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Gastgeber Turin Gastgeber Turin: Winter-Olympia endlich wieder in Europa

Von Hans-Hermann Mädler 18.01.2006, 11:08
Das Palasport Olimpico ist eines der beiden Sportstätten, in denen die Eishockey Wettkämpfe ausgetragen werden. Im Olympiastadion werden die Eröffnungs- und Schlußveranstaltungen der Olympischen Winterspiele 2006 in Turin gefeiert. (Foto: dpa)
Das Palasport Olimpico ist eines der beiden Sportstätten, in denen die Eishockey Wettkämpfe ausgetragen werden. Im Olympiastadion werden die Eröffnungs- und Schlußveranstaltungen der Olympischen Winterspiele 2006 in Turin gefeiert. (Foto: dpa) ANSA

Turin/dpa. - Obwohl auch einenMonat vor der Eröffnungsfeier am 10. Februar im «Stadio Comunale» beiden unterkühlten Norditalienern nur wenig olympische Begeisterung zuspüren war und nur die Maskottchen «Neve» und «Gliz» allgegenwärtigwaren, gab sich der Präsident des Internationalen OlympischenKomitees (IOC), Jacques Rogge, optimistisch: «Ich bin sicher, dassTurin und die Berge mit Beginn der Spiele erwachen getreu ihremSlogan 'Hier lebt die Leidenschaft'».

Leicht wird das nicht. Hat das IOC mit der Vergabe der Spiele andie Industriemetropole am Po doch nicht nur den Trend zu Winter-Olympia in Großstädten fortgesetzt. Vielmehr steht angesichts dertopographischen Gegebenheiten zu befürchten, dass die XX.Winterspiele zu zwei Veranstaltungen werden: die in der 900 000-Einwohner-Stadt Turin mit allen Hallen-Wettbewerben auf Eis und jenein der Bergregion um Sestriere mit allen Entscheidungen auf Schnee.Rund 100 Kilometer liegen zwischen Turin und Sestriere, und nur eineenge, zweispurige Straße windet sich in die Höhe von 2000 Metern. Istdiese dicht, geht nichts mehr: Einen «Plan B» hat dasOrganisationskomitee TOROC nicht. Vorsorglich wurde bereits die Zahlder zugelassenen Zuschauer reduziert.

Sicher ist, dass die zweiten Winterspiele in Italien nach Cortinad'Ampezzo 1956 als die ersten «Flutlicht-Spiele» in die olympischeGeschichte eingehen werden. 46 der 84 Entscheidungen fallen an den 17olympischen Tagen bis zum 26. Februar nach 17.00 Uhr. HoheEinschaltquoten versprechen sich von Goldmedaillen in derHauptsendezeit auch die öffentlich-rechtlichen Fernseh-Anstalten ARDund ZDF, die täglich im Wechsel übertragen und insgesamt 350 Live-Stunden produzieren. In mehr als 170 Ländern flimmern dieWinterspiele über den Bildschirm und spülen Organisatoren, IOC undInternationalen Sportverbänden allein vom US-Fernsehen NBC und deneuropäischen EBU-Anstalten Einnahmen von 748 Millionen Dollar in dieKasse. Welche Entwicklung seit Cortina! Damals zahlte dasOrganisationskomitee dem Staats-TV RAI noch umgerechnet zweiMillionen Mark für den Aufbau der technischen Anlagen.

Fast ungebremst geht - trotz aller gegenteiligen Bekundungen desIOC - die Ausweitung der Spiele weiter. In Turin wird das Programmgegenüber Salt Lake City noch einmal um sechs Medaillen-Wettbewerbe -auf 84 in 15 Disziplinen - erweitert: Team-Entscheidungen imEisschnelllauf und Langlauf-Sprint, das Cross-Rennen der Snowboarderund der Massenstart im Biathlon stehen erstmals im Programm. Nur dieLangläufer mussten dafür ein Einzelrennen opfern. Rund 2500 Sportler(Salt Lake City: 2399) aus 80 Ländern (Salt Lake City: 77) werden imPiemont erwartet und in drei Olympischen Dörfern von Turin, Sestriereund Bardonecchia untergebracht.

Dort droht denen Ungemach, die unredlich sportlichen Lorbeererringen wollen. Das strenge italienische Anti-Doping-Gesetz lässtneben Gefängnisstrafen für Doping-Sünder auch Razzien in denOlympischen Dörfern zu und damit einen Eingriff in bisherunbestrittenes Hoheitsgebiet des IOC. Rogge ist in derAuseinandersetzung mit der römischen Regierung gescheitert, für dieZeit der Spiele eine Aussetzung dieser Gesetze zu erreichen. Das IOCversteht sich bei Olympia als alleiniger Herr des Verfahrens bei derBeurteilung und Sanktionierung von Doping-Vergehen. Festgelegt ist,dass vor und während der Spiele 1200 vom IOC veranlasste Kontrollen(45 Prozent mehr als 2002) auf alle Substanzen vorgenommen werden,die auf der Verbotsliste der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) stehen.Ähnlich wie die USA 2002 nach den Terroranschlägen vom 11.September 2001 ist der italienische Staat, der angesichts derAmerika-freundlichen Haltung der Regierung von MinisterpräsidentSilvio Berlusconi seit längerem als Zielobjekt islamischerTerroristen gilt, besonders bei den Sicherheitsvorkehrungengefordert. Rund 9000 Polizisten sollen eingesetzt werden, 2500Soldaten stehen zudem bereit. Der Luftraum und Terrorverdächtige imIn- und Ausland werden überwacht. Über konkrete Maßnahmen schweigtsich Rom aber ebenso aus wie über die Kosten.

Mit den eigenen Ausgaben hatte TOROC bis zuletzt zu kämpfen. Vorallem deshalb wurde Mario Pescante, der schärfste Rivale von ThomasBach bei der Wahl eines Vizepräsidenten auf der IOC-Vollversammlungvom 7. bis 10. Februar in Turin, von Rom als Aufpasser eingesetzt.Erst vier Wochen vor Beginn der Spiele wurde der TOROC-Etat von 1,3Milliarden Euro endgültig abgesegnet und dies, obwohl TOROC-PräsidentValentino Castellani kurz zuvor eingeräumt hatte, dass 30 Millionenfehlen. Die Summe könnte sich noch erhöhen, denn der Kartenverkauflief äußerst schleppend. Mitte Februar waren erst gut 600 000 dereine Million Tickets verkauft. Castellani hofft aber auf den Absatzweiterer 200 000 Karten: «Italiener kaufen nicht zwei, drei Monatevorher.»

Große Ansprüche werden von Öffentlichkeit, Medien, NationalemOlympischen Komitee (NOK) und den Sportlern selbst an das deutscheTeam gestellt, das voraussichtlich die Rekordzahl von 165 bis 170Aktiven umfasst. «Ich hoffe, dass wir in Turin unser selbstgestecktes Ziel erreichen, nämlich die Top-Position in derNationenwertung», hat NOK-Präsident Klaus Steinbach den Ansprucheindeutig formuliert. Das Selbstvertrauen basiert auf den großartigenErgebnissen in der vergangenen Saison und im laufenden Winter. Dazukommt die Gewissheit, dass im Wintersport das deutscheLeistungssportsystem funktioniert.

Nach Platz eins im Medaillenspiegel von Nagano hatte Deutschlandin Salt Lake City den Platz an der Sonne mit 12 Mal Gold, 16 MalSilber und 8 Mal Bronze und der olympischen Rekordzahl von 36Medaillen nur deshalb an Norwegen (13/5/7) verloren, weil dieSkandinavier nach der Doping-Disqualifikation des für Spanienstartenden Langläufers Johann Mühlegg zwei weitere Goldmedaillen am«Grünen Tisch» gewannen. Viel spricht dafür, dass es auch in diesemJahr zu einem Duell um Platz eins im Welt-Wintersport zwischenDeutschland und Norwegen - mit Kanada, dem wiedererstarkten Russlandund den USA als Herausforderer - kommen wird.

Entscheidende Bedeutung kommt dabei Biathleten und Langläufern zu.Können Sven Fischer, Ricco Groß und Co. Ole-Einar Björndalen Parolibieten? Oder katapultiert sich der Norweger mit einem ähnlich totalenTriumph wie 2002 mit damals vier Siegen sogar vorbei an seinemLandsmann Björn Dählie (8/4/-) als erfolgreichstem Teilnehmer allerWinterspiele? Halten Jochen Behles Langläufer um Ex-Weltmeister AxelTeichmann der norwegischen Garde stand?

Zu den großen Hoffnungen zählen auch Doppel-Weltmeister RonnyAckermann in der Nordischen Kombination und die Rodler um Sylke Ottound Georg Hackl. Der Berchtesgadener, der sich den Olympia-Teilnehmern auch bei der Wahl als Athletenvertreter ins IOC stellt,hatte nach zahlreichen Verletzungen wieder die Hoffnung, nach dreiMal Gold (1992/1994/1998) und zwei Mal Silber (1988/2002) dieEinmaligkeit von einer Medaille bei sechs aufeinander folgendenWinterspielen zu schaffen.

Natürlich blickt auch alles auf die Eisschnellläuferinnen, die aufSiege abonniert sind: Anni Friesinger und Claudia Pechstein, dieihren Platz an der Spitze der erfolgreichsten deutschen Winter-Olympioniken (4/1/2) ausbauen kann. Und weil die deutschen Athletenin die meisten Wettbewerbe mit Chancen gehen, ist es nicht einmalausgeschlossen, dass sie mit bisher 108 Gold-, 104 Silber- und 88Bronzemedaillen sogar Russland (113/91/78) vom ersten Platz des«ewigen Medaillenspiegels» verdrängen. Prominente Jubler haben sichin Bundespräsident Horst Köhler, Sportminister Wolfgang Schäuble undVerteidigungsminister Franz Josef Jung bereits angesagt.

Das offizielle Logo der Olympischen Winterspiele im italienischen Turin im Jahre 2006 vorgestellt in Rom. (Foto: dpa)
Das offizielle Logo der Olympischen Winterspiele im italienischen Turin im Jahre 2006 vorgestellt in Rom. (Foto: dpa)
ANSA
Gliz (blau) und Neve, die Maskottchen der olympischen Winterspiele 2006 in Turin, umarmen sich während der Präsentation von "Turin 2006" in der Galeria Colonna in Rom.(Foto: dpa)
Gliz (blau) und Neve, die Maskottchen der olympischen Winterspiele 2006 in Turin, umarmen sich während der Präsentation von "Turin 2006" in der Galeria Colonna in Rom.(Foto: dpa)
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