iposa.de - Magazin für Halle iposa.de - Magazin für Halle: Mai 2003: Coffeeshop im Paragrafenland
Halle/iposa. - Im Sommer des vergangenen Jahres hatte Stefan Krötenheerdt eine Idee. Einen Coffeeshop in Halle zu eröffnen, wäre eine gute Sache. „In Berlin haben solche Lokalitäten im amerikanischen Stil seit gut drei Jahren einen echten Boom erlebt“, erzählt der 40-Jährige, der bis dato eine Szene-Kneipe in Pankow betrieb. Doch nach 21 Jahren zog es ihn in seine alte Heimatstadt an der Saale zurück, zu der er nie den Kontakt aufgegeben hatte. Warum soll dies in Halle nicht funktionieren.
Nostalgie im Bermuda-Dreieck
Ein freies Ladengeschäft musste gesucht werden, für welches „die Lage am Wichtigsten“ war. „Man hat meist nur eine Chance, um seine Investitionen nicht zu verschenken“, berichtet er ernst. Räume am Hansering, am Uniring und in der Ulrichstraße erfüllten nicht ganz die Vorstellungen und so zog Krötenheerdt „auch die Nostalgie in das alte hallesche Bermuda-Dreieck“ in Giebichenstein. Ein wenig Glück gehörte aber dazu, denn der Laden in der Burgstraße 4 wurde gerade erst frei, er kannte den Vermieter „aus alten Zeiten“ und ab Oktober 2002 war Krötenheerdt der neue Mieter. So weit. So leicht.
Und ab ging es zur Anmeldung ins Gewerbeamt, welches in Halle den Namen „Sachbereich Erlaubnispflichtiges Gewerbe“ trägt. Lohn der fünfminütigen Aktion in Halle-Neustadt war zwar kein Hinweisblatt für Gewerbetreibende in Halle, aber immerhin ein Gewerbeschein für eine „Backwarenverkaufsstelle mit Ladengastronomie“ und ein Strafzettel für „Parken ohne Parkscheibe“. Da muss der Jung-Unternehmer lachen. „Willkommen in Halle“, dachte der Existenzgründer.
Am 15. November war es dann endlich soweit und der Vater eines Kindes eröffnete sein neues Geschäft „il rospo – Coffeeshop & Croissanterie“. Bagels, Teigtaschen, Strudel, Croissants und jede Menge Kaffee für Geschäftsleute, Studenten und Schüler. Aber auch Angestellte der Stadt Halle sollten schon bald zu den „Stammgästen“ des neuen Coffeeshops zählen.
Freundliche Gespräche
Im Dezember besuchte die erste städtische Beauftragte vom Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsamt den Laden in der Burgstraße. „Ein freundliches Gespräch“, wie Krötenheerdt betont. Kleinere Mängel wurden diskutiert, protokolliert und die Abstellung bis zum Mai 2003 festgelegt. „Auch fehlte noch mein schriftlicher Nachweis, dass ich als Ladenchef mich als Angestellten selbst über die Hygieneordnung belehre. Warum auch immer.“ Auch dieses Versäumnis sollte nachgeholt werden. Dem Amt war der Nachweis im Januar 2003 gleich noch einen zweiten Besuch im Laden wert, diesmal auch in doppelter Besetzung. Doch eine Klärung erfolgte schnell, da die fehlende Unterschrift vor Ort nachgeholt werden konnte.
Vier Monate nach Anmeldung des Gewerbes kam „prompt“ dann auch die erste Post vom Finanzamt. Diverse Fragen, wie „Was haben Sie vor, zu verkaufen?“ verwunderten den Jung-Unternehmer. „In Berlin meldet das Gewerbeamt dem Finanzamt die Gewerbedaten. Wofür habe ich denn dort sonst die rund 25 Euro bezahlt? Dieselben Angaben noch einmal zu machen ist doch pure Schikane“, echauffiert sich Krötenheerdt. Hinzu kamen zum Ärger des Unternehmers die fehlende Absenderadresse des Amtes und die Angabe der Gebühren in D-Mark-Beträgen. „Erstes war mit einem echten Rechercheaufwand verbunden, zweites fand ich dagegen eher amüsant“, sagt er und schmunzelt.
Im Februar kam es dann auch zum ersten Besuch des Ordnungsamtes in seinem Laden. Zwei freundliche Mitarbeiterinnen schauten sich das neue Geschäft an, tranken einen Kaffee, beanstandeten Tresenstühle und das diese angemeldet werden müssen. „Soweit so gut“, doch nur zwei Tage später folgte ein Schreiben, welches für Krötenheerdt die bisherige Krönung bürokratischer Arbeit war.
Eindruck machen, Eindrücke sammeln
„Die Kontrolle ergab, dass es für Sie zwingend notwendig ist, die geforderte Erlaubnis zu beantragen. Würde es sich bei Ihrem Geschäft wirklich nur um einen Einzelhandel mit Ladengastronomie handeln, dürften Sie keinen Alkohol ausschänken und keine Sitzplätze haben. Vor allem dürfte der Bereich der Ladengastronomie nur eine Nebenleistung zum Einzelhandel sein. Das ist bei Ihnen nicht der Fall. Wenn man Ihr Geschäft betritt, hat man nicht den Eindruck, sich in einem Einzelhandelsgeschäft für Backwaren zu befinden.“
Auf welcher rechtlichen Grundlage nach „Eindruck“ entschieden wird, ist für Krötenheerdt nicht nachvollziehbar. „Was bitte ist denn der Eindruck? Dürfen die Leute auch per Eindruck entscheiden, ob ich überhaupt Kaffee kochen kann?“ Auch glaubt er, dass „auf dieser Basis eigentlich niemand eine Entscheidung treffen kann, was die Nebenleistung und was die Hauptleistung meines Geschäftes ist.“ Auch erscheinen ihm Formulierungen wie „zwingend notwendig“ als deutlich unangemessen.
Doch um weiteren Problemen aus dem Weg zu gehen, wollte er die „Beantragung einer Schank- und Speisewirtschaft“ gerne nachholen. Antragsformular und ein Merkblatt für alle vorzulegenden Unterlagen waren dem Schreiben schon beigefügt. „Das war ein freundliches Entgegenkommen des Amtes“, gibt es trotz des Ärgers für Krötenheerdt auch positive Aspekte. Acht Unterlagen zur Person, „in Berlin waren dies vier“, und drei zum Gewerbebetrieb waren als neue Herausforderung zu besorgen, auszufüllen und weiterzuleiten. Als „äußerst ehrenrührig“ bezeichnet Krötenheerdt dabei die Vorlage eines „Auszug aus dem Schuldnerverzeichnis vom jeweiligen Amtsgericht“, also Halle. Dieser sagt aus, ob gegen die betreffende Person ein Schuldnerverfahren in der Stadt vorliegt.
„Ob ich in Berlin, Dresden oder Bernburg verschuldet wäre, erfährt man dabei nicht. Also ist dies doch eigentlich unrelevant“, wundert er sich. Mehr noch erstaunen ihn die einzureichenden „Angaben über die berufliche Betätigung und den Aufenthalt der letzten 3 Jahre“. „Was spielt das für eine Rolle, ob ich die ganze Zeit im Gefängnis saß, Dealer war oder Vorstandschef bei Volkswagen? Ich will hier einfach nur Kaffee und Gebäck verkaufen.“ Und zornig fügt er die Frage hinzu: „Ist so etwas nur Neugier oder Amtsschikane?“ Doch es gibt keine Gnade, denn auch „Bau- und Nutzungsgenehmigung“ sind für den Gewerbebetrieb noch zu besorgen. „Ist das nicht Sache meines Vermieters? Das verstehe ich einfach nicht“, beginnt er so langsam über seinen Aktenbergen zu verzweifeln. „Die Bearbeiter in den Ämtern kommen mir bei persönlichen Gesprächen meist entgegen, doch erscheinen die Verordnung doch vor allem die eigenen Leute zu verunsichern. So hat man das Gefühl, die Ämter haben Angst vor den eigenen Gesetzen.“
Müll und Geld und Buße
Ebenfalls im Februar kommt dann auch Post der Abfallberatung vom Fachbereich Umwelt: Anhörung gemäß § 28 Verwaltungsverfahrensgesetz. Das Gewerbe ist „bisher nicht an die öffentliche Abfallentsorgung angeschlossen“, steht darin geschrieben. Und nach Aufzählung von insgesamt neun umständlichen Paragrafen und Verordnungen wird darauf hingewiesen, dass dies „mit einer Geldbuße von bis zu 50 000 Euro geahndet“ werden kann. „Woher soll ich wissen, dass ich Mülltonnen bestellen muss und meinen Abfall nicht mit in den Hausmüll werfen kann? Niemand hat mich bislang darauf hingewiesen.“ Und so erscheint ihm die erste Post dieser Behörde eigentlich als Frechheit. „Ein Anschreiben mit dem Hinweis auf das Versäumnis und die Nachholung in einer für arbeitende Bürger machbaren Frist wäre durchaus angebracht gewesen.“ Doch so fühlt er sich eher wie ein Krimineller als ein Existenzgründer behandelt. Der erregte Anruf beim Umweltamt traf jedoch auf volles Verständnis. Die Bestellung einer erforderlichen Restmülltonne war kein Problem. „Diese war ja kostenpflichtig.“
Die Bestellung der erforderlichen Wertstofftonnen erwies sich dagegen als schwieriger. Für deren Auslieferung ist in Halle die Firma WER GmbH zuständig. „Doch bereits die Dame der städtischen Abfallberatung wies darauf hin, dass man bei WER wahrscheinlich zu hören bekommt, dass derzeit keine gelben Tonnen vorhanden sind. Ich solle einen noch einen schönen Gruß bestellen und sagen, dass ich eine gelbe Tonne bekommen soll.“ Und so kam es dann auch. „Nur Papiertonnen waren vorhanden und so warte ich bis jetzt auf eine Gelbe Wertstofftonne. Dabei hoffe ich, damit nicht wieder gegen irgendeine Verordnung zu verstoßen.“
«Bin ich gleichzeitig mein Ehemann?»
Im März flatterte dann auch ein zweites Schreiben vom Finanzamt in Krötenheerdts Briefkasten. Von der äußerst schlechten Kopie eines amtlichen Briefes abgesehen - „Sieht das etwa seriös aus?“ - wurde er hier aufgefordert, die Art seiner beruflichen Tätigkeit zu benennen. „Dies war bereits das dritte Mal“, erscheint ihm auch dieses Schreiben überflüssig. Auch weiß er nicht, welche Unterschriften bei Ehemann und Ehefrau gefordert werden. „Bin ich gleichzeitig mein Ehemann?“ Doch routiniert, wie er mittlerweile ist, wird er auch diese Hürden meistern. „Vielleicht will die Stadt ja ihre Unternehmer einfach nur erziehen“, meint er ein wenig süffisant. Sein Fazit jedenfalls steht fest. „Die Leute in den Behörden sind meist sehr entgegenkommend, jedoch verschanzen sie sich allzu oft hinter irgendwelchen aufgeblasenen Gesetzen und Verordnungen.“ Doch es wird auch weiterhin Menschen geben, die diese Probleme der Existenzgründung in Halle meistern wollen und werden. „Denn“, so Krötenheerdt, „Schlimmer geht’s immer.“