Extra Extra: MZ-Interview mit Michael Ballack
Leverkusen/MZ. - Herr Ballack, als Kind haben Sie Altpapier und Flaschen gesammelt, um sich ein Taschengeld dazuzuverdienen. Was ist da für den kleinen Michael zusammengekommen?
Ballack: Moment, da muss ich überlegen...
... das waren ja noch Ostmark...
Ballack: ... für ein Kilo Altpapier habe ich zwischen ein und zwei Mark bekommen. Am Ende des Tages kamen da manchmal 30, 40 Mark zusammen.
Nicht schlecht, Herr Ballack, da waren Sie schon damals Großverdiener.
Ballack: Ich habe dafür aber auch viel gesammelt, bin immer mit einem kleinen Handwagen losgezogen, der war so groß (Ballack hält die Hände einen Meter auseinander), und der musste schon mehrmals voll sein. Einfacher konntest du dein Geld nicht verdienen als Zehn-, Elf-, Zwölfjähriger. Ich war ein ganz junger Kerl damals.
Woher haben Sie Altpapier und Altglas bekommen?
Ballack: Aus den Speichern der Hochhäuser im Erdgeschoss, drei solche Blöcke mit drei Eingängen. Auf jeder Ebene gab es vier Wohnungen, pro Etage eine Einraum-, eine Zweiraum, eine Dreiraum und eine Vierraum-Wohnung; mal elfGeschosse macht 44 Wohnungen, mal drei Blöcke. Da kommt schon was zusammen. Wir haben dann auch oft bei einzelnen Wohnungen geklingelt. Entweder hat jemand aufgemacht oder die waren genervt. Und jeder Sechste oder Siebte hat uns dann was gegeben.
Haben Sie Ihren Eltern was abgegeben?
Ballack: Nö. Das habe ich schön selbst behalten (lacht sich halb kaputt).
Was haben Sie sich dafür gekauft?
Ballack: Das habe ich gespart.
Feiern Sie Weihnachten bei Ihren Eltern?
Ballack: Nein, die kommen zu uns. Das ist einfacher, weil wir drei Kinder haben. Die Eltern und Großeltern richten sich dagerne nach den Kindern.
Wie feiert die Familie Ballack das Weihnachtsfest?
Ballack: Die Kinder stehen klar im Mittelpunkt.Wir Erwachsenen freuen uns, gemeinsam eine schöne Zeit miteinander zu verbringen.
Was steht bei den drei Jungs auf dem Wunschzettel?
Ballack: X-Box-Games. Es gibt da ein paar neue Wii-Spiele. Die möchten sie gerne haben. Und werden sie dann wohl auch bekommen.
Und was wünsche Sie selbst sich?
Ballack: Ach, die eigenen Wünsche treten im Alter in den Hintergrund.
Im Alter?
Ballack: Ich meine nur das Alter im Vergleich zu Kindern (lacht). So alt bin ich natürlich noch nicht.
Haben Sie Weihnachtsgrüße aus Mailand erhalten?
Ballack: Aus Mailand?
Ja, von Kevin-Prince Boateng, der Sie im Mai so kaputtgetreten hat, dass Sie nicht an der Weltmeisterschaft teilnehmen konnten? Da könnte man doch jetzt zu Weihnachten vielleicht eine schriftliche Entschuldigung erwarten.
Ballack: Ich erwarte gar nichts im Profifußball.
Das Fußballgeschäft ist nicht so, dass man in diese Richtung irgendwas erwarten kann?
Ballack: Eigentlich sollte es ja überall in der Gesellschaft zum unabdingbaren Benehmen gehören,dass man sich entsprechend verhält, wenn man jemanden schwer verletzt hat. Ums Entschuldigen gehts mir aber gar nicht. Das gibt es im Fußball aber schon lange nicht mehr. Ich bin ja nun schon etwas länger dabei und weiß, wovon ich rede. Das hat nichts mit dem Fußball alleine zu tun, sondern ist ein gesellschaftliches Problem.
Sie selbst sind ja auch eher einer, der sagt, wir zitieren: „Du musst die Ellbogen ausfahren, sonst frisst dich die Maschine.“
Ballack: Ja, aber Härte im Sport muss ja nicht bedeuten, dass man sich nach schweren Fouls noch vor dummen Kommentaren schützen muss. Ich bin der Letzte, der sich über Härte und Fouls beschwert, das gehört dazu, genau wie Verletzungen. Aber was danach passiert, dass hat auch etwas mit Niveau zu tun.Sie haben Ihre erste schwere Verletzung bereits als 16-Jähriger als großes Talent des FC Karl-Marx-Stadt erlitten, ohne dass ein Gegner dafür verantwortlich war.
Wie haben Sie Ihre schwere Knorpelverletzung im Knie das damals erlebt und verarbeitet?
Ballack: Als ich nach der Operation aufgewacht bin, hat der Arzt gleich am Krankenbett zu mir gesagt: „Es ist alles super verlaufen − aber Fußballspielen kannst du künftig nicht mehr.“ Da sind dann natürlich Tränen geflossen. Das ist ganz klar. Aber meine Eltern haben mich unterstützt und mir immer wieder Mut zugesprochen.
Sie haben immerhin ein halbes Jahrüberhaupt keinen Sport treiben können.
Ballack: Ja, es war eine schwere Zeit. Die Verletzung war ein Schlüsselerlebnis für mich. Ich habe gespürt, wie schnell im Fußball von heute auf morgen Feierabend sein kann. Schließlich war ich insgesamt fast ein ganzes Jahr weg vom Leistungsfußball. Gott sei Dank ist bis heute nie wieder etwas aufgetreten in dem Knie.
Hat Sie das geprägt?
Ballack: Bestimmt. Ich habe so früh gelernt, Ehrgeiz zu entwickeln, um wieder zurückzukommen. Weil ich Fußball liebe und Fußball für mich alles war, habe ich die Anstrengung eher in spielerischer Form bewältigt. Wir haben damals in der DDR schon sehr hart trainiert. Ich habe mit einer Menge anderen Jungs trainiert, die auch sehr talentiert waren und für die mehr drin gewesen wäre. Das haben nicht alle durchgehalten.
Sie sind dann vor fast vier Jahren schwer von Titus Bramble von Newcastle United gefoult worden. Ein Stück Knorpel im Fuß war vom Gelenk abgesprengt worden. Sie waren acht Monate lang verletzt, sind dann zurückgekommen und haben Chelsea ins Champions League-Finale und Deutschland ins EM-Endspiel geführt. Ist das so ähnlich mit Bayer Leverkusen und der Nationalmannschaft wiederholbar?
Ballack: Ich bin ja nun etwas älter geworden. Das vergessen Außenstehende und sogar mitunter meine enge Freunde, die gerne sagen: „Klar kommst du zurück und machst das wieder so!“ Ich versuche die dann immer zu bremsen. Ich bin jetzt 34. Da wird es natürlich schwerer. Ich bin lieber vorsichtig mit Prognosen. Bei meiner Verletzung 2007 wussten die Ärzte auch nicht so genau, warum ich so lange so starke Schmerzen habe. Es gibt ja genügend Beispiele, wo ein Foul das Karriereende bedeuten kann. Das war mental eine schwere Zeit für mich, und ich habe gemerkt, dass man in einer solchen Situation viel mit sich alleine ausmachen muss. Da kann einem niemand helfen.
Hatte das Karrierende seinerzeit Platz im Kopf?
Ballack: Die Furcht hatte ich natürlich auch. Es warauchwichtig, sich damit zu beschäftigen. Obwohl ich es nicht wahrhaben wollte, habe ich beide Wege für mich durchgespielt.
Haben Sie Angst davor gehabt, plötzlich kein Star mehr zu sein?
Ballack: Damit habe ich kein Problem. Die Bedeutung, die mir entgegengebracht wird, habe ich ja nicht bestimmt. Das macht Ihr, die Medien. Da kann ich gar nichts dafür.
Aber es kann natürlich auch zu einer Droge werden.
Ballack: Glauben Sie mir: Es gibt Menschen, die brauchen das nicht.
Sie haben nach dem WM-Viertelfinale gegen Argentinien im Stadion von Kapstadt auch nicht in der ersten Reihe gestanden. Sie standen mit beiden Händen in den Taschen in der zweiten Reihe hinter den jubelnden Betreuern, derweil die Mannschaft eine Ehrenrunde gedreht hat. Unser Eindruck war: Da stand er nun, der Platzhirsch, der Spielertrainer, fünf WM-Spiele nicht dabei und schon kaum noch beachtet. Eine Randfigur. Das muss weh getan haben.
Ballack: Warum schreiben Sie nicht, dass sich der Kapitän zwölf Stunden in den Flieger gesetzt und die Mannschaft vor Ort unterstützt hat? Da braucht man doch gar nichts hineinzuinterpretieren,auch wenn es eine ungewohnte Szene gewesen ist. Das ist einfach der Umstand der Situation. Es war ein Normalzustandfür mich, dass ich als verletzter Spieler die Ehrenrunde nicht mitlaufe. Das wäre bei jedem anderen genauso gewesen. Damit hatte ich überhaupt kein Problem.Aber gluaben Sie mir: Ich wäre gern dabei gewesen!
Aber Sie waren ja vorher nicht einer von 23, sondern der Kapitän, der Weltstar, auf den alle schauen.
Ballack: Ich weiß ja, dass das medial ein Thema war, aber damit bin ich zurechtgekommen.
Das glauben wir Ihnen jetzt aber so nicht ganz, Herr Ballack.
Ballack: Noch mal: Ich habe nicht gesagt, dass es mich nicht geärgert habe, dass ich nicht dabei war, dass es sogar bitter für mich war, nur zuschauen zu können. Aber glauben Sie mir: Ich kann eine solche Sache ziemlich schnell akzeptieren. Wenn ich meinen Stammplatz verliere, obwohl ich fit bin, dann kann ich das nicht akzeptieren, dann kämpfe ich dagegen an. Aber diese Situation konnte ich nicht beeinflussen. Es war passiert und Feierabend!
Sie saßen dann ein paar Tage später gerade im Flieger zurück von Johannesburg nach Frankfurt, und es gab vorher noch ein schönes Bild mit Ihnen, Joachim Löw und Philipp Lahm in der Lobby des Teamhotels, das auf dfb.de veröffentlicht wurde. Aber kaum waren Sie weg, meldete Lahm öffentlich Ansprüche an, dauerhaft weiter Kapitän bleiben zu wollen, was gleichzeitig natürlich bedeutete: Die Hierarchie mit Ballack als Chef auf dem Feld würde künftig so nicht mehr akzeptiert.
Ballack: Das ist Ihre Interpretation. Es ist doch völlig normal, dass die Führungauf mehrere Schultern verteilt wird. Anders kann ein erfolgreiches Team sowieso nicht funktionieren. Aber die Aussage von Philipp Lahm war so im Sinne des Teamgedankens nicht akzeptabel. Das Feedback habe ich aus der Mannschaft auch bekommen. Es handelte sich dabei um eine egoistische Aussage. Vor allem, weil sie noch während des Turniers getätigt wurde.Aberganz unabhängig vom Zeitpunkt geht so etwas auch nicht. Das macht man einfach nicht, wenn der Kapitän verletzt wäre und man stellvertretend seine Verantwortung übernimmt. Sie würden doch auch keine Chefansprüche geltend machen, wennIhr Chef mal ein paar Wochen krank wäre. Da können Sie bei seiner Rückkehr doch auch nicht einfach sagen: „Nö, du jetzt aber nicht mehr in diesem Büro!“
Das würden wir in der Tat vermutlich Ärger mit dem Chefredakteur bekommen.
Ballack: Ganz klar: Das muss von oben geregelt werden!
Den Ärger hat Lahm aber nicht gekriegt.
Ballack: Stimmt, aber das ist nicht meine Aufgabe.
Aber Sie haben schon seismografisch genau wahrgenommen, dass es da keine Rückendeckung für Sie gab?
Ballack: Das habe ich sehr wohl wahrgenommen. Das hat auch was mit Vertrauen zu tun.
Ist es möglich, dieses Vertrauensverhältnis mit Löw wieder hinzubekommen?
Ballack: Das muss man dann sehen.
Man hat so Gefühl, dass der Bundestrainer das aussitzen will und womöglich hofft, dass sich das Problem von selbst löst, weil Sie nicht annähernd wieder Ihre alte Leistungsstärke erreichen könnten.
Ballack: Ich bin ja schon lange dabei, und ich habe einiges erlebt, wie Spieler neben mir behandelt wurden.
Sie denken da an Oliver Kahn und Torsten Frings?
Ballack: Ich nenne keine Namen. Das ist das Profigeschäft.
Hat sich durch den Tod von Robert Enke etwas geändert im knallharten Profigeschäft?
Ballack: Ich stelle bisher fest: Das Rad dreht sich weiter.
Kann es sein, dass es Sie besonders motiviert, es dem Bundestrainer noch einmal zu zeigen?
Ballack: Das würde ich so nicht definieren.
Wenn es so wäre, würden Sie es nicht zugeben?
Ballack: Vielleicht ist es auch einfach nur der sportliche Ehrgeiz, der mich schon immer angetrieben hat.
Sie haben im Interview einmal gesagt, dass Sie Marco Bode für dessen „leisen und unaufgeregten Abschied“ bewundert hätten. Sie sind nicht so gestrickt wie Bode?
Ballack: Marco war ja erst 32, als er aufgehört hat. Da bin ich schon drüber (lacht). Aber im Ernst:Ich liebe es, Fußball zu spielen. Es ist ein Super-Job. Bei Marco war das WM-Finale 2002 ein echter Abschluss.Bei mir ist das jetzt ein bisschen anders: Ich hatte eigentlich geplant, mit 33 noch einmal eineWeltmeisterschaft zu spielen, und dann hatte ich sicherlich im Kopf, was danach passiert. Dann kam die Verletzung dazwischen, und dann habe ich mir gesagt: Triff jetzt nicht eine Entscheidung, die du später vielleicht bereust.
Sie wären also sonst nach der WM möglicherweise von selbst zurückgetreten?
Ballack: Dass ich darüber nachgedacht habe, liegt ja auch der Hand. Mit 33 kann man schon mal sagen: Das war es jetzt!
Marco Bode hat seinen Rücktritt mit 32 bislang nicht bereut, hört man.
Ballack: Der Marco ist ja auch ein intelligenter Typ, für den Fußball nicht alles war.
Für Sie ist Fußball alles?
Ballack: Was heißt alles? Ich weiß ja auch, dass in absehbarer Zeit Schluss sein wird. Es verschiebt sich bei mir schon vieles. Aber es macht mir noch immer unheimlich viel Spaß zu kicken. Da bin ich auch gar keine Ausnahme. Es spielen ja viele Menschen mit 34 Jahren noch Fußball, einfach, weil es ihnen Spaß macht, auch ohne, dass sie Geld dafür bekommen.
Torsten Frings, Ihr alter Kumpel, hat gerade erst laut über sein Karriereende nachgedacht.
Ballack: Er hat mir gerade erst eine SMS geschickt.
Waren Sie überrascht, dass er sich so äußert?
Ballack: Ich halte das für völlig normal. Man trägt ja nicht alle Gedanken, die man in sich trägt, nach außen. Er hat das halt jetzt mal gemacht.
Sie sind wieder voll einsatzfähig im neuen Jahr, wenn esim ersten Spiel gegenDortmund geht?
Ballack: Ich denke schon, ich warja schonim Mannschaftstraining dabei.
Und es tut auch nichts weh, wenn Sie morgens aufstehen?
Ballack: Nein, das geht noch gut. Ich habe da noch meinen ehemaligen Mitspieler Thomas Linke im Ohr, der mir immer gesagt hat, ich solle mal abwarten, was passiert, wenn ich über 30 bin. Ich bin jetzt 34 und es geht noch gut. Wenn es aber in pure Quälerei ausartet, wird sicherlich Schluss sein.
Herr Ballack, Otto Rehhagel, Ihr ehemaliger Trainer beim 1. FC Kaiserslautern in den späten 1990-er Jahren,hat einmal gesagt: „Solange der Michael nicht diesen Berater hatte, gab es zwischen uns gar keine Probleme. Die kamen dann erst danach.“
Ballack: Das hat er gesagt? Das wusste ich gar nicht.
Ja, das hat er wortwörtlich so gesagt. Sogar noch Jahre später. Hat Ihr Berater Michael Becker Ihnen Flausen in den Kopf gesetzt als junger Spieler?
Ballack: Nö. Ich wollte nur aus Kaiserslautern nach Leverkusen wechseln. Otto Rehhagel wollte das natürlich nicht, und dann habe ich nicht mehr gespielt. Ich denke, es war nicht der falscheste Schritt, nach Leverkusen zu gehen.
Becker wurde am Tag des WM-Finals im Spiegelmit despektierlichen Äußerungen über die Nationalmannschaft zitiert, die dann natürlich auch auf Sie selbst zurückgefallen sind: Becker, der Ballack-Berater. Das kann Ihnen doch nicht gefallen haben.
Ballack: Nein, natürlich nicht. Aber was war denn überhaupt die Absicht des Artikels? Ihm zu schaden? Mir zu schaden? Oder den Betroffenen? Außerdem hat er diese Aussage in keinster Weise bestätigt. Aber unabhängig davon,ist er ein erwachsener Mann mit einer eigenen Meinung, ebenso wie ich, und die können natürlich auch unterschiedlich sein und sind es oft auch. Aber Sie sehen: Allein schon, weil Sie mir die Frage stellen, war es offensichtlich nicht gut für mich. Auch wenn wir seit vielen Jahren ein freundschaftliches Verhältnis haben: Er ist 57 Jahre alt. Glauben Sie mir: Er ruft mich vor Interviews nicht an und fragt, was er sagen muss.
Haben Sie dennoch mit ihm geredet und Ihren Unmut zum Ausdruck gebracht?
Ballack: Ich war verärgert, ganz klar. Gehen Sie mal davon aus, dass wir darüber gesprochen haben.