Kulturprogramm Kulturprogramm: Ein Poesieautomat bastelt Fußballgedichte zur WM

München/dpa. - Wäre dieses Fußballspiel einGedicht, dann könnte es womöglich so beginnen: «Hurra! Wir müssenjetzt spinnen. Roberto Baggio - zu hoch hinaus. Der spielt wie seineEnkelinnen.» Oder auch, kurz und prägnant: «Italien - Brasilien.Absurde Liebe, die nimmermehr steht.»
All diese Verse stammen nicht etwa von professionellen Lyrikern,auch nicht von Spielern, Zuschauern oder Trainern, sie kommen auseinem Automaten. Den hat sich der Weltfußballverband FIFA anlässlichder WM in Deutschland ausgedacht, programmiert und online gestellt.Am Mittwochabend wurde er im Fußball-Globus in München vorgestellt.
Ursprünglich stammt die Idee für einen Poesieautomaten von demDichter und Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger. Schon 1974 hatteer die Maschine in einem Aufsatz vorgeschlagen. Und obwohlDeutschland im selben Jahr Fußballweltmeister wurde, hatte seine Ideenichts damit zu tun. «Ich bin der totale Fußball-Analphabet», bekenntEnzensberger, «ich wollte lediglich eine Art Spielzeug erfinden -eine Maschine, die beliebig viele Gedichte erfinden kann und aufeinem kleinen mathematischen Modell mit den Gesetzen der Kombinatorikberuht.»
André Heller, Kulturkoordinator der Fußball-Weltmeisterschaft undlangjähriger Freund von Enzensberger, gefiel die Idee und so wurdesie Teil des offiziellen Kunst- und Kulturprogramms zur WM. Für jedesder 64 Spiele entstehen mit Hilfe einer Software Gedichte. DerComputer greift dabei auf verschiedene Datenbanken zurück, dieeinerseits einen großen Fundus an Satzteilen und Worten beinhaltenund andererseits nach jedem Spiel mit den wichtigsten Ereignissengefüttert werden. Wer hat das entscheidende Tor geschossen, wer dierote Karte bekommen und welcher Torwart einen Elfmeter gehalten - alldiese Ereignisse werden so zum Inhalt des Gedichts.
«Wir wollen damit Menschen erreichen, die sich sonst nicht so mitkulturellen Dingen beschäftigen», sagt Volker Bartsch,Geschäftsführer der Kulturstiftung des Deutschen Fußball-Bundes(DFB). Deswegen soll nicht nur die Entstehung der Gedichte, sondernauch ihre Verteilung ungewöhnlich sein. Auf Zugtickets am Bahnhof undKassenzetteln im Supermarkt sollen die Deutschen während derWeltmeisterschaft ihr tägliches Gedicht zum Spiel lesen können. Undwem das nicht reicht, der kann sich im Internet noch mehr Gedichtebasteln. Einfach das gewünschte Spiel und die gewünschte Gedichtsformeingeben, ein Klick und fertig ist das Gedicht.
«Was dabei herauskommt, ist natürlich Glückssache», sagt HansMagnus Enzensberger, «aber der Automat ist auch ein bisschen alsPrüfung gedacht: Wen jemand nicht besser ist als die Maschine, dannkann er das Dichten eigentlich bleiben lassen.»