1. MZ.de
  2. >
  3. Varia
  4. >
  5. England: England: 20 Jahre Hillsborough-Katastrophe

England England: 20 Jahre Hillsborough-Katastrophe

Von Henning Hoff 10.04.2009, 19:50
Im Hillsborough-Stadion von Sheffield Wednesday ereignet sich am 15.4.1989 die schlimmste britische Fußball-Katastrophe. Beim englischen FA-Cuphalbfinalspiel zwischen dem FC Liverpool und Nottingham Forest kommen 96 Fußballfans ums Leben, 200 werden verletzt. (ARCHIVFOTO: DPA)
Im Hillsborough-Stadion von Sheffield Wednesday ereignet sich am 15.4.1989 die schlimmste britische Fußball-Katastrophe. Beim englischen FA-Cuphalbfinalspiel zwischen dem FC Liverpool und Nottingham Forest kommen 96 Fußballfans ums Leben, 200 werden verletzt. (ARCHIVFOTO: DPA) PA Archiv

London/dpa. - Aber das Spiel zwischen dem FC Liverpool und Nottingham Forest dauertnur sechs Minuten. Während Liverpools Stürmer Peter Beardsley dieLatte trifft, kämpfen auf der «Leppings Lane»-Tribüne hinter demgegnerischen Tor Anhänger seiner Mannschaft bereits um ihr Leben.Über 3000 sind eingequetscht zwischen nachdrängenden Massen und einemunüberwindbaren Metallgitterzaun, der das Spielfeld eingrenzt. Wenigspäter ist der Rasen übersät mit Toten, Verletzten und Menschen, diein Panik flüchten wollen.

94 Fans kommen an jenem Frühlingstag ums Leben, die 14 Jahre alteLee Nicol erliegt vier Tage später im Krankenhaus ihren Verletzungen.Das 96. Todesopfer, Tony Bland, liegt fast vier Jahre lang im Komaund stirbt im März 1993. 766 Menschen werden verletzt, die Hälftedavon muss in Hospitälern behandelt werden. Hunderte tragen schwereTraumata davon, unter denen sie zum Teil bis heute leiden. Amkommenden Mittwoch jährt sich das furchtbare Geschehen zum 20. Mal.

«Das erste, was ich sah, war eine Gruppe Liverpool-Fans, die einenTeil der Bandenwerbung als Trage benutzte und einen Mann trug, seinT-Shirt über das Gesicht gezogen, und ich dachte: 'Der ist tot'»,erinnert sich der Sanitäter Tony Edwards, der als einer der ersten imStadion eintraf. Erst nach und nach werden die Dimensionen derKatastrophe deutlich. Hillsborough gleicht einem Schlachtfeld.

«Es war ein Ereignis, das den Fußball in Großbritannien veränderthat - und darüber hinaus», sagt Rob Hughes von der «InternationalHerald Tribune», damals als Augenzeuge dabei. «Das Gefühl absoluterHilflosigkeit, ein - geschweige denn 96 Leben - zu retten, in einemStadion, das als Ort der Freude gebaut wurde, wird die, die dabeiwaren, nie verlassen.»

Die Ursachen für das Unglück enthüllte in den Wochen danach der«Taylor-Bericht». Anders als bei der Katastrophe 1985 im BrüsselerHeysel-Stadion, wo randalierende Liverpool-Hooligans vor demEuropapokal-Finale gegen Juventus Turin eine Absperrung durchbrachenund dadurch den Tod von 39 Menschen, überwiegend italienischen Fans,verursachten, war nicht Fan-Gewalt, sondern Polizei-Versagen derAuslöser. Die Ordnungskräfte leiteten die auf «Leppings Lane»strömende Menge nicht zu Nebenaufgängen um und reagierten viel zuzögerlich, als sich das Desaster abzeichnete.

Bis heute ist das schwerste Unglück in der britischen Fußball-Geschichte ein Tag der Trauer. Angehörige der Opfer kämpfen nochimmer um «Gerechtigkeit» und angemessene Entschädigung. Am Jahrestagfindet auf der «Kop»-Tribüne in Liverpools Stadion an der AnfieldRoad ein Gedenkgottesdienst statt. Beim Cup-Halbfinale zwischenMichael Ballacks FC Chelsea und dem FC Arsenal am folgenden Samstagwird Englands Fußball-Verband FA an die Katastrophe erinnern. DieMannschafts-Kapitäne und FA-Chef Lord Triesman werden Vertreter der«Hillsborough Families Support Group» Blumen überreichen.

Hillsborough markiert auch einen Wendepunkt im englischen Fußball.Die Zäune verschwanden, ebenso die Stehtribünen. In der höchstenSpielklasse gab es bald nur noch Sitzplatz-Stadien. «Bis in diespäten 1980er Jahre hielten die Vereine Fans für Tribünen-Futter»,schrieb der Fußball-Kommentator der Zeitung «The Guardian», DavidLacey, zehn Jahre nach dem Unglück, «nun wurden sie zu Kunden, denenman nicht länger Einrichtungen zumuten konnte, die zu den Slums der1930er Jahre gehörten.»

Das kostete Geld. Die Premier League wurde gegründet, dieFernsehmillionen des kommerziellen Abo-Senders Sky begannen zufließen, der Boom war geboren. Nach Investitionen von gut dreiMilliarden Pfund habe England heute die sichersten und teuerstenStadien der Welt, meint Hughes, und eine andere Klientel: «Fußballist heute Teil der Mittelklasse-Kultur. Die Arbeiterschicht kann sichdie Eintrittskarten nicht mehr leisten.» Damit wurden diejenigenausgeschlossen, die bis dahin als «harter Kern» englischer Fansgalten. Seitdem hat es kaum noch Hooligan-Ausschreitungen gegeben,wie sie bis in die 1980er Jahre an der Tagesordnung waren.

Auch 20 Jahre später ist Hillsborough für den FC Liverpool mehrals abstraktes Gedenken - trotz der starken Internationalisierung derMannschaft, für die oft nur noch zwei Engländer auflaufen. Ein Cousindes heutigen «Reds»-Kapitäns Steven Gerrard, der damals zehnjährigeJon-Paul Gilhooley, war am 15. April 1989 unter der Toten. Deshalbwird der Nationalspieler auf der «Kop»-Tribüne einer der Redner sein.