1. MZ.de
  2. >
  3. Varia
  4. >
  5. Einzug ins Finale der Europameisterschaft: Einzug ins Finale der Europameisterschaft: Griechenland versinkt im Freudentaumel

Einzug ins Finale der Europameisterschaft Einzug ins Finale der Europameisterschaft: Griechenland versinkt im Freudentaumel

Von Reinhard Schwarz und Klaus Bergmann 02.07.2004, 14:12
Der griechische Nationaltrainer Otto Rehhagel (l.) feiert mit Stylianos Giannakopoulos den Einzug ins Finale. (Foto: dpa)
Der griechische Nationaltrainer Otto Rehhagel (l.) feiert mit Stylianos Giannakopoulos den Einzug ins Finale. (Foto: dpa) LUSA

Porto/dpa. - Der hellenische Wahnsinn bei der Fußball-EM gehtweiter. Mit dem 1:0-Sieg im Halbfinale gegen Tschechien haben OttoRehhagel und seine griechischen Fußball-«Götter» einen weiterenmarkanten Meilenstein gesetzt und stehen im Finale gegen GastgeberPortugal dicht vor dem Olymp. Sechs Wochen vor den OlympischenSpielen in Athen stürzte das «Silver Goal» von Traianos Dellas (105.)ganz Griechenland erneut in einen kollektiven Freudentaumel. Mitihrem unbeschreiblichen Parforceritt durch die portugiesischenStadien schürten die Hellas-Fußballer auch die Vorfreude auf dasolympische Spektakel, dem sie momentan noch die Show stehlen.

In der Vollmondnacht von Porto tanzten Tausende von griechischenFans ebenso ausgelassen auf den Straßen wie in ganz Griechenland, wodie Nacht zum Tage gemacht wurde und Böllerschüsse und bengalischeFeuer Athen «brennen» ließen. Griechenlands Gazetten überschlugensich in ihren kaum noch zu steigernden Schlagzeilen. «Niemand kannden Otto-Express stoppen» («Adesmeftos»), «Weckt uns nicht!»(«Espresso»), «Die Götter spielen verrückt» («Ethnos») oder «Wirverbeugen uns vor Euch. Wir holen den Pokal und treiben alle zumWahnsinn» («Goal»). «In unseren Herzen haben Sie bereits dieEuropameisterschaft gewonnen», gratulierte Ministerpräsident KostasKaramanlis, der am Sonntag zum Finale nach Lissabon einfliegen will,Rehhagel und seinen vergötterten Helden in einem Glückwunsch-Telegramm zu ihrer neuen herkulischen Meisterleistung.

Auch Fußball-«Kaiser» Franz Beckenbauer sparte in seinerBewunderung des griechischen Wunders nicht mit Lob für seinenehemaligen Cheftrainer beim FC Bayern München. «Die Griechen sind dieSensation des Turniers. Auch wenn ihr Stil nicht unbedingt attraktivist, so haben sie es dennoch verdient, im Finale zu stehen. DieTschechen haben zwar die größeren Könner, aber die Griechen haben dasgespielt, was sie können. Wenn sie es im Finale genau so machen,haben sie sogar eine Titelchance», meinte Beckenbauer anerkennend.

Der Vater des griechischen Heldenepos' ließ sich seineüberschäumende Freude durch Kritik an der antiquierten, destruktivenSpielweise nicht nehmen. Rehhagel reckte triumphierend den Daumen inden Nachthimmel und meinte kurz und bündig: «Modern ist, wer gewinnt,und im Fußball gewinnt nicht immer der Beste.» Nach dem Schlusspfiffdes italienischen Schiedsrichters Pierluigi Collina, der sein letztesSpiel bei einem großen Turnier leitete, war der 65-Jährige nicht mehrzu halten, tanzte wie ein Irrwisch auf dem Rasen und küsste jedenseiner siegreichen Protagonisten ab.

Diese waren ebenso fassungslos vor Freude. «Ich kann es nichtglauben, wir sind im Finale. Das ist der größte Moment in derGeschichte des griechischen Fußballs», stammelte der Bremer StürmerAngelos Charisteas, und sein Mitspieler Stelios Giannakopoulos sagtemit strahlendem Lächeln: «Das ist ein brillanter Tag. Wir leben einenTraum, aus dem wir nicht mehr aufwachen wollen.»

Sie werden es wohl müssen, denn schon am Sonntag (20.45 Uhr/ZDF)soll ihnen im Lissaboner «Estadio da Luz» das finale Licht aufgehen.An gleicher Stätte holte Rehhagel am 6. Mai 1992 mit Werder Bremenden Europacup der Pokalsieger. «Wir haben ein bisschen gefeiert unduns ein Glas Wein gegönnt, aber ab sofort beginnt die Vorbereitungauf das Endspiel», sagte «König» Otto, dem nur noch maximal 120Minuten und eventuell ein Elfmeterschießen zur endgültigen Krönungseiner meisterlichen Karriere fehlen. «Jeder meiner Titel war jeweilsein Höhepunkt. Mit Griechenland Europameister zu werden, das wäreaber eine ganz besonders große Sache», gab Rehhagel zu.

Die Griechen wollen das letzte Kapitel ihres denkwürdigen«Märchens» (Rehhagel) in einem Finale mit zwei Premieren schreiben:In Portugal oder Griechenland wird sich eine neue Nation auf dieTitelliste setzen, und erstmals ist das Endspiel identisch mit demEröffnungsspiel. Hellas träumt von der Wiederholung des 2:1 gegen denEM-Gastgeber. «Portugal ist zwar totaler Favorit, aber im Fußball istnichts unmöglich», meinte Rehhagel. Sein «Koloss von Rhodos», derSiegtorschütze Dellas, taxiert die Chancen auf «50:50», denn«Portugal hat sich von dem Schock erholt und ist im Laufe desTurniers stärker geworden, wir aber auch».