Letzte Ruhe unter der grünen Wiese
Berlin/dpa. - Unter einer grünen Decke aus Gras liegen sie: Die Urnen hunderter Toter, dicht an dicht in der hintersten Ecke eines Berliner Friedhofs. Kein Namensschild, kein Grabstein deutet darauf hin, wo genau sie in der Erde verschwunden sind.
Die Toten sind anonym begraben worden - meist auf eigenen Wunsch. Auf einem schmalen Betonstreifen haben Angehörige Blumen und Kränze zum Totensonntag abgestellt. Auf der anonymen Grabfläche selbst darf nichts gepflanzt werden, sie bleibt grün.
Etwa ein Viertel aller Bestattungen in Deutschland ist heute anonym, schätzt Alexander Helbach von der Verbraucherinitiative Bestattungskultur Aeternitas im nordrhein-westfälischen Königswinter. Bundesweite Daten hierzu gibt es nicht. Helbach spricht von einem Großstadtphänomen. Außerdem gebe es ein starkes Nord-Süd-Gefälle. In Norddeutschland werden die meisten anonymen Bestattungen vermutet. In den Küstenstädten gebe es viele Seebestattungen, sagte der Vorsitzende des Verbandes der Friedhofsverwalter Deutschlands, Manfred Zagar. Im katholisch geprägten Süden lehnten Gläubige dagegen eine Leichenverbrennung und somit auch eine Urnenbestattung oft ab.
Umgang mit Toten verlernt
Eine Metropole der anonymen Bestattungen ist Berlin. 2008 waren dort mehr als 41 Prozent aller Beerdigungen anonym, teilte das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg mit, das als eines der wenigen Daten hierzu führt. 1992 waren es knapp 22 Prozent.
Von einer «Entsorgungsmentalität» spricht Kerstin Gernig, Pressesprecherin beim Bundesamt Deutscher Bestatter in Düsseldorf. «Viele Menschen wissen nicht mehr, wie sie mit Verstorbenen umgehen sollen.» Anonyme Gräber bieten hier eine vermeintlich einfache Lösung. Sie gelten als pflegeleicht und billig. Vor allem alte Menschen entscheiden sich dafür, da sie ihren Kindern und Enkelkindern nicht mit einer jahrelangen Grabpflege zur Last fallen wollen. Der Rasen der Grabwiese wird vom Friedhofsgärtner gemäht.
«Unkraut zupfen, Blümchen pflanzen und Grabstein putzen» seien aber für die Trauerbewältigung sehr wichtig, sagt Andrea Krumbein, die die sechs Friedhöfe der evangelischen Sophien-Gemeinde in Berlin verwaltet. Vielen Angehörigen seien die Folgen nicht bewusst, wenn sie den Vertrag für eine anonyme Bestattung unterschreiben. «Manchmal kommt es vor, dass sie später sagen: Ich komme damit nicht klar, wir heben die Urne aus und begraben sie an einer anderen Stelle wieder», so Krumbein.
Über Alternativen informieren
Hinterbliebenen rät Krumbein, sich nicht nur beim Bestattungsunternehmen, sondern auch direkt bei den Friedhöfen zu erkundigen. Besonders kirchliche Friedhöfe böten inzwischen Alternativen zur «grünen Wiese» an. «Menschen anonym zu verscharren, passt nicht zu unserem Weltbild», so Krumbein. Über einigen Grabwiesen hängen darum inzwischen Namenstafeln. Und es gebe Urnengräber, die noch günstiger seien: So koste eine kleine Grabstelle für eine Urne auf den kirchlichen Friedhöfen Berlins mit knapp 540 Euro etwa 100 Euro weniger als ein anonymes Wiesengrab, so Krumbein. «Und hier können Blumen gepflanzt und Grabsteine aufgestellt werden.»
Ein weiterer Trend der anonymen Bestattungen löst sich gänzlich von den Friedhöfen. Immer mehr Menschen wollen in sogenannten Friedwäldern zur Ruhe kommen. Dort wird die Asche von Verstorbenen am Fuß eines Baumes begraben - mitten in der Natur des Waldes.