Paralympics Paralympics: Der Steinschieber aus Günthersdorf
HALLE/MZ/GS. - Da gibt es zum Beispiel den Second, der als zweiter Spieler seine beiden Steine in Richtung des gegnerischen Hauses über das Eis gleiten lässt. Die Hauptaufgabe des Second besteht darin, die gegnerischen Steine wegzuspielen. Take-out nennen das die Experten.
Dafür ist im deutschen Curling-Team bei den Paralympics in Vancouver der 41 Jahre alte Jens Gäbel zuständig. Jens Gäbel wurde in Günthersdorf geboren und hat seine ersten sportlichen Erfahrungen in der Rollstuhl-Leichtathletikgruppe in Halle-Reideburg gemacht. Mittlerweile trainiert er im Curling-Verein CC Schwenningen und lebt in Saupersdorf in der Nähe von Zwickau.
Seit dem 17. Lebensjahr ist Jens Gäbel nach einem Unfall auf den Rollstuhl angewiesen. Mit seinen Beinprothesen kann er zwar laufen, "aber keine langen Strecken. Deshalb ist Curling für mich die richtige Sportart", sagt Gäbel. Und weil er darin richtig gut ist, spielt er auch in der Nationalmannschaft der Rollstuhlfahrer. Seit sechs Jahren schon und immer auf der Position des Second.
Auf diesem Niveau zu spielen, bedeutet auch jede Menge Reisestress per Flugzeug, Eisenbahn oder Kleinbus. Alles in allem um die 50 000 Kilometer im Jahr, zu internationalen Turnieren, Welt- und Europameisterschaften und zu den Trainingslagern. Das letzte gab es Anfang des Jahres in Schwenningen, weil es dort im Baden-Württembergischen die einzige Halle gibt, in der Curling trainiert werden kann. Tagelang wurden noch einmal Spielzüge geübt, um in Kanada wirklich so perfekt und präzise wie nie zuvor zu sein. Danach haben Kapitän (Skip) Jens Jäger, Gäbel, Marcus Sieger und die drei Frauen Caren Totzauer, Astrid Hoer und Christiane Steger mit ihrem Trainer Helmar Erlewein das ehrgeizige Ziel formuliert: Wir wollen um eine Medaille mitspielen. Nach sechs von neun Vorrundenspielen steht die deutsche Mannschaft auf dem vierten Tabellenplatz. Das würde reichen zum Einzug in das Halbfinale.
Kanada und eine mögliche Medaille sollen dann dem hierzulande oftmals noch müde belächelten Curling zur lange verdienten Popularität verhelfen. Jens Gäbel will seinen lang gehegten Traum von einer Curlinggruppe, einem Verein und vor allem einer Trainingshalle vor der Haustür verwirklichen.
"Die weiten Reisen sind für Rollstuhlfahrer immer ein Problem. Dazu kosten sie jede Menge Geld. Meistens müssen wir das selbst finanzieren, weil es Sponsoren in unserer Randsportart kaum gibt", sagt der Sportler aus Günthersdorf in einem Gespräch mit der "Freien Presse". Und Jens Gäbel weiß aus eigener Erfahrung: "Curling ist für behinderte Menschen ein sehr anstrengender Sport. Man sitzt stundenlang in der kalten Eishalle im Rollstuhl. Da ist es nicht einfach, immer konzentriert zu bleiben. Beim Spiel muss ich mich enorm aus dem Rollstuhl rausbeugen und der Stein wiegt fast 20 Kilo."
Im Sahnpark von Crimmitschau, dort, wo die Eispiraten aus der zweiten Eishockey-Bundesliga zu Hause sind, gäbe es eine Chance für Rollstuhl-Curling. Vielleicht aber auch in Sachsen-Anhalt. Andrea Holz, die Geschäftsführerin des Behinderten- und Rehabilitationssportverbandes des Landes, hat dafür ein offenes Ohr: "Es ergibt sich bestimmt einmal die Möglichkeit, Jens Gäbel in seine alte Heimat einzuladen. Bei dieser Gelegenheit seinen Sport auch einem interessierten Publikum vorstellen. Zum Beispiel in Halles Eissporthalle."