Ruwen Faller Ruwen Faller: Vom Supertalent zum Lauf-Arbeiter
Halle/Magdeburg/MZ. - Leidenschaft und Leidensfähigkeit, heißt es, sind die wichtigsten Eigenschaften, die einen 400-Meter-Läufer auszeichnen müssen. Beides hat der 28-Jährige bis zur Neige ausgekostet, teils auskosten müssen. Doch er hat sich aufgerappelt, immer wieder. Zahlreichen schweren Verletzungen, drei Operationen zum Trotz.
Wie 2007, als die Achillessehne vor den Belastungen kapituliert hatte. Ruwen Faller kämpfte sich zurück, "weil ich ja die Olympischen Spiele im Kopf hatte", lief bei den diesjährigen deutschen Meisterschaften in 46,05 Sekunden auf Platz drei und ergatterte so auf den letzten Drücker das Ticket für die deutsche 400-Meter-Staffel in Peking. Was für eine Erleichterung. "Ich bin einfach glücklich, dabei zu sein", sagt der Sportsoldat, der ab 2010, nach seiner Leichtathletik-Karriere, einmal sein Geld in der Immobilien-Branche verdienen möchte.
Durchkämpfen musste er sich auch in Magdeburg. Als dort 2004 die Doping-Geschichte um Trainer Thomas Springstein ruchbar wurde, suchte der SC für den Neuanfang einen frischen Coach. Die Wahl fiel auf Marco Kleinsteuber, Fallers Übungsleiter in Jena. Der wechselte von der Saale an die Elbe - und nahm seinen Athleten gleich mit. Natürlich gab es dabei auch einen finanziellen Anreiz. Aber: "Prompt bekam ich den Stempel: Söldner." Der junge Mann aus Bad Säckingen im tiefsten Südwesten mühte sich, gegen die Vorurteile anzulaufen. "Es war schwer. Trotzdem fühle ich mich rundum wohl in Magdeburg. Die Stadt gefällt mir und ist meine zweite Heimat geworden. Hier habe ich außerdem die besten Trainingsbedingungen, die ich jemals vorgefunden habe." Und trotzdem platzte der Knoten nie so richtig.
1999 galt Ruwen Faller als der kommende Superstar. Als 19-Jähriger gewann er zwei Junioren-EM-Titel, lief im selben Jahr erstaunliche 45,74 Sekunden. Sein Potenzial verzückte die Experten. Doch die Bestzeit steht heute noch wie in Stein gemeißelt. Wie ein Mahnmal für Stagnation. "Das wurmt mich wirklich. Vor allem weil ich immer das nervige Urteil: ,Er bleibt ein ewiges Talent' hören musste."
Dabei gab es Ursachen für die vielen vergeblichen Anläufe, der Uhr wenigstens noch ein, zwei Zehntel abzuringen. Andreas Tölle, sein erster Trainer beim SV Wehr, kam 2001 bei einem Unfall ums Leben. Ein Schicksalsschlag für Faller. Aber der Kämpfer in ihm hielt den Ehrgeiz hoch. Er trainierte wie besessen, dosierte dabei falsch ("Ich wollte zu viel.") und geriet in den Teufelskreis von regelmäßigen Verletzungen, die ihn stoppten, gerade wenn die Form stimmte. "Inzwischen weiß ich, welches Pensum gut für mich ist." Er überzieht nicht mehr, hat gelernt, auf seinen Körper zu hören, "weil ich ja nicht mehr die jüngste Rennsocke bin". Das einstige Überflieger-Talent sieht sich heute im "Status des Arbeiters".
Was für Peking von ihm und seinen Teamkollegen Kamghe Gaba (Frankfurt), Simon Kirch (Saarbrücken), Florian Seitz (Berlin), Bastian Swillims (Wattenscheid) zu erwarten ist? "Das Minimalziel ist zweifellos das Finale. Wir träumen von Platz drei bis sechs", sagt Ruwen Faller. Platz drei? Medaille? "Na gut, da müssten Weihnachten und Ostern zusammen auf einen Tag fallen und einige Rivalen vielleicht auch noch den Stab verlieren. Aber warum soll man sich nicht hohe Ziele setzen?", fragt er selbstbewusst.
Die "lustige, verschworene und ehrgeizige" (Faller) Laufgemeinschaft bereitet sich akribisch vor. Noch bleibt etwas Zeit. Am Mittwoch gab es in Mainz die Olympia-Einkleidung. Am Freitag steht noch ein Meeting in Wattenscheid an. Nach einer Woche bei den Eltern in Bad Säckingen wird Faller dann am 10. August in den Flieger nach Asien klettern.