschelauf Englisch, Deutsch, Japanisch und das Klicken der Kameras sind aufeinmal ganz weit weg.


