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Geboren im KZ

Von Esteban Engel 28.04.2010, 08:09

Berlin/dpa. - Als im April 1945 amerikanische Soldaten das Konzentrationslager Kaufering I in Bayern befreien, trauen sie zunächst ihren Augen nicht: Sieben jüdische Säuglinge und ihre Mütter haben in den Baracken überlebt.

George, Jossi, Leslie, Marika, Agnes, Judit und Szuzi - drei Jungen, vier Mädchen und ihre Mütter, alle irgendwie durch die Maschen der NS-Terrormaschine gerutscht.

Viele Jahre verstand Marika Nováková aus der slowakischen Kleinstadt Dunajská Streda nicht, warum ihr Geburtsort im fernen Kaufering lag. Beharrlich hatte die Mutter das Geheimnis für sich behalten. Und auch als die WDR-Autorinnen Eva Gruberová und Martina Gawaz sie dazu befragen wollten, lehnte Eva Fleischmanová ein Interview ab.

Doch dann brach sie ihr Schweigen. Vor der Kamera zeichnet sie ihren Leidensweg von Auschwitz bis Kaufering nach, erzählt von der Geburt ihrer Tochter und dem Antisemitismus der Nachkriegsjahre. «Geboren im KZ» heißt der Bericht über das Schicksal der sieben Mütter, der an diesem Mittwoch (28. April, 23.30 Uhr) in der ARD läuft.

Auch die 87-jährige Miriam Rosenthal muss mit den Worten ringen. Mit Miriam Novákova hat sie in den vergangenen 65 Jahren ein Foto verbunden. Die Aufnahme eines amerikanischen Soldaten zeigt die Mütter in der Baracke mit den Neugeborenen. Es war für die Filmemacherinnen der erste Hinweis auf das Wunder von Kaufering.

Vor der Kamera spricht Miriam Rosenthal zum ersten Mal nach der Befreiung wieder deutsch. Nach dem Krieg emigrierte sie nach Kanada, begann in Toronto ein neues Leben für sich, ihren Mann, auch einen Holocaust-Überlebenden, und Sohn Leslie. Bis heute lastet die Vergangenheit wie ein schwerer Schatten auf Miriam, immer wieder bricht sie die Erzählung ab, kämpft mit den Tränen.

«Ich habe lange gedacht, dass ich in einem Wald geboren wurde», erzählt Marika Nováková. Was für ein Ort das genau war, blieb ihr lange verborgen. «Ich wusste nur, dass man dort Menschen gequält hat.» Die Kamera begleitet sie bis vor den Zaun von Auschwitz und nach Augsburg, wo die Frauen für die Waffenindustrie arbeiten mussten, sowie nach Kaufering I, einem Außenlager des KZ Dachau.

Zweimal stand Marikas Mutter vor Josef Mengele auf der «Selektionsrampe» in Auschwitz. Der KZ-Arzt zwickte ihr in die Brust, um nach Muttermilch zu tasten. Doch Eva Fleischmanová gelang es, den Bauch zu verhüllen und die Schwangerschaft zu verbergen.

«Und alle sind gegangen ins Krematorium»

Unerbittlich hatte der «Reichsführer SS» Heinrich Himmler in seiner Posener Geheimrede vom 6. Oktober 1943 die Ermordung der jüdischen Kinder gerechtfertigt: «Ich hielt mich nämlich nicht für berechtigt, die Männer auszurotten - sprich also, umzubringen oder umbringen zu lassen - und die Rächer in Gestalt der Kinder für unsere Söhne und Enkel groß werden zu lassen.» Systematisch ermordeten die Nazis die Kinder - insgesamt 1,5 Millionen.

Auch Miriam Rosenthal blickte dem Tod in die Augen. «Auf einmal kommt ein SS-Mann mit einem großen Lautsprecher: Alle Frauen heraus! Bekommen doppelte Portionen.» Fast alle gehorchen, nur Miriam Rosenthal bleibt stehen. Eine innere Stimme hält sie zurück. «Und alle sind gegangen ins Krematorium», nur sie blieb stehen.

Wie Marikas Mutter wurde die 22-Jährige von Auschwitz nach Kaufering gebracht. Nur dank der Solidarität der Mitgefangenen hätten sie überlebt. Wenn die Wöchnerinnen zur Zwangsarbeit antreten mussten, wurden die Babys von Mithäftlingen geschützt und aufgepäppelt.

Nach dem Krieg wurden Mütter und Kinder in alle Richtungen zerstreut. Als Miriam Rosenthal das Schwarz-Weiß-Foto an ihre einstige Leidensgefährtin Marika in die Slowakei schickt, geht die Spurensuche der Tochter zu Ende. Sie entschließt sich nach Kanada zu fliegen, um mehr von ihren ersten Lebenswochen zu erfahren. «Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich Marika jemals wieder sehen werde», sagt Miriam.

An diesem Donnerstag (29. April) treffen sich sechs der sieben Kinder zum ersten Mal nach dem Krieg wieder - zur Eröffnung einer Ausstellung über das Schicksal ihrer Mütter im einstigen Konzentrationslager Dachau.