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Es liegt mir auf der Zunge

Von Dorit Koch 24.11.2009, 23:15

Hamburg/dpa. - Wer sich die Verfilmung über Deutschlands ersten Fernsehkoch anschauen will, sollte vor allem folgende Zutaten in der eigenen Küche bereithalten: Toastscheiben, Schinken, Ananasringe und Käse.

Denn mit Sicherheit wird Clemens Wilmenrod wieder - wie damals in den 50er Jahren - dafür sorgen, dass sich manch Zuschauer noch einmal seine so legendäre wie einfache Kreation zubereitet: «Toast Hawaii». Im ARD-Film «Es liegt mir auf der Zunge» (Mittwoch, 20.15 Uhr) schlüpft Schauspieler Jan Josef Liefers in die Rolle des TV- Kochs, der weder richtig Gemüse schneiden noch kochen konnte, eigentlich ein - wenn auch nur mittelmäßiger - Schauspieler war - und zu einer der schillerndsten Figuren in der Geschichte des Fernsehens wurde.

Wilmenrods Leben liefert derart viele Zutaten für ein Drama, dass man sich fragt, warum es so lange bis zur Verfilmung gedauert hat. Am 20. Februar 1953 ging er im Nordwestdeutschen Rundfunk erstmals auf Sendung: Aus Carl Clemens Hahn war Clemens Wilmenrod (benannt nach seiner Heimat) geworden, aus dem erfolglosen Schauspieler der Vorreiter von Fernsehköchen wie Alfred Biolek und anderen. «Ihr lieben goldigen Menschen», so begrüßte er die Zuschauer des noch jungen Mediums, das nun erstmals ein für Frauen konzipiertes Format im Programm hatte. Er trug eine Schürze, auf der sein Konterfei prangte, und stand fortan allwöchentlich live hinter dem Herd. Seine Frau kam mit ins Studio, um dem Küchen-Neuling aus der Klemme zu helfen.

Mit seinem Charme wickelte er bald jede Hausfrau um den Finger. Vor allem aber seine Eloquenz, mit der er die Speisen garnierte, kam an. «Vieles habe ich natürlich von meinen zahllosen Reisen in ferne Länder mitgebracht, das meiste jedoch habe ich selbst komponiert», erzählt Liefers alias Wilmenrod (und zwölf Kilo schwerer) etwa. Autor Lothar Kurzawa hat versucht, «so viele Originalzitate wie möglich zu verwenden». Dass sein Sprachstil heute gestelzt klingt und im Film sogar noch teilweise überspitzt wird, sorgt für amüsante Momente. Kurzawa betont: «Wilmenrod wahr sehr sprachmächtig, und er war ein großer Selbstdarsteller.» In einigen Szenen übertreibe er zwar, aber das liege «durchaus auf der Linie seines generellen Sprachgestus».

So läuft Wilmenrod zu Hochform auf, als er sich gegen Vorwürfe wehren muss: «Ich setze mir dieses scharf geschliffene Messer an die Brust, denn ich behaupte: Die gefüllte Erdbeere ist eine Erfindung von mir», sagt er und hält sich vor laufender Kamera das Messer an die Brust. Doch nicht nur bei der aufgepeppten Erdbeere wurde Kritik laut, auch bei anderen «Erfindungen». «Arabisches Reiterfleisch» war nichts anderes als Frikadellen, «Venezianischer Weihnachtsschmaus» paniertes Schnitzel. Aber Wilmenrod verstand es, mit originellen Titeln wie etwa dem «Päpstlichen Huhn» zu überraschen. Er machte den Rumtopf populär und die Pute zum Weihnachtsbraten.

Mit Liebe zum Detail ausgestattet zeigt der von Kaspar Heidelbach inszenierte Film die Wirtschaftswunderzeit. Meistens amüsant, aber auch immer wieder tragisch - denn er spannt den Bogen von Wilmenrods Aufstieg bis zum Fall, erzählt über Gier und Größenwahn. Seine Frau Erika - gespielt von Liefers-Ehefrau Anna Loos - warnt ihn noch («Treib es nicht zu weit!»), doch anfangs hatte sie wesentlich dazu beigetragen. Die Metzgerstochter managte die Geschäfte im Hintergrund und entdeckte sehr bald, dass sich noch viel mehr Kapital aus der Sendung ihres Mannes schlagen ließ. Sie machte Verträge mit Herstellern, um deren Produkte in der Sendung zu präsentieren. Loos: «Sie war die Pionierin der Schleichwerbung.»

«Dilettantismus, Plagiat und Schleichwerbung» lauteten dann auch die Vorwürfe, die Wilmenrod zu Fall brachten. Mit Äußerungen wie über den Libanon («Obwohl nur 200 Kilometer lang und 20 Kilometer breit leben dort mehr Spitzbuben als auf der gesamten Nordhalbkugel zusammengenommen») oder der Begrüßung «Liebe Brüder und Schwestern in Lucullus» sorgte er für Ärger. Er wurde ins Nachmittagsprogramm verbannt und 1964 ganz abgesetzt, drei Jahre später nahm er sich das Leben.

Geblieben sind manche seiner Kreationen. Ausgerechnet über die bekannteste geht beim Ehepaar Loos/Liefers jedoch die Meinung auseinander: «Ich bin kein Freund von Toast Hawaii», sagt Liefers; Loos dagegen mag noch immer den «Burger des Ostens», den sie schon als Kind in der DDR gern gegessen hat.