Sachsen Sachsen: In Torgau spricht man Sächsisch mit Akzent
Halle/MZ. - Beim Flanieren gehen einem die Augen über. Die Fassaden bunt, die Proportionen ausgewogen. In Geschäften und Restaurants sind ein halbes Jahrtausend alte Vertäfelungen, bemalte Balkendecken zu entdecken. Torgaus Altstadtkern umfasst mehr als 500 Einzeldenkmale. Dresdens, Augsburgs oder Triers Renaissancebesitz ist ein Klacks dagegen. Dass der Krieg die Stadt verschonte, ist der kampflosen Übergabe an die Alliierten zu verdanken. Auf der Elbbrücke reichten sich am 25. April 1945 Rotarmisten und GI's der US-Army als Sieger über Hitler-Deutschland die Hände. Bis heute wird der "Elbe-Day" als Volksfest gefeiert. In diesem Städtchen fand Weltgeschichte statt. Luthers ältester Sohn ging hier zur Schule, seine Frau Katharina liegt in St. Marien begraben. Im Mai beginnt in Torgau die 2. Sächsische Landesausstellung, die sich ganz der Reformationszeit widmet. Mittelpunkt ist Schloss Hartenfels, über Jahrhunderte Residenz sächsischer Fürsten. Unter der Zugbrücke brummen Bären, wie schon seit 1425. Im Schloss wird eine hochkarätige Schau gezeigt: 45 Gemälde von Lucas Cranach d. Ä. Alttestamentarische Szenen, aber von auffälliger Sinnlichkeit, darunter viele weibliche Akte. Cranachs unbefangener Umgang mit dem Körperlichen haben zu seiner Zeit für Staunen gesorgt - und verblüffen noch heute. Die Protestanten waren wohl doch keine verkopften Asketen.
Torgau ist Grenzstadt. Letzte sächsische Stadt an der Elbe, die Torgauer sprechen ein anderes Sächsisch als der Rest der Sachsen. Egon Bahr, gebürtiger Torgauer und später Bonner Architekt der Ostverträge, hat diesen eigenwilligen Dialekt immer noch in seiner Sprache. Am Markt gibt es "Loebner", das älteste Spielwarengeschäft Deutschlands, seit 1685 in Familienbesitz. Chef Jörg Loebner vertritt die elfte Generation und sagt lapidar: "Wir überlebten die französische Besatzung, den Siebenjährigen Krieg, die beiden Weltkriege, die Inflation, die Weltwirtschaftskrise, den Sozialismus und die letzte Wirtschaftskrise." Mehr Renaissance als in Torgau gibt es hierzulande nicht. Das steht für Lebenslust und Freude, auch wenn die Stadt die Probleme der Zeit drücken. Doch zwischen den farbigen Fassaden findet man kaum missmutige Stimmung. Torgau scheint das Gegenteil von dem, was böse Zungen "Dunkeldeutschland" nennen. Die schönste Anreise ist die mit einem Elbschiff, wenn sich die strahlenden Türme von Torgau aus der flirrenden Auenlandschaft erheben. Fürstlich!