Niederlande Niederlande: Keine Tulpenfelder und keine Holzschuhe

Maastricht/dpa. - Ein Mix aus vielen Ländern: Maastricht vereint das Beste aus EuropaIn Maastricht gibt es keine Tulpenfelderund keine Windmühlen, keine Holzschuhe und keine Kanäle. Wer Hollandpur sucht, ist hier fehl am Platze. Aber die südlichsten Großstadtder Niederlande lohnt aus einem ganz anderen Grund einen Besuch: Sieist ein einzigartiger Ländermix, eine Stadt auf der Nahtstelleeuropäischer Kulturen. Der Geburtsort des Euro vereint französischeKüche, rheinischen Frohsinn und burgundische Lebensart.
Die Politesse im Stadtzentrum von Maastricht lässt sich nichterweichen: «Sie hätten einen Parkschein lösen müssen», sagt sie ineinwandfreiem Deutsch zu einer mit Einkaufstüten beladenen Familie,die gerade zu ihrem Wagen zurückgehetzt ist. «Wir sind Touristen, wirkennen uns nicht aus», wendet die Mutter in ebenfalls akzentfreiemDeutsch ein. Die Politesse lächelt säuerlich. «Da oben steht's auchfür Touristen: auf Deutsch, Englisch und Französisch.» Die Frauüberlegt einen Moment, dann sagt sie: «Aber wir sind Luxemburger. Undin Lëtzebuergesch sehe ich nichts.» An Maastricht stellt man ebenetwas höhere Anforderungen.
Im Delikatessengeschäft «Maison Florop» am Markt wird der Käse aufFranzösisch, Englisch, Deutsch und manchmal auch auf Niederländischverkauft. Maastricht liegt als Enklave zwischen Deutschland undBelgien; es ist 20 Minuten von Aachen und eine gute Stunde von Kölnentfernt, aber auch nur 20 Minuten von Lüttich in Belgien, woFranzösisch gesprochen wird, und gute eineinhalb Stunden von Brüssel.
In Maastricht herrschten mal Deutsche, mal Franzosen, mal Spanier,und alle hinterließen ihre Spuren. Noch bis nach dem Krieg wurde inden besseren Familien Französisch gesprochen - Niederländisch waretwas fürs einfache Volk. Mit dem Rheinland verbindet dieMaastrichter der gleiche Singsang im Dialekt. Hinweisschilder derUniversität wiederum sind nur in englischer Sprache verfasst, dennfast die Hälfte der 12 000 Studenten kommt aus dem Ausland. Der Nameder Stadt wiederum stammt aus dem Lateinischen: Die einstigeRömersiedlung begann als Mosae Trajectum, als Maasübergang.
«Für Niederländer ist Maastricht schon Ausland», sagt StephanieHameleers vom Fremdenverkehrsbüro. Und das liegt nicht nur an derhügeligen Umgebung. «Maastricht ist burgundisch» - das bedeutet zumBeispiel, dass die Einwohner deutlich mehr wert auf gute Kleidungleben als die für ihr Understatement bekannten Calvinisten im Norden.Die Maastrichter Küche hat auch nichts mit Poffertjes und Matjes zutun: Die 120 000-Einwohner-Stadt zählt vier Sterne-Restaurants,darunter das mit zwei Sternen ausgestattete «Beluga» von Hans vanWolde im Neubauviertel Ceramique.
Die Restaurant-Szene ist so vielfältig, dass Maastricht weithinals kulinarische Hauptstadt der Niederlande angesehen wird. DiePreise sind allerdings auch dementsprechend gesalzen, aber es muss jaauch nicht unbedingt ein Sternekoch sein. Durchaus noch erschwinglichist etwa das «Mes Amis» an der Tongersestraat 5 mitfranzösisch-niederländischer Küche. Die besten Pommes frites gibt esdagegen bei «Friture Reitz» am Markt - leicht zu erkennen an derlangen Schlange.
Die gebürtige Maastrichterin Claire Hardy, die seit 20 JahrenFührungen macht, kann sich noch gut an die Zeit erinnern, als ihreStadt ein verschlafener Ort in der Provinz war. «Das ist noch garnicht mal so lange her, die ganze kosmopolitische Entwicklung haterst vor 20 Jahren richtig eingesetzt», sagt sie.
Mit dem EU-Vertrag von Maastricht wurde die Stadt 1992 auf einenSchlag weltbekannt, was viele internationale Institute, Unternehmenund Organisationen anlockte. Auch als Konferenz- und Messestadt hatMaastricht einen großen Aufschwung erlebt. Die «European Fine ArtFair/TEFAF» etwa ist eine der bedeutendsten Kunstmessen der Welt.Entsprechend gut ausgestattet ist Maastricht mit Hotels.
Maastrichts größter Trumpf ist sein Altbaubestand - eine nahezugeschlossene Anlage mit Tausenden von denkmalgeschützten Gebäuden,deren Architektur teilweise mehr an Frankreich als an Hollanderinnert. Mit Nimwegen streitet sich Maastricht um den Titel derältesten niederländischen Stadt. Während Nimwegen aber im Kriegzerstört wurde, heißt es von Maastricht noch immer, es gebe dort fürjeden Sonntag des Jahres eine andere Kirche.
So manche davon dient inzwischen aber nicht mehr als Gotteshaus.Die gotische Kruisherenkerk (Kruisherengang 19-23) etwa verwandeltesich in ein Luxushotel mit Glasaufzug im Kirchenschiff und rotemPlüsch im Altarraum. Eine Kirche in der Bonnefantenstraat dient alsHörsaal und Besucherzentrum der Universität. Und in der 800 Jahrealten Dominikanerkirche (Dominikanerkerkstraat 1) ist eineBuchhandlung untergebracht, die von der britischen Zeitung «TheGuardian» zur schönsten der Welt ausgerufen wurde. Direkt über denSonderangeboten wird derzeit die älteste Wandmalerei mit einemBildnis des Kirchenlehrers Thomas von Aquin restauriert.
Typisch für Maastricht sind die hohen Satteldächer: Sie rührendaher, dass früher jeder Bürger dazu verpflichtet war, Vorräte füreine mehrmonatige Belagerung im Haus zu haben. Die strategischeFestungsstadt mit der nördlichsten Maasbrücke - genannt das «Bollwerkder Niederlande» - wurde insgesamt 21 Mal belagert, unter anderem1673 vom französischen «Sonnenkönig» Ludwig XIV. Dabei wurde Grafd'Artagnan, das historische Vorbild für die Hauptfigur aus den «DreiMusketieren» von Alexandre Dumas, von einer Musketenkugel getötet.
Zu den Hauptattraktionen der Stadt gehört eine Besichtigung desunterirdischen Gängelabyrinths, durch das sich die Einwohner währendeiner Belagerung dem Feind nähern und ihn überraschen konnten. DieFührungen durch die Kasematten mit Kuppelgewölben, Pulverkammern undbombensicheren Verstecken gibt es allerdings nur auf Niederländisch.
Ein genialer Ausgleich von Machtinteressen gelang dem ArchitektenPieter Post mit seinem Rathaus von 1665 mitten auf dem großenMarktplatz: Es besteht aus zwei völlig identischen Hälften. Diegeschwungene Haupttreppe führt links in den herzoglich-brabantischen- sprich niederländischen - Trakt und rechts in den fürstbischöflich-lüttichen, womit die französischsprachige Einflusssphäre zu ihremRecht kommt. Den Turm baute ein Deutscher, Flamen lieferten dieWandteppiche, Italiener den Deckenstuck und Franzosen das Mobiliar -Maastricht war sich seiner kulturellen Grenzlage immer schon bewusst.
Freitags ist das Rathaus umgeben mit Marktständen. Gerade dannsind viele Deutsche und Belgier in der Stadt. Aber auch samstagsbummeln viele Besucher aus Aachen, Köln oder dem Ruhrgebiet durch diedann fast übervolle Innenstadt. Die kurzen Abstände zwischen denHäusern lassen sich auch bei Regen leicht überbrücken, und in denvielen Cafés ist es bei schlechtem Wetter noch gemütlicher, zumBeispiel im traditionsreichen «De Bobbel» in der Wolfstraat 32 oderin der Bonbonnière im ehemaligen Stadttheater (Achter de Comedie 1).
Beim ersten Sonnenstrahl sitzt dann aber alles draußen, zumBeispiel auf dem Vrijthof, einem uralten Platz über einem römischenGräberfeld. Ihn dominieren der 70 Meter hohe rote Turm derSankt-Johannis-Kirche und die festungsartige Fassade der ältestenniederländischen Kirche, der Sankt-Servatius-Basilika, die 1985 auchvon Papst Johannes Paul II. besucht wurde. Maastricht ist noch immereine sehr katholische Stadt: In der Liebfrauenbasilika werden jedeWoche 10 000 Kerzen angezündet. Und es ist auch eineKarnevalshochburg - wie in Köln spricht man vom «Vastelaovend».
Da die Ladenmieten zu den höchsten des Landes zählen, musstenviele alteingesessene Geschäfte schließen. Überlebt hat diehistorische Kaffeerösterei Blanche Dael (Wolfstraat 28), offiziellerLieferant von Königin Beatrix. Jüngst hinzugekommen sind dagegen zweiEinkaufszentren: «Entre Deux» zwischen Markt und Vrijthof, das untereinem Glasdach auf drei Etagen viele kleine Fachgeschäfte vereint,und das «Mosae Forum» zwischen Markt und Maas, das sehr elegantjahrhundertealte Gebäudeelemente mit hypermoderner Architekturverbindet. In den Kellergewölben hat vor wenigen Monaten «MosaeGusto» eröffnet, der größte kulinarische Frischmarkt derBeneluxländer mit vielen regionalen Spezialitäten und Delikatessen.
Am Ende wird sich mancher Besucher sagen, dass Europa nach demMaastrichter Vertrag gut auch noch das Maastrichter Modell übernehmenkönnte: überall das Gute herauspicken und so die beste aller Weltenschaffen.
INFO-KASTEN: Maastricht
REISEZIEL: Maastricht ist die südlichste Großstadt der Niederlandeund liegt genau zwischen Deutschland und Belgien.
ANREISE UND FORMALITÄTEN: Die Fahrt mit dem Auto dauert nur einegute Viertelstunde von Aachen aus. Es gibt keine Grenzkontrollen. DieAnreise mit dem Zug ist dagegen von Deutschland aus eher umständlich.
KLIMA UND REISEZEIT: Ein Besuch in Maastricht lohnt zu jederJahreszeit, aber besonders im Sommerhalbjahr, wenn unter freiemHimmel getrunken und getafelt wird.
GELD: Bezahlt wird mit dem Euro.
INFORMATIONEN: VVV Maastricht, Kleine Straat 1, NL-6211 EDMaastricht (Tel. von Deutschland: 0031/43/325 21 21, E-Mail:[email protected]); Niederländisches Büro für Tourismus, Postfach270580, 50511 Köln (Tel.: 0221/925 71 70).
