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Scherzartikel Scherzartikel: Von Hundekot aus Torf und scharfen Gummibärchen

Von Christoph M. Schwarzer 19.12.2002, 13:38
Das undatierte Archivbild zeigt eine junge Frau in Stuttgart, die Blei gießt. Der in Europa weit verbreitete Silvester-Brauch ist mehr als 2000 Jahre alt und stammt aus der griechischen Orakel-Praxis. (Foto: dpa)
Das undatierte Archivbild zeigt eine junge Frau in Stuttgart, die Blei gießt. Der in Europa weit verbreitete Silvester-Brauch ist mehr als 2000 Jahre alt und stammt aus der griechischen Orakel-Praxis. (Foto: dpa) dpa

Hamburg. - Heinz Erfurth schiebt mit spitzen Fingern einen Hundehaufen über den Tisch. «Der ist aus Torf, Kleber und braunem Lack», erklärt der 72-Jährige. Von den Augenwinkeln ziehen sich seine Lachfältchen über das ganze Gesicht. «Aber nicht, dass Sie denken, wir sitzen hier den ganzen Tag mit der Pappnase», ergänzt sein Sohn Dirk. «Scherzartikel sind eine ernste Sache.» In dritter Generation leitet er die 1919 von Großvater Wilhelm gegründete Firma Erfurth Scherzartikel in Hamburg.

Den künstlichen Hundehaufen gibt es mindestens seit 1948 im Sortiment. Damals war er noch aus Gips. «Jetzt haben wir länglichen Hundekot, Knallhaufen, Kothaufen mit Schuhabdruck, Pups-Spray und sogar einen Scheiß-Hut», beschreibt Erfurths Assistentin Angelika Schieck den Produktzuwachs mit klarer Stimme. Der Hundekot gehört zu den wenigen Artikeln, an die von den Mitarbeitern noch selbst Hand angelegt wird. Wenn das Torf-Kleber-Gemisch geformt und lackiert ist, geht es zum Trocknen ins Freien. «Das führt schon mal zu Missverständnissen bei Passanten», wirft Senior Heinz ein. «Aber eigentlich sind wir hier in der Gegend bekannt.»

Bis vor fünf Jahren gab es noch die «Juxbox» auf dem Firmengrundstück. Da kamen die Schüler aus der Nachbarschaft, aber ab und zu auch Laufkundschaft, um sich mit Scherzartikeln einzudecken. Inzwischen wurde der kleine Laden geschlossen - zu unrentabel, zu teuer. Jetzt geben die Erfurths unzerreißbares Klopapier und Korkenzieher mit Linksgewinde nur noch an den Groß- und Einzelhandel ab. «Wir versuchen seit 83 Jahren, damit reich zu werden», scherzt Dirk Erfurth. «Das haben wir nicht geschafft, aber wir können gut davon leben.»

Der Geschäftsführer des Deutschen Verbandes der Spielwarenindustrie in Stuttgart, Volker Schmid, bezeichnet die Scherzartikelbranche als einen «verschwindenden Nischenmarkt». Den Gesamtumsatz schätzt er für 2002 auf 2,5 Millionen Euro. Der Gesamtumsatz im Spielwarenmarkt liege dagegen bei über 3 Milliarden Euro. «Früher ist der Markt für Scherzartikel wesentlich größer gewesen», sagt Schmid. Doch heute gebe es in der Branche fast nur noch «Spinner und Einzelkämpfer».

Bei Erfurths arbeiten drei Fest- und vier Teilzeitkraft. Während der «Saison» müssen alle den ganzen Tag über ran. Und die «Saison» beginnt im Oktober. Dann sind die großen Messen für Spiel- und Scherzartikel in Asien. Dirk Erfurth fliegt regelmäßig nach Hongkong, China und Taiwan, um die neuesten Produkte und Ideen der Branche zu sichten. «Nach einer Woche Messestress kehre ich direkt zum prallen Halloween-Geschäft zurück.»

Seit etwa drei Jahren steigt der Absatz bei Halloween-Artikeln wie abgerissenen Beinen, Hexenhüten und Horrormasken deutlich. Und wenn der 31. Oktober vorbei ist, geht es direkt ins Sylvester-Geschäft. Blei in Form von Fliegenpilzen, Schornsteinfegern oder Kleeblättern zum Bleigießen in der Silvesternacht wird von großen Abnehmern schon im November geordert. Nur die kleinen Einzelhändler bestellen knapp vor Weihnachten.

Dann beginnt bei Erfurths schon das Geschäft für Fasching und Karneval. «Ich weiß nicht, ob das hier ein Traumjob ist», sagt Dirk Erfurth nachdenklich, und seine großen braunen Augen strahlen nicht mehr ganz so stark, «oft schon, aber manchmal ist es auch einfach stressig».

Ein bisschen wartet der 36-Jährige darauf, dass es «Scherzartikel auf Rezept» gibt. Lachen ist schließlich gesund. Doch zur Zeit macht sich bei den deutschen Kunden die Wirtschaftsflaute bemerkbar. «Den Leuten sitzt das Geld nicht mehr so locker in der Tasche.» Aber die Erfurths sind nicht vom Inlandsmarkt allein abhängig. Seit einiger Zeit blüht der Export nach Osteuropa. «Die Russen scheinen das Lachen erst zu lernen. Die haben einen riesigen Nachholbedarf», glaubt Assistentin Angelika Schieck und ihr Chef erinnert sich: «Vor zehn Jahren kamen die Polen. Die haben sich das Auto vollgeknallt und sind weggefahren - das hat sich jetzt normalisiert.»

Dafür gibt es seit zwei oder drei Jahren mehr und mehr russische Stammkunden. Zum Beispiel Sergej vom Schwarzen Meer. Der kam vor fünf Jahren mit der Eisenbahn an die Alster. Die Ware zahlte er im Voraus und mit US-Dollars. Einen Teil nahm er gleich mit auf die Rückreise. Jetzt bestellt er regelmäßig per E-Mail und lässt sich die Ware pallettenweise über eine Spedition kommen.

«Klein war der Betrieb schon immer, aber früher war es ruhiger», sagt Senior-Chef Heinz Erfurth. Er hebt einen Bilderrahmen mit einem Foto hoch, auf dem er und sein Vater Wilhelm auf der Nürnberger Spielwarenmesse 1956 zu sehen sind. «Die Zeiten waren gut, weil die Kunden über einen zuverlässigen Lieferanten einfach froh waren.» So erholte sich die Firma vom Zweiten Weltkrieg und der Zerstörung durch die Bomben.

Heinz Erfurth hat alte Geschäftspapiere aufgehoben. Er zeigt auf eine Rechnung aus der Nazi-Zeit: «Mit deutschem Gruß» steht drunter. Eine Rechnung von 1927 war «in Goldmark auf Dollarbasis (1 Dollar U.S.A. gleich 4,20 Goldmark)» zu begleichen. Die Gegenstände, die es zu bezahlen galt, sind in drei Sprachen aufgeführt: So heißen die Scherzweinbrandbohnen aus Wachs mit Essigfüllung auf Englisch Funny Sweets und auf Französisch Pralinés Plaisentes.

Dirk Erfurth steigt die Treppe zum Erdgeschoss hinunter. Dort arbeitet Ilse Gimmini. Seit 28 Jahren ist sie im Betrieb. Mit einem Kittel bekleidet packt sie so genannte Wurmpillen ein, die im Wasser plötzlich riesig werden. «Eigentlich wollte ich gar nicht so lange bleiben», sagt sie, aber die Arbeit macht ihr Spaß. Genau wie alle anderen im Betrieb zeigt sie ein freundliches Lächeln: «Die Heiterkeit hier ist ansteckend», sagt sie, und ihre Lachfältchen bestätigen die Worte.

Alltagsärger gibt es trotzdem. Kunden, die die Rechnung nicht bezahlen wollen, Lieferanten, die ihre Termine versäumen oder Bürokratie beim Zoll. «Die Produkte kommen fast alle über den Seeweg im Hamburger Hafen an», erklärt Dirk Erfurth. Das ist billiger als mit dem Flugzeug, weil die Ware nach Volumen und nicht nach Gewicht berechnet wird.

Der Zoll will dann entscheiden, ob ein Artikel ein Spielzeug oder ein Scherzartikel ist. Das ist oft gar nicht so leicht festzustellen, und dann werden die Lustigmacher möglicherweise erst einmal beschlagnahmt. «Das kann Monate dauern», sagt der Senior-Chef. Der Unterschied zwischen dem Zoll auf Spielzeug oder auf Scherzartikel kann leicht mehrere hundert Euro betragen. «Außerdem ist es immer lästig, wenn man erst schreiben oder telefonieren muss. Und dann kommen die zweibeinigen Mäuse». Übersetzt: Im Hafen wird manchmal geklaut, aber immer nur kleine Mengen «sozusagen zum Eigenbedarf».

Sohn Dirk gibt das Erfolgsgeheimnis der Firma preis. «Die Sachen müssen nicht unbedingt aufwendig oder mit Elektronik voll gestopft sein.» Das Simple sei oft am Besten. Wie zum Beispiel die selbst entwickelten pfefferscharfen Gummibärchen, die süß-sauren Erdnüsse oder die Bonbons mit Senfgeschmack. Im Hintergrund macht das Pupskissen obszöne Geräusche. Es scheint schon fast zu riechen, und der Chef freut sich diebisch. «Man muss den Blick dafür haben, was den Leuten gefällt.» Den hat er geerbt. Vom Vater und vom Großvater. «Und der Opa ist 101 Komma fünf Jahre alt geworden.» Lachen erhält jung, auch wenn Scherzartikel eine ernste Sache sind.