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Kulturhauptstadt Lille Kulturhauptstadt Lille: Die unbekannte Schöne im Norden Frankreichs

16.12.2003, 08:24
Beleuchtete Gebäude des Kongresszentrums Euralille in Lille. (Foto: dpa)
Beleuchtete Gebäude des Kongresszentrums Euralille in Lille. (Foto: dpa) dpa/dpaweb

Lille/dpa. - Mit Lille präsentiert sich nicht nur eine Stadt,sondern gleich eine ganze Region als Europas Kulturhauptstadt 2004.Denn genau genommen besteht die Metropole Lille aus 87 einzelnenGemeinden. Nahe der Grenze zu Belgien in Nordfrankreich gelegen, giltLille als eine verkannte Schöne, die viel besser ist als ihr Ruf.

«Waffeln und Schokolade zählen zu den süßen Spezialitäten derStadt», erzählt Madeleine Estienne, die ein Feinkostgeschäft in derAltstadt von Lille führt. Wer mit ihr erst einmal ins Gespräch kommt,kommt so schnell nicht wieder vor die Tür - die Bewohner von Lillelieben es eben gesellig. Die Geschäfte in der Altstadt sind zumeistim Erdgeschoss barocker Häuser im flämischen Baustil untergebracht.Viele von ihnen stammen noch aus dem 17. Jahrhundert - jener Zeitalso, in der Lille die Nationalität wechselte. Fast siebenJahrhunderte lang hatte die heute 214 000 Einwohner zählende Stadt zuFlandern gehört. Erst 1667 wurde sie französisch.

Auf der Grand Place, dem großen Platz im Herzen der Stadt, sitzendie Menschen in den Straßencafés in der Sonne. Überall sind jungeMenschen zu sehen. «In Lille gibt es 100 000 Studenten», erläutertAnnick Berner, eine Deutsche, die im Büro desKulturstadtjahr-Programms arbeitet. Direkt an der Grand Place könnendie Hochschüler bei «Furet du Nord», der möglicherweise größtenBuchhandlung der Welt, auch ihre wissenschaftliche Lektüre kaufen.

Nicht weit entfernt befindet sich «La Vieille Bourse». Die AlteBörse zählt zu den prächtigsten Gebäuden der ganzen Stadt. Unter denArkaden des Renaissance-Innenhofes haben Buchhändler ihre Ständeaufgebaut - so manches antiquarische Schnäppchen ist dort zuerstehen. Und an lauen Sonntagabenden in der wärmeren Jahreszeitwiegen sich an diesem Ort Tangotänzer zu Klängen des Bandoneons.

Von der Alten Börse ist es auch nicht weit bis zur Oper von Lille,die im Kulturstadtjahr in neuem Glanz erstrahlt. Während eineraufwendigen Renovierung war der Bau geschlossen. Jetzt ist hierwieder «Don Giovanni» von Mozart zu hören und zu sehen. Weitere Opernvon Puccini, Händel und Georges Aperghis sollen 2004 folgen.

Eine wirkliche Institution kulinarischer Art in nächster Nähelässt sich kaum ein Tourist entgehen: die 1761 gegründete und immernoch historisch eingerichtete Patisserie Méert. Dort können Kuchen,Schokolade und die traditionellen «Les Gaufres» - die berühmtenWaffeln - gekauft werden. Schon Staatspräsident Charles de Gaulleließ sich regelmäßig sein Lieblingsgebäck aus der Stadt schicken, inder er am 22. November 1890 das Licht der Welt erblickt hatte.

Durch die Leckereien frisch gestärkt, kann der Stadtrundgangfortgesetzt werden. Beim Eintritt ins «Hospice Comtesse» beginnt fürdie Besucher eine Zeitreise ins Mittelalter - das ehemaligeArmenhospiz aus dem Jahre 1237 ist heute ein Museum. Zu sehen sindhistorische Möbel, Gemälde und Kunstgewerbe.

Für Kunstfreunde ist auch der Besuch des «Palais des Beaux-Arts»ein Muss: In dem stattlichen Gebäude aus dem 19. Jahrhundert befindetsich eine der größten Sammlungen europäischer Malerei, Skulpturen undKeramik überhaupt. Auf insgesamt 22 000 Quadratmetern drängen sichWerke zum Beispiel von Van Dyck, Donatello, Goya und Rodin. Im März2004 wird dort eine große Rubens-Retrospektive eröffnet.

Eine Besonderheit gilt es im Keller des Museums zu entdecken. Dortsind große Reliefs von Städten der Umgebung ausgestellt. Sie wurdenin der Zeit des «Sonnenkönigs» Ludwig XIV. angefertigt. Jede Straße,jedes Haus und jeder Baum ist dort verzeichnet. Die historischenModelle dienten den Militärs als Grundlage für Angriff undVerteidigung. Lange Zeit waren diese «Satellitenaufnahmen der frühenNeuzeit» streng geheim und im Louvre in Paris versteckt.

Ein architektonisches Kontrastprogramm zur Altstadt ist dasmoderne Lille im Osten des Zentrums. Im neuen Stadtviertel Euralillehaben Architekten aus mehreren Ländern Wohn- und Geschäftshäuser mitGlasfassaden gebaut, darunter auch ein Einkaufszentrum. Gleichnebenan befinden sich die Bahnhöfe «Lille Flandres» und «LilleEurope». Beide werden im Kulturjahr mit Hilfe von Farbfiltern undLichtkunsteffekten besonders ausgeleuchtet. Auch die Rue Faidherbeunterzieht sich 2004 einer Verwandlung: Die breite Straße wurde nachdem Vorbild Barcelonas umgebaut - auf der Stadtpromenade mit breitenGehwegen können die Fußgänger nun ungehindert spazieren.

Einen langen Stadtbesichtigungs-Tag lassen Lille-Besucher gerne ineinem der romantischen Restaurants in der Altstadt ausklingen. In derRue de Gand zum Beispiel reiht sich ein Lokal neben das andere. Eineturbulentere Alternative ist ein Besuch im Cabaret «Folies de Paris».Dort führen Tänzer, Sänger und Schauspieler eine bunte Revue auf.«Einen Abend ganz wie in Paris - wir bieten internationaleskünstlerisches Niveau», verspricht Cedric Tocaven vom Management.

Wer am Wochenende nach Lille reist, kann sonntags einen der Märktein der Stadt besuchen. Bunt und fast exotisch zum Beispiel gibt sichder Markt von Wazemmes, der zum einen Teil im Freien und zum Teil inder alten Markthalle stattfindet. In dem multikulturellen Stadtteilleben Menschen aus mehr als 30 Nationen zusammen. Viele der einstigenIndustrieanlagen liegen dort brach, doch für einige gibt es nun eineneue Zukunft. So wird etwa die ehemalige Textilfabrik Leclercq in ein«Maison de Folie» - einen Kulturtreffpunkt - umgebaut.

Insgesamt zwölf «Maisons Folies» – auf Deutsch: «Verrückte Häuser»- entstehen im Rahmen des Kulturstadtjahres. Ehemalige Fabrikgebäude,Brauereien und Gehöfte wurden mit großem Aufwand saniert und derÖffentlichkeit zugänglich gemacht. Dort entstehen Wohnungen fürKünstler, Treffpunkte für die Bevölkerung des jeweiligen Viertels undVeranstaltungsräume. Auch Touristen sind willkommen. Eine große Kücheund ein Speisezimmer sind jeweils die zentralen Orte der Anlagen.

«Wir sehen die "Maisons Folies" als kulturelleEntwicklungswerkstätten. Wenn das Kulturjahr vorbei ist, können sieweiter genutzt werden», sagt Olivier Célarié vom KulturstadtbüroLille 2004. Das Konzept und die Zukunft der «Maisons Folies» stehtund fällt dabei mit dem Engagement der ansässigen Bevölkerung, denndie Bürger selbst sollen sich später um die Projekte kümmern.

Auch in Roubaix, einer der wichtigsten Städte im Großraum Lille,entsteht ein «Maison Folie» in einer alten Wollfabrik. Die ehemaligeTextilhochburg lässt sich mit der Metro von der Innenstadt Lilles in20 Minuten erreichen. Allein die Fahrt birgt eine gewisse Attraktion,da die Metro vollautomatisch funktioniert, also ganz ohne Zugführer.

Roubaix ist der Wohnort von meist arbeitslosen Textilarbeitern undvielen Immigranten, aber auch von einigen der reichsten FamilienFrankreichs. Die Stadt zieht jährlich rund drei Millionen Besucheran. Viele von ihnen kommen auch wegen der beiden Outlet-Center mitrund 160 Modegeschäften - ein Zeichen dafür, dass Roubaix bis heuteeng mit der Herstellung von Textilien verbunden ist. DieIndustriestadt besitzt aber auch eine architektonische Perle: dasKunst- und Industriemuseum «La Piscine». «Unser schönes Gebäude imArt-déco-Stil wurde 1932 als Schwimm- und Badeanstalt gebaut»,erklärt Gunilla Lapointe, die Besucher durch die Sammlung führt.

Im Schwimmbecken, wo früher die Badegäste plantschten, könnenKunstinteressierte heute Skulpturen und Gemälde aus dem 19. und 20.Jahrhundert betrachten. Modefans erwartet in der ersten Etage eineumfangreiche Kollektion von Stoffen aus dem 16. bis 21. Jahrhundert.«Selbst die Designer von Chanel kommen zu uns nach Roubaix, um sichvon der Vergangenheit inspirieren zu lassen», sagt Lapointe. Im «LaPiscine» wird ab September 2004 eine Ausstellung über «Picasso unddie angewandte Kunst» präsentiert.

INFO-KASTEN: Lille

REISEZIEL: Lille liegt im Norden Frankreichs und gehört zur RegionNord-Pas-de-Calais.

ANREISE: Im Raum Lille kreuzen sich mehrere Autobahnen, die Parismit Brüssel und dem Ärmelkanal verbinden. Zum Beispiel von Köln ausbrauchen Autofahrer dreieinhalb Stunden. Flugreisende erreichen dieStadt über den Flughafen Paris-Charles de Gaulle, den die Lufthansaund Air France von mehreren deutschen Städten aus täglich ansteuern.Von Paris dauert die 220 Kilometer lange Autofahrt etwa zweieinhalbStunden, der Schnellzug TGV braucht nach Lille etwa eine Stunde.

KLIMA UND REISEZEIT: Lille kann ganzjährig gut besucht werden. DieMitnahme eines guter Regenschutzes ist empfehlenswert.

WÄHRUNG: In Frankreich wird mit dem Euro bezahlt.

UNTERKUNFT UND TICKETS: Im Raum Lille stehen viele Hotels derunterschiedlichsten Kategorien zur Verfügung. Der «Citypass Lille2004» ermöglicht die kostenlose Benutzung der öffentlichenVerkehrsmittel, freien Eintritt zu mehr als 30 Museen sowievergünstigten Eintritt zu Ausstellungen. Für einen Tag kostet derPass 20 Euro, für zwei Tage 30 Euros und für drei Tage 45 Euro.

INFORMATIONEN: Maison de la France, Westendstraße 47, 60325Frankfurt (Tel.: 0190/57 00 25, Fax: 0190/59 90 61 jeweils für 62Cent pro Minute, Internet: www.franceguide.com); Tourismusamt derStadt Lille, Place Rihour, BP 205, F-59002 Lille (Internet:www.lilletourism.com); Informationsbüro des Kulturstadtjahres Lille2004, 105 Centre Euralille, F-59777 Euralille (Tel. von Deutschland:0033/3/28 52 20 65, Internet: www.lille2004.com).