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Frankreich Frankreich: Auf den Spuren der Provence des Paul Cézanne

Von Hanns-Jochen Kaffsack 21.12.2005, 10:43
Cézanne suchte auch Motive im Umland seiner Heimatstadt Aix-en-Provence. Die Gegend bei Bibémus inspirierte ihn zu dem Bild «Steinbrüche von Bibémus», das im Folkwang-Museum Essen hängt. (Foto: dpa)
Cézanne suchte auch Motive im Umland seiner Heimatstadt Aix-en-Provence. Die Gegend bei Bibémus inspirierte ihn zu dem Bild «Steinbrüche von Bibémus», das im Folkwang-Museum Essen hängt. (Foto: dpa) Jean-Claude Carbone/Labo Photo M

Aix-en-Provence/dpa. - Der Weg war nicht zu steil, der jungeMann konnte mühelos mit seinem Begleiter über Gott und die Weltplaudern. Lavendel, Rosmarin, Pinien und Krüppelgewächse hatten ihrenZickzackkurs bergauf ebenso begleitet wie das Zirpen der Zikaden. EinKloster aus dem 17. Jahrhundert schmiegt sich an den Felsen, vomGipfel aus kann man weit in der Ferne das Mittelmeer erahnen. So oderso ähnlich muss ein Schlüsselerlebnis des jungen Paul Cézanne gewesensein, als er «seinen» Berg erkundete, das grandiose Kalksteinmassiv Sainte-Victoire: Gebadet in das faszinierende Licht des Südens, wurdedas Gebirge für ihn Ausdruck glücklicher Jugend. 2006 wird häufigdaran gedacht werden, denn Cézannes Todestag jährt sich zum 100. Mal.

Wie besessen sollte Cézanne später, als großer französischer Malerund Wegbereiter der Moderne, das schroffe weiße Kliff im Meerprovenzalischer Farben auf Leinwände bannen. Dutzendfach in Öl, aberauch als Aquarell oder bloße Skizze verewigt er die zwölf Kilometerlange Kalksteinscholle bei Aix-en-Provence aus diversen Perspektiven- für eine Nachwelt, die seine Meisterwerke endlich erkennt. Picassoerhebt ihn zur «Vaterfigur», «eine Art Gott der Malerei» sieht HenriMatisse in ihm.

Die Liebe zu seinem legendären Hausberg treibt ihn etliche Maledazu, Staffelei, Pinsel und Farben im Atelier zu lassen und sich alsWanderer auf den Weg zu den Anhöhen unter dem Gipfelkreuz «Croix deProvence» zu machen. Vielleicht hat er sein Skizzenbuch dabei. Dochdie Sicht von oben ist eigentlich nicht seine Perspektive. Cézannemalt eigenwillige Strukturen der Montagne Sainte-Victoire, die manspäter kubistische Vorahnungen nennen wird. Was er malen will, siehter am besten vom Arc-Tal aus und am Rand der Straße von Tholonet. Daist jenes magische Massiv, das manchmal einem Pyramiden-Querschnittgleicht. Und ringsherum rote Erde, die Weinberge und Zypressen einerProvence mit ihrer gleich bleibenden, griechisch anmutenden Harmonie.

Nach der Arbeit oder dem Wandern flaniert der Maler dann gern aufdem Cours Mirabeau seiner Heimatstadt Aix - also auf dem prächtigstenBoulevard im Herzen der Provence. In gediegener Ordnung reihen sichhier vornehme Hotels und Bürgerhäuser aneinander und bilden so einSpalier für die lange Promenade, die von einem Brunnen zum nächstenführt. Aix-en-Provence ist die Stadt des Wassers, der Thermalquellen,aber daran denkt Cézanne nicht. Unter dem grünen Dach der doppeltenPlatanenreihe strebt er seinem Stamm-Café zu, dem «Deux Garcons», wosein Freund, der Schriftsteller Emile Zola, vielleicht schon wartet.

Cézanne ist der berühmte Sohn der vor mehr als zwei Jahrtausendenvon den Römern neu gegründeten späteren Hauptstadt der Provence. DerVater des am 19. Januar 1839 geborenen Paul, ein Hutmacher und dannauch Bankier, sträubt sich lange und mit allen erdenklichen Mittelngegen den Hang seines Sprösslings zur Malerei. So wie sich seineGeburtsstadt lange schwer damit getan hat, den Rang diesesweltbekannten «Botschafters der Provence» zu erkennen. Im April 2006tut Aix ein Stück mehr Buße. Zum 100. Todestag des zu Lebzeiten weniggeschätzten Malers wird eine Bronzestatue enthüllt. Cézanne blickt«seinem» Berg entgegen, ein Werk des Niederländers Gabriel Sterk.

Im Oktober 1906 überrascht ein Gewitter den trotz des starkenRegens unermüdlich auf freiem Feld malenden Cézanne. Der 67-Jährigezieht sich eine schwere Lungenentzündung zu und stirbt in der Nachtzum 23. Oktober in seiner Wohnung in der Rue Boulegon.

Seine Bilder, nicht nur die von der «Sainte-Victoire», hängen inden großen Museen der Welt von New York bis Sankt Petersburg underzielen auf den Kunstauktionen Schwindel erregende Preise. «Cézannein der Provence», unter diesem Titel würdigt ihn das Musée Granet inAix in Zusammenarbeit mit der National Gallery of Art in Washingtonvon Juni bis September 2006. Cézanne hat 44 Ölbilder und 43 Aquarellevon dem Hausberg hinterlassen, daneben aber auch die weltbekannten«Badenden» sowie eine Reihe wichtiger Stillleben und Selbstporträts.

Sein Atelier mit Garten nahe der Les Lauves genannten Anhöhenördlich von Aix hat ein amerikanischer Cézanne-Liebhaber in denfünfziger Jahren gerettet und als kleines Museum zugänglich gemacht.Bevor er das Atelier kaufte, hatte Cézanne vergeblich versucht, dasmysteriöse Schwarze Schloss, das Chateau Noir, am Fuße des Gebirgeszu erwerben - gemalt hat er es ebenso oft wie den geerbtenelterlichen Landsitz Jas de Bouffon. Wie es im provenzalischen Umlandvon Aix ausschaut, wissen Museumsbesucher: So hängt beispielsweiseeine Fassung seiner «Steinbrüche von Bibémus» im Folkwang-MuseumEssen, die Brücke «Pont des Trois Sautets» im Cincinnati Art Museum.

Vor einem lohnenden Ausflug zu den weiter entfernten «LandschaftenCézannes in der Provence» lädt Aix-en-Provence dazu ein, zunächst aufden Spuren des Malers in der Bäder- und Festivalstadt zu verweilen.So bietet sich im Jahr des 100. Todestages ein markierter Rundgangvon Cézannes Geburtshaus in der Rue de l'Opéra bis zur letztenAdresse an. Spritztouren in die Landschaft um Aix schließenVauvenargues mit dem unzugänglichen «Chateau Picasso» ein. Der größteMeister des 20. Jahrhunderts liegt unweit von Les Cabassols hinterder Schlossmauer begraben. Picasso soll gescherzt haben, denSainte-Victoire-Riesen erwerben zu wollen, weil dieser doch bisherPaul Cézanne «gehörte».

Zu Cézannes Lieblingsplätzen auf dem Land gehört das kleineStädtchen Gardanne 17 Kilometer südöstlich seiner Heimatstadt. Er hatdem Ort bereits 1885 ein frühkubistisch anmutendes Ölbild gewidmet,auf dem sich rote Hausdächer den flachen Hügel hinauf bis zu einerKirche mit hohen Türmen hin staffeln. Cézanne, der die Verstädterunghasste, wäre entsetzt über den Anblick, den sein damaliges Refugiumein gutes Jahrhundert später bietet. Seine Kirche gibt es so nichtmehr, ringsherum floriert Industrie und verschandelt die Landschaft.Doch ein Ausflug lohnt für eingefleischte Cézanne-Fans, auf die einCézanne-Pfad mit reproduzierten Werken auf emaillierter Lava wartet.

Nahezu ebenso stark hat der «Zahn der Moderne» auch an demKüstenstädtchen L'Estaque genagt, wo Cézanne am Kirchplatz wohnte undeinige seiner schönsten Pleinair-Werke gemalt hat. Sicher, auch aufseinen Bildern taucht schon mal der Schornstein einer Ziegelei odereine Eisenbahnbrücke auf. Der Blick über die Bucht von Marseille aufdas Chateau d'If und die Kalksteinfelsen mit ihrer kargen südlichenVegetation der Kiefern und Olivenbäume regte Maler damals an. Braqueund Picasso machten den Ort dann als Künstlertreff richtig bekannt.Heute ist L'Estaque kaum mehr als ein gesichtsloser Industrievorortvon Marseille, an dessen Strand auch keine Fischerboote mehr liegen.

«Wie ein großer Teich liegt das Meer da, wie ein See, der beischönem Wetter tiefblau schimmert», diese Huldigung Cézannes an «Lagrande bleue» gilt heute wie damals. Der Künstler, den geologischeGebirgsschichten ebenso faszinierten wie Häuser in Reih und Glied,war ein barocker Sonderling, der nicht zuletzt die Verstädterung undden Mammon verabscheute. Gern zog er sich auf das Anwesen Bellevilleseines Schwagers auf einem Hügel südwestlich von Aix zurück. Cézannewollte völlig ungestört malen und niemanden sehen.

Ständiger Wanderer zwischen der Provence und Paris mit einem Hang- wie Vincent van Gogh - für das hübsche Auvers-sur-Oise nördlich derMetropole, zog es den menschenscheuen Maler immer wieder in den Südendes strahlenden Lichts und der ganz besonderen Blautöne. Währendandere sich für die prächtigen Farben von Lavendel, Sonnenblumen undMohn begeisterten, suchte der unbeirrbare Neuerer Cézanne in derKulturlandschaft seiner Heimat bizarre Strukturen und den Schlüsselfür die Kunst der Zukunft. «Ich male, wie ich sehe, wie ich fühle»,hat er sich einmal zu erklären versucht.

Ein Jahrhundert nach dem großen Sohn des Landes bringen zwarTausende von Malern im französischen Süden ihre oft so heillosverkitschten provenzalischen Farben auf Leinwand und an dieTouristen. Die Provence jedoch wartet auf den Künstler mit einerVision à la Cézanne fürs 21. Jahrhundert.

Die Gegend rund um Aix-en-Provence - Touristen finden hier zahlreiche Motive aus Bildern des Malers Paul Cézanne. (Grafik: dpa)
Die Gegend rund um Aix-en-Provence - Touristen finden hier zahlreiche Motive aus Bildern des Malers Paul Cézanne. (Grafik: dpa)
Sven-E. Hauschild