Gesellschaft Gesellschaft: Die «E-xilanten» kommen
Greifswald/Reutlingen/dpa. - Flexibilität ist heutzutagegefragt. Beruf, Ausbildung oder die große Liebe verschlagen vieleDeutsche rund um den Erdball oder zumindest in andere Bundesländer.Heimatseiten im Internet lindern ihr Heimweh oder vermitteln Kontaktezu anderen «E-xilanten».
Wenn der Wahl-Greifswalder Onno Gabriel sein E-Mail-Postfachleert, liest er regelmäßig Zuschriften aus den USA, bisweilen auchaus Pakistan und Brasilien. «Viele wollen wissen, was aufgeschnappteplattdeutsche Wörter bedeuten, oder suchen einfach nur Kontakt zurHeimat.» Gabriel und einige Gleichgesinnte haben sich selbst zuBotschaftern Ostfrieslands erkoren. Deren ständige Vertretung hatihren Sitz im Internet unter www.botschaft-ostfriesland.de.
Nordseebrise, Tee und die herbe Herzlichkeit von Land und Leutenvermisste Gabriel, als er vor neun Jahren die Stadt Leer für einPhysikstudiums im Osten der Republik verließ. Gleichzeitig ärgerteihn, dass seinen Landsleuten der Ruf vorauseilt, über wenigGehirnschmalz zu verfügen. Im Internet wollte er kundtun, was dieMenschen auf dem platten Land hinterm Deich zu bieten haben.
Deshalb berichtet Gabriel nun mit viel Humor über ostfriesischeTraditionen wie eigenwillige Teezeremonien oder die kauzige SportartWatt-Wettrennen. Wer testen will, ob er noch heimattauglich ist, kann- nicht ganz ernst gemeinte - Fragen in einem «Einbürgerungsantrag»beantworten. Zur Belohnung gibt es einen «Ostfriesenausweis». Mehrals 7000 Mal wurde dieser inzwischen beantragt.
Täglich mehr als hundert Zugriffe verzeichnet die Seite, derenDiskussionsforum zur Anlaufstelle für die «Buten» genanntenExil-Ostfriesen geworden ist. «Die Leute fühlen sich zu Hause, wennsie auf unserer Seite an ihre Heimat erinnert werden», sagt OnnoGabriel, der selbst plant, «irgendwann» zurückzukehren.
Noch ausgeprägter als im Norden scheint die Heimatverbundenheit insüddeutschen Regionen: An «Schwaben weltweit» richtet sich dieInternetseite www.schwobakonnektschn.de. Sie versteht sich alsSchwabenportal und bietet Dutzende Links zu Seiten über einheimischeKochrezepte, Künstler, Mundart, Anekdoten oder andere Schwaben imAusland. Auch schwäbische Online-Wörterbücher sind dabei.
Häufig aufgerufen wird die Seitewww.die-schwaben-und-ihre-welt.de, auf der Michael Saettler ausEningen bei Reutlingen über Mentalität und Kultur der Zeitgenossen im«Ländle» schreibt. Seine elektronische Zeitung «Schwobablättle» wirdregelmäßig tausendfach aus dem Netz geladen - selbst in den USA undauf den Französischen Antillen. Zwei Treffen hat Saettler bislang fürseine Leser auf die Beine gestellt. Exil-Schwaben kamen dazu unteranderem aus Kanada und Belgien. «Den Menschen kommen die Tränen, wennKindheitserinnerungen geweckt werden», sagt Saettler.
Auch «E-xilanten» aus anderen Teilen Deutschlands finden onlineAnlaufstellen. Umfang und Aktualität der in der Regel privaten Seitenschwanken allerdings erheblich. Ein Diskussionsforum für«Hessegebabbl» hat der gebürtige Wiesbadener und heutiger KarlsruherJürgen Strentzsch unter www.exilhessen.de eingerichtet.
Hauptstädter, die nach Nürnberg und Umgebung gezogen sind, solldie Seite www.exil-berliner.de ansprechen. Eigentlich für alle Bayernfern der Heimat gedacht, informiert die Seite www.exilbayern.dederzeit nur über Stammtische in Frankfurt/Main und Stuttgart. «Dawird nicht Hochdeutsch gesprochen, sondern wie einem der Schnabelgewachsen ist», sagt Seitenbetreiber Michael Maier. Kontakte zumErfahrungsaustausch vermittelt der Verein E-xil-Saarländer ausSaarbrücken auf seiner gleichnamigen Webseite www.exil-saarlaender.de.
Aktuelle Informationen aus der Heimat bieten auch Lokal- undRegionalzeitungen, die Weggezogene als Zielgruppe für ihreOnline-Auftritte erkannt haben. So versteht sich die «SächsischeZeitung» (SZ) in Dresden laut Werbeslogan als «Zeitung fürExilsachsen». Jeder vierte Abonnent der elektronischenZeitungsausgabe wohnt nicht in Sachsen. «Es gibt viele, die ausberuflichen Gründen aus der ehemaligen DDR weggezogen sind, aber nochKontakt zur Heimat halten wollen», sagt «SZ-Online»-Redakteur MirkoJakubowsky. Eine Übersicht mit mehr als 600 Internetpräsenzen vonLokalzeitungen ist auf der Website des Bundesverbandes DeutscherZeitungsverleger www.bdzv.de aufgelistet.
Einige Weggezogene ziehen es aber auch weiterhin vor, Heimatlichesauf Papier zu lesen. So verschickt Verleger Charly Lehner ausSaarbrücken seit den achtziger Jahren jedes Quartal die Zeitung«Nemmeh dahemm» an rund 2000 Exil-Saarländer - eine Online-Ausgabeist nicht geplant.