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Rodins «Kuss» im Essener Museum Folkwang

04.02.2007, 16:21

Essen/dpa. - Das nackte Paar aus Bronze oder Marmor gilt seit Generationen als Ikone inniger Liebe: In zärtlicher Umarmung umschlungen, von Abermillionen Fotos, Postkarten und Postern in alle Welt verbreitet, geistert Auguste Rodins (1840-1917) Skulptur «Der Kuss» durch das kollektive Bildgedächtnis der meisten Menschen.

Fast so spannend wie knisternde Erotik ist die wahre Geschichte dieses Meisterwerkes, das der französischen Bildhauer 1881/82 schuf und das nun von Freitag an im im Mittelpunkt einer Ausstellung im Essener Museum Folkwang steht.

Die bis zum 8. April geöffnete Schau «Auguste Rodin. Der Kuss - Die Paare» lässt mit drei Dutzend weiteren erotischen Skulpturen sowie einer Reihe von Aquarellen, Zeichnungen und historischen Fotografien auch ein vielschichtiges Bild des bedeutenden Bildhauers entstehen. Im Gegensatz zu einer vorherigen Station in München ohne trennende Wände wie in einem Kunstsalon der Rodin-Zeit präsentiert, wird in Essen durch unmittelbaren Vergleich der Blick auf die mutige Formfindungen des Franzosen möglich.

Vom meist genutzten Foto-Standpunkt aus abgebildet, scheinen beim «Kuss» die Lippen des sitzenden nackten Paares tatsächlich zu verschmelzen. Doch wer in Essen die Chance nutzt, das frühe Bronze- Exemplar zu umschreiten, bemerkt unschwer, wie sich der Mann gegen die Zärtlichkeit regelrecht wehrt. Die Distanz der Münder, die hart angespannten Rückenmuskeln, die fast zur Kralle gekrampften Zehen des Mannes und seine Hand, die die Berührung mit dem Oberschenkel der Frau nicht wagt: Einen solchen Kuss kann es nicht geben!

Kein Wunder, denn Rodin meinte mit seinem Werk zunächst das unglücklich liebende Paar «Paolo und Francesca» aus Dantes Göttlicher Komödie. Zum gefühligen Erotik-Evergreen «Der Kuss» mutierte das Meisterwerk - mit Billigung des Künstlers - erst in den Folgejahren unter den Händen der von Rodin lizenzierten, geschäftstüchtigen Gießerei. Schimmernde Bronze und glatter Marmor polierten Widersprüche und Abgründe menschlicher Sexualität nun einfach weg.

Dass der als «Don Juan» bekannte Rodin selbst keine Scheu vor der Drastik erotischer Sujets hatte, belegen die meisten der in Essen zu sehenden Werke. Zu des Künstlers Lebzeiten durften sie nur hinter Vorhängen erwachsenen männlichen Ausstellungebesuchern gezeigt werden.

Die mit gespreizten Schenkeln hockende «Kauernde» stammt wie viele andere Motive der Schau aus der langen Arbeit Rodins am vielfigurigen, literarisch geladenen Hauptwerk «Die Höllenpforte». Nach geradezu moderner Collagetechnik taucht die verkleinerte «Kauernde» in weiteren Kompositionen auf, scheinen die von den Kunsthistorikern verschämt als «sapphisches Paare» bezeichneten Frauen beim gemeinsamen Liebesspiel wie beziehungslos «zusammengesteckte» Einzelfiguren, wie ein kleines Gipskunstwerk («Paar») von 1885 zeigt.

Glaubhaft erscheint bei der Zusammenschau im Essener «Salon», dass sich Rodin trotz starker Titel wie «Romeo und Julia» oder «Amor und Psyche» in der Nachfolge Michelangelos vor allem für die Körperlichkeit seiner Darstellungen interessierte - und dabei in zarten Aquarellen oder kühner Bildhauerei («Zwei sich umarmende Frauen»/um 1890) souverän die Grenze zur Abstraktion streift.

www.museum-folkwang.de