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Jubiläum Jubiläum: 100 Schalker Jahre

Von Ulli Brünger 02.04.2004, 15:19
Olaf Thon wiegt den UEFA-Cup im vereinseigenen Museum in Gelsenkirchen wie ein kleines Baby in den Armen.(Foto vom 10.03.2004). Die Mannschaft um den damaligen Schalker Kapitän Thon hatte den UEFA-Pokal 1997 nach einem Elfmeter-Krimi gegen Inter Mailand gewonnen und damit für den größten Erfolg in der 100-jährigen Vereinsgeschichte gesorgt. (Foto: dpa)
Olaf Thon wiegt den UEFA-Cup im vereinseigenen Museum in Gelsenkirchen wie ein kleines Baby in den Armen.(Foto vom 10.03.2004). Die Mannschaft um den damaligen Schalker Kapitän Thon hatte den UEFA-Pokal 1997 nach einem Elfmeter-Krimi gegen Inter Mailand gewonnen und damit für den größten Erfolg in der 100-jährigen Vereinsgeschichte gesorgt. (Foto: dpa) dpa

Gelsenkirchen/dpa. - Wie ein Baby wiegt er den riesigen Pokal in den Armen. Liebevoll blickt Olaf Thon auf das gut polierte Stück. «Den habe ich damals mit nur einer Hand hoch gehoben. Kaum zu glauben, das schaffe ich jetzt nicht mehr», gesteht der frühere Fußball-Nationalspieler. Er blickt sich um in dem kleinen, mit Fan- Artikeln und Erinnerungsstücken voll gestopften Raum des Vereinsmuseums zwischen altem Parkstadion und der supermodernen Arena AufSchalke.

Im Hintergrund flimmern Bilder von der fantastischen Reise des FC Schalke 04 durch Europas Fußball-Stadien über einen Bildschirm. Wie auf Knopfdruck lösen die Filme bei dem 37-Jährigen Erinnerungen an den größten internationalen Erfolg des Revierclubs in der 100- jährigen Vereinsgeschichte aus. «Ich bin ja sehr emotionslos, im Herzen Realist. Aber wenn man diese Bilder jetzt nochmal sieht...»

Es ist der 21. Mai 1997, ein lauer Abend im Mailänder Giuseppe- Meazza-Stadion, als der damalige Schalker Kapitän nach dem Elfmeter- Krimi gegen Inter Mailand den UEFA-Pokal in die Höhe stemmt. Ein magischer Moment für die 25 000 Fans, ein unvergesslicher Augenblick für Spieler, Trainer Huub Stevens, die königsblaue Familie um Manager Rudi Assauer und Präsident Gerd Rehberg, ein Glücksfall für Gelsenkirchen und die ganze Region.

«Das war die Krönung einer sensationellen Saison, einfach wunderbar. Wir hatten eine super Kameradschaft und ein tolles Team mit Marc Wilmots, Jiri Nemec, Ingo Anderbrügge und all den anderen. Für mich war es das schönste Jahr meiner Karriere», schwärmt Thon, der zuvor schon drei Mal deutscher Meister mit Bayern München war.

Einen Moment wie 1997 hatte der Bergmannssohn aus Gelsenkirchen- Horst, der 1990 in Italien mit der Nationalelf Weltmeister wurde, schon einmal erlebt. Am 2. Mai 1984 trifft der vom Vorortclub STV Horst-Emscher gewechselte Thon mit dem damaligen Zweitligisten Schalke im Pokal-Halbfinale vor 71 000 Fans im Parkstadion auf Bayern München. Einen Tag nach seinem 18. Geburtstag erzwingt er in der letzten Minute der Verlängerung mit seinem dritten Tor das 6:6 und damit das Wiederholungsspiel. Seither ist Thon für eingefleischte Fans eine «Legende» wie Ernst Kuzorra, Fritz Szepan, Reinhard «Stan» Libuda oder Klaus Fischer. Thon schmunzelt: «Das war mein größtes Spiel überhaupt.»

Dann hält er inne, im Museum herrscht plötzlich Hochbetrieb. Rollstuhlfahrer aus dem «Josephsheim» im sauerländischen Olsberg umlagern ihn. Kurzerhand zückt er einen Stift. Autogramme werden geschrieben, Fotos gemacht. «Schalke ist Religion, ist Kult. Wir haben so viele Fans, dann muss man sich auch um sie kümmern», lautet sein Motto.

Die Nähe zu den Anhängern gehört auf Schalke zum Programm. Regelmäßig statten Profis, Manager oder Trainer einem der mehr als 1200 Fan-Clubs Besuche ab und diskutieren mit ihnen über Wohl und Wehe der «Knappen». Thon, der seine Laufbahn vor fast zwei Jahren beendete, ist als «hauptamtlicher Repräsentant» fast ständig unterwegs. Sponsorentreffen, Benefizspiele, Werbetermine, Fernsehauftritte, Fantreffen, Diskussionsrunden. «Ich bin das Mädchen für alles.»

Zu seinen Aufgaben gehören nicht nur gelegentliche Übungseinheiten mit den Nachwuchsteams, er trainiert auch mit Taubstummen und Hörgeschädigten. Kürzlich wurde er gar zu einem Koma-Patienten gerufen, dessen Krankenzimmer mit blau-weißen Fanartikeln geschmückt war. «Die Verwandten haben gehofft, dass dadurch eine Brücke gebaut wird.»

Thon kann mit dem Vorstandsvorsitzenden eines Weltkonzerns ebenso charmant plaudern wie mit dem arbeitslosen Sozialhilfeempfänger über vergebene Chancen meckern. Gemeinsame Basis: Schalke und Fußball. «Wir waren und sind ein Arbeiterverein. Hier geht es zu wie in einer Familie, auch wenn die Familie inzwischen so groß geworden ist, dass man nicht mehr alle kennt.» Einen ähnlichen Status im europäischen Fußball verkörpere nur Real Madrid. «Was Real in Spanien ist, ist Schalke in Deutschland.» Die «Königlichen» und die «Königsblauen».

Sein Blick schweift zu einem Zeitungsausschnitt, der Ernst Kuzorra 1940 nach dem Gewinn des fünften Meistertitels mit einem Lorbeerkranz zeigt. «Kuzorra war für mich der Größte. Er und seine Kollegen haben in den 30er Jahren alles in Grund und Boden gespielt. Er war der Kopf der Mannschaft», schwärmt Thon. Damals hatte das Team um «Clemens», wie Kuzorra gerufen wurde, und dessen Schwager Fritz Szepan den «Schalker Kreisel» kreiert und den Mythos des Vereins begründet und Fußball regelrecht zelebriert. Zwischen 1934 und 1942 wird Schalke sechs Mal deutscher Meister und gewinnt einmal den Pokal. In die Geschichte geht der 9:0-Sieg im Endspiel um die erste großdeutsche Meisterschaft gegen Admira Wien 1939 ein.

Diese Erfolge waren nicht abzusehen, als acht Schüler und Lehrlinge am 4. Mai 1904 den Ball ins Rollen bringen. «Westfalia Schalke» nennen die Jugendlichen ihren Verein, den sie im Schlagschatten der Zeche Consolidation im Gelsenkirchener Vorort Schalke aus der Taufe heben. Die ersten Spiele finden auf einer holprigen Wiese statt.

Um ins Stadtregister aufgenommen zu werden, muss der Vorsitzende 21 Jahre alt sein. Von den Jugendlichen angesprochen, übernimmt Heinrich Hilgert, Steiger und Wiegemeister auf Zeche Consol, 1909 den Vorsitz, angeblich mit den Worten: «Jau, ick dau dat.» Im Februar 1912 nimmt der Westfälische Fußballverband (WSV) den Verein auf, als er sich dem Schalker Turnverein 1877 anschließt, den der auf Consol angestellte Fritz Unkel führt.

Mit Beginn des 1. Weltkriegs 1914 wird der Spielbetrieb eingestellt, weil die meisten Spieler eingezogen werden. Der Bankangestellte Robert Schuermann gründet 1915 den Verein Westfalia Schalke neu, ehe er in den Krieg zieht und seine Frau Christine den Vorsitz übernimmt. Mit der Einberufung fast aller Spieler endet der Spielbetrieb 1917. Am 24. Juli 1919 fusioniert Westfalia mit dem Turnverein 1877 zum «Turn- und Sportverein Schalke 1877».

Ernst Kuzorra wird am 17. Februar 1920 Clubmitglied. Schalke feiert Erfolge, steigt Jahr für Jahr eine Klasse auf. Viele Bergleute besuchen die Spiele und die Zeche Consol unterstützt den Verein beim Ausbau des Sportplatzes an der Grenzstraße. «In dieser Zeit», erzählt Thon, «wurde der Begriff der "Knappen" geprägt.» Inflation und Massenarbeitslosigkeit verschärfen die Gegensätze zwischen Turnern und Sportlern. Die deutsch-nationale «Deutsche Turnerschaft» fordert die «reinliche Scheidung». Das Ende des TuS Schalke ist die Geburtsstunde des neuen Vereins.

Fritz «Papa» Unkel, einst Vorsitzender der Turner, wechselt zu den Fußballern. Unter seiner Führung treffen sie sich am 5. Januar 1924 in einer Kneipe Ecke Wilhelminen- und Grenzstraße. Die Mitglieder übernehmen das Gründungsjahr der alten Westfalia und einigen sich auf den Namen «Fußballclub Schalke 04» mit den Vereinsfarben Blau und Weiß. Im September 1929 wird die «Glückauf-Kampfbahn» eingeweiht. Sie bleibt die Heimstätte bis zur Fertigstellung des 56 Millionen Mark teuren Parkstadions 1973.

Schalke ist unglaublich populär, erlebt aber Ende 1930 auch den ersten Skandal. Der Westfälische Fußballverband erklärt 14 Akteure, die für Spiele und Training ein verbotenes Handgeld von 10 Reichsmark pro Tag kassieren - erlaubt sind fünf - zu Berufsspielern und sperrt sie. Der Verein wird bis zur Zahlung der Strafe von 1600 Reichsmark vom Verband ausgeschlossen. Beim ersten Spiel nach dem Ende der Sperre am 1. Juni 1931 stürmen 70 000 Fans die Glückauf-Kampfbahn und erleben das 1:0 gegen Fortuna Düsseldorf. Drei Jahre später wird Schalke in Berlin erstmals deutscher Fußballmeister.

Das Auf und Ab, die Mischung aus Skandalen und Triumphen, Jubel und Tränen, Hingabe und Frust machen die Faszination des Traditionsclubs aus. Selbst der Papst konnte sich dem nicht entziehen. Johannes Paul II. wurde bei seinem Deutschland-Besuch am 2. Mai 1987 Ehrenmitglied.

Momentaufnahmen: der siebte deutsche Meistertitel 1958, die höchste Bundesliga-Niederlage mit 0:11 gegen Borussia Mönchengladbach 1967, der Bundesliga-Skandal in den 70er Jahren, der Schalke den Begriff «FC Meineid» einbringt. Auch die von Skandalen geprägten Amtszeiten der Präsidenten Günter Siebert und Günter Eichberg gehören dazu. Dieser hinterlässt dem Verein 1993 knapp 20 Millionen Mark Schulden. Nicht zu vergessen die Pokalsiege 1972, 2001 und 2002, die «Vier-Minuten-Meisterschaft» 2001 und die Einweihung der 185 Millionen Euro teuren Multifunktions-Arena AufSchalke, die als modernstes Stadion Europas gilt.

In 100 Jahren hat sich der Vorortverein zum traditionsreichen Konzern mit einem Gesamtumsatz von mehr als 130 Millionen Euro (2002) gemausert. Und es geht weiter: In den nächsten Jahren entstehen ein Reha-Zentrum, ein Hotel und eine Fußball-Erlebniswelt.

Gründe, den 100. Geburtstag zu feiern, gibt es viele. Schalke organisiert und inszeniert Veranstaltungen im gesamten Bundesgebiet. «Es werden die größten Feiern, die es je bei einem Club in Europa gegeben hat. Aber wir wollen kein Programm für wenige Ehrengäste, sondern in erster Linie für und mit unseren Fans feiern. Das wird zünftig, lustig und ein bisschen schräg», verspricht Assauer, der gemeinsam mit dem übrigen Vorstand im vergangenen Jahrzehnt den Aufstieg vom Skandalclub zum florierenden Unternehmen vorantrieb. Thon adelt Assauer mit den Worten: «Er kommt gleich nach Kuzorra. Er ist der Kopf des heutigen FC Schalke.»

Über 40 000 Kilometer touren die «Königsblauen» an 100 Tagen von April bis September unter dem Motto «Schalke unterwegs» mit einer Roadshow quer durch die Republik, von Kiel bis Konstanz, vom Ruhrgebiet bis Cottbus in der Lausitz. Unter dem Motto «Schalke kickt» sind beim größten Kleinfeldturnier für Hobbyfußballer 1280 Teams mit mehr als 15 000 Spielern in 16 Städten am Ball.

Besonders stolz ist Assauer auf das weltweit erste für einen Fußballverein kreierte Musical. «Nullvier - an Gott kommt keiner vorbei» wird am 9. Mai im Gelsenkirchener Musiktheater im Revier (MiR) uraufgeführt. 20 Vorstellungen sind geplant, mehr als 14 000 Tickets verkauft. Am 8. Mai feiert Schalke bei der 100. Veranstaltung in der Arena mit Fans und Gästen seine Jubiläumsparty.

Thon freut sich auf das Wiedersehen mit Freunden und Wegbegleitern. «Dann können wir in Erinnerungen schwelgen», sagt er, der eng mit dem Verein verbunden ist und dennoch nicht träumerisch der Vergangenheit nachhängt. «Personen sind zu ersetzen. Der Mythos Schalke bleibt.»