Olympia Olympia: Sarajevo 25 Jahre nach den Winterspielen

Hamburg/dpa. - Die Sporthalle Zetra, in der Jayne Torvillund Christopher Dean ihren unvergesslichen Bolero auf das Eisgezaubert hatten, lag in Trümmern, das Dach von der Hitze derRaketeneinschläge geschmolzen. Der Weg zum Kosovo-Stadion, 1984Schauplatz der Eröffnungsfeier der XIV. Olympischen Winterspiele, wargesäumt von den Gräbern der zahllosen Kriegstoten. Der Eishockey- undPressezentrumskomplex Skenderija war zerstört, nur noch eine Ruine.Wie zum Hohn hatte an seinem Eingang das Olympia-Symbol, einstilisiertes Schneekristall, den Kugelhagel des Bürgerkriegesüberstanden.
Vor 25 Jahren war alles anders. Als am 8. Februar 1984 dieWinterspiele eröffnet wurden, war die Welt in Jugoslawien noch inOrdnung. Sarajevo war eine lebendige, reizvolle, interessante Stadtzwischen Orient und Okzident, die sich bis zum 19. Februar mit derbezaubernden Altstadt und den ausgezeichneten Sportanlagen sowieihren freundlichen, hilfsbereiten Menschen als großartiger Gastgeberfür die besten Wintersportler aus 49 Ländern erwies. Für Juan AntonioSamaranch, den spanischen Präsidenten des Internationalen OlympischenKomitees (IOC), jedenfalls waren die Sarajevo-Spiele die bis dahin«besten in der Geschichte». Als Samaranch zehn Jahre später vonLillehammer aus nach Sarajevo flog, um für die olympische Waffenruhewährend der Spiele zu werben, musste er sich unter den Schutz vonUNO-Soldaten stellen.
Fest steht: Die Organisatoren in der Hauptstadt der damaligenjugoslawischen Teilrepublik Bosnien-Herzegowina meisterten diefinanzielle Herausforderung für das hoch verschuldete Land ebenso wiedie Kapriolen der Natur. Tagelang anhaltende Schneestürme undbitterkalte Winde zwangen ständig zu Änderungen des Programms, zu demin Sarajevo 39 Entscheidungen gehörten. Ein wenig allerdings fehltedie Stimmung, wohl auch, weil jugoslawische Erfolge ausblieben: JureFranko gewann im Riesenslalom mit Silber die einzige Medaille für dieGastgeber.
Den größten Anteil am Medaillenkuchen sicherten sich DDR (9 Gold/9Silber/6 Bronze) und Sowjetunion (6/10/9). In der Zetra-Hallestrahlte Katarina Witt, «das schönste Gesicht des Sozialismus», imGold-Glanz. Am Berg Igman ging der Stern von Skispringer JensWeißflog mit dem ersten Olympiasieg auf. Wolfgang Hoppe feierte aufder Bobbahn Trebevic, die nachts hell über Sarajevo leuchtete undspäter als Schützengraben missbraucht wurde, den Doppelsieg in Zweierund Vierer. Die Eisschnellläuferinnen der DDR gewannen alle vierRennen, wobei sich Karin Enke zweimal mit Gold dekorierte. RodlerinSteffi Martin raste in allen vier Läufen als Schnellste ins Tal. Diesowjetischen Eishockey-Sputniks revanchierten sich mit einemüberlegenen Olympiasieg für die Pleite vier Jahre zuvor in LakePlacid, als sie den amerikanischen College-Boys unterlagen.
Das bundesdeutsche Team (2/1/1) entging nur dank Peter Angerereiner totalen Pleite. Der Biathlet sicherte sich einen ganzenMedaillensatz: Nach Gold und Silber in den beiden Einzelrennen gab esnoch Bronze mit der Staffel. Die zweite Goldmedaille holte das Rodel-Doppel Hans Stanggassinger/Franz Wembacher. «Wir hatten Athletendabei, die nicht annähernd das Erwartete gebracht haben», zog Chef deMission Walther Tröger die ernüchternde Bilanz.
Erfolgreichste Athletin der Sarajevo-Spiele war die finnischeLangläuferin Marja-Liisa Hämäläinen, die alle drei Einzelrennen unddazu noch Bronze mit der Staffel gewann. Unvergessen bleiben vorallem aber Torvill/Dean. Die Briten wurden für ihre Umsetzung vonMaurice Ravels «Bolero» in Tanzbewegungen von den Preisrichtern mitzwölfmal der Höchstnote 6 belohnt und rissen das Publikum in derZetra-Halle von ihren Sitzen.
Dies gelang auch den Leichtathleten bei ihrem Meeting zwölf Jahrespäter. «Wir haben den Menschen einen kleinen Lichtblick in einetriste Welt gebracht», sagte der damalige Präsident des DeutschenLeichtathletik-Verbandes (DLV), Helmut Digel. Doch bis heute sind dieWunden des Bürgerkrieges nicht verheilt. Selbst das Wintersport-Vergnügen trennt die Menschen weiterhin. Die muslimischen Bosniakenfahren am Berg Bjelasnica, an dem einst US-Cowboy Bill Johnson dieAbfahrts-Asse Europas geschockt hatte, zu Tal. Die Serben tummelnsich an der Jahorina, auf der die bundesdeutschen Alpin-Damen umIrene und Maria Epple ein Debakel erlebt hatten. Das «Sarajeevoo»,mit dem Plüsch-Wolf Vucko als Olympia-Maskottchen so viel Freude undOptimismus in die Welt getragen hatte, würde heute wohl noch immersehr traurig klingen.
