Erfolgsgeschichte Erfolgsgeschichte: In Köthen ist Boxsport seit Jahren eine Familiensache
Köthen/MZ. - Der Erfolg riecht nach Schweiß mit einem Hauch Einreibemittel. Nach Sporthallendunst. Nach Leder. Boxen ist kein Sport für zarte Nasen. Und für zarte Nerven sowieso nicht.
In einem kleinen Nebengelass der alten Turnhalle des ehemaligen Ratke-Instituts an der Köthener Lohmannstraße lässt Ralf Stagat einen seiner Schützlinge auf dem Fahrradergometer schwitzen. "Tempo", feuert er Marcel Vogel an, der die Pedale in tollem Wirbel kreisen lässt. Der keucht. Rot im Gesicht wird. Aber eisenhart weiterbolzt, bis Stagat ihn austrudeln lässt.
Vogel II, zwölf Jahre alt, muss Gewicht machen, "abkochen", wie die Boxer sagen. Ein Wettkampf steht bevor, die Gewichtsklasse ist oft genug entscheidend, auf welche Gegnerschaft man trifft und wie man letztlich abschneidet, ob man Ringstaub schluckt oder aus dem Siegerpokal trinken kann.
Die Köthener HG-Boxer haben in den zurückliegenden Jahren oft in Siegerpose den Ring verlassen können. Marcel ist ebenso Landesmeister des Jahres 2004 wie seine Brüder Peer und Toni, wie Martin Bielenin und Karl Wenzel. Peer konnte im Frühsommer noch eins draufsetzen und Deutscher Meister in seiner Alters- und Gewichstklasse werden.
Und wie Ralf Stagat das überlebt hat, ist heute noch ungeklärt. Der Trainer mit der A-Lizenz ist einer, der am Ring jeden Schlag miterleidet, den seine Schützlinge kassieren, der mittänzelt, mitschlägt, in der Ecke 1000 Tode stirbt. Blankes Quecksilber - für einen Mann von 50 Jahren nicht ganz die Regel.
Ralf Stagat ist einer der Väter des unglaublichen Aufstiegs der Köthener Boxer. Wenn in Köthen heute vom Faustkampf die Rede ist, kommt man an ihm, seinem C-lizensierten Trainer-Bruder Uwe und an "Ziehsohn" Jens Wenzel nicht vorbei - zwei altgedienten Box-Größen, die manchen Sieg im Ring erfochten haben. Uwe gewann beispielsweise 1979 den "Freiheit"-Pokal, Jens ließ die Fachleute aus dem Häuschen geraten, als er mit René Suetovius einen der besten DDR-Boxer in Runde 1 auf die Bretter schickte. Ohne dieses Trio, das kann man ohne Übertreibung sagen, wäre das Boxen in der Kreisstadt wieder so tot wie in den 90er Jahren.
Dabei war Köthen mal ein Boxhochburg, woran Ralf Stagat als Trainer hohen Anteil hatte und Uwe Stagat ebenso wie Jens Wenzel im Seilquadrat. Was in Köthen Rang und Namen hatte im Boxen der späten 70er und 80er Jahre ist zumindest zu großen Teilen durch die Schule von Ralf Stagat gegangen: die Eichhorn-Brüder, Mirko Spielmann. Seit 1977 hat Ralf Stagat sie trainiert, gemeinsam mit Rainer Kreuzmann und Hubert Spielmann. Jahrelang hat Köthen hohes boxerisches Niveau halten können. Der Knick kam mit der Wende. Die Chemie stimmte nicht mehr, das Training lief nicht mehr, "war nur noch Larifari". Dazu kam, dass der Verein, der Köthener SK, in immer schwerer Probleme schlidderte, die letztlich bis zur Insolvenz führten.
1993 warf Stagat das Handtuch. "Ich konnte es nicht mehr machen. Nichts war mehr zuverlässig und ich war so geeicht, dass ich, wenn ich etwas mache, es richtig mache. Und das ging nicht mehr." Zurück blieb - trotz aller Arbeitsbelastung im Versicherungsbereich - ein Gefühl der Leere. Das immer mal wieder gefüttert wurde: "Da hieß es: Wir fangen wieder an. Viele haben mich angesprochen und gemeint, man müsste das Boxen in Köthen wieder aufleben lassen. Waren alles nur Sprüche."
Erst als Kulturstättenchef Bodo Elze anfing zu bohren, wurde die Sache konkreter. 1998 saß man in der Brauerei zusammen, die Stagat-Brüder mittenmang, "jeder hat gesagt, was er machen will, damit wir wieder in die Gänge kommen." Ohne Dittmar Dzemski wäre dies freilich schwierig geworden: Der Boxtrainer, der damals den Glauziger (heute Görziger) Nachwuchs schon zu neuen Höhenflügen geführt hatte, erwies sich für das Köthener Boxen als wichtiger Geburtshelfer.
Und es war eine schwere Geburt: "Wir hatten ja keine Sportler", lacht Stagat. "Die mussten wir erst finden." So wurde eifrig getrommelt - und mit Erfolg: Am Tag X waren doch zwei, drei neugierige Kinder da. Die Keimzelle für den späteren Erfolg war noch sehr klein.
Und hat sich zu einer festen Größe im sachsen-anhaltischen Boxsport ausgewachsen. Was umso erstaunlicher ist, wenn man die Basis ansieht, auf der der Erfolg wächst. Genau betrachtet, ist der Boxsport in Köthen nämlich Familiensache. Ralf und Uwe Stagat sowie "Ziehsohn" Jens Wenzel sorgen für die Trainingsarbeit, für die Vorbereitung auf Wettkämpfe und Trainingslager. Ralf erledigt den ganzen bürokratischen Kram. Wenn in Köthen zu Box-Veranstaltungen eingeladen wird, dann bauen Stagats und Wenzel mit den Box-Jungs den Ring auf. Vater Hans-Jürgen Stagat sitzt an der Kasse, Ralf Stagats Frau Viola schreibt die Protokolle, Nichte Juliane macht als Nummerngirl eine gute Figur im
Ring, was zuvor Ralf Stagats Tochter Eileen getan hat, die heute in Frankreich studiert, Uwe Stagats Frau Cornelia ist mit den Cheerleaders des Kukakö im Rahmenprogramm mit von der Partie - hier wirken alte Verbindungen, denn auch Uwe war jahrelang dem Karneval eng verbunden, musste aber im Vorjahr aus Zeitgründen schweren Herzens die Narrenkappe an den Nagel hängen. Auch Ralf Stagats Sohn Steven, selbst ehemals Boxer, hilft mit, wenn er im Lande ist. Und Mutter Anni darf als moralische Stütze auch nicht fehlen. Die kleine Crew bedeutet auch, dass man in Köthen nicht der Box-Gigantomanie verfallen wird. "Wir wollen die Abteilung nicht zur großen Truppe aufblasen. Wer zu uns kommt, muss sich dem Leistungssport verschreiben. Muss viel Trainingsstress aushalten können, sich diszipliniert nach dem Sport ausrichten. Nur wenn er das aushält, kann er ganz nach oben aufs Treppchen kommen."