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Einfach dastehen und nichts anhaben

Von Oliver Seifert 05.01.2004, 16:38

Halle/iposa. - Das Flugticket kommt per Post, der Vertrag auch. In der spindeldürren Welt häufig verschnupfter Fotomodelle ein ganz normaler Geschäftsgang. Die Damen fliegen dann nach Mallorca, auf die Maledivien oder nach Mainz zum Foto-Shooting, so heißt das neudeutsch, und streifen sich fremde Klamotten über, legen sündhaft hässlichen Schmuck an oder machen es sich einfach: Sie legen ab. Ob Quelle oder Playboy: Die Prozedur der Zurschaustellung ist überall ähnlich. Nichtsdestotrotz wird sie für viele zum Traum.

Für Stefanie und Nicole Kardas kam das Ticket auch umgehend per Post. München hin und zurück. Der Vertrag lag anbei. Sie mussten ihn von Mama und Papa unterschreiben lassen. 17 bzw. 15 Jahre jung waren die beiden, als der Fotograf Thomas Karsten zum Fototermin lud. Es sollten keine üblichen Aufnahmen werden, denn sie wollten „etwas machen, was nicht jeder macht“. Nicht nur hinstellen und „cheese“ sagen. Ihre Vorstellung war eine andere: hinstellen und nichts anhaben. Und auf das blöde „cheese“ hatten sie sowieso keinen Bock.

Im Münchner Fotoatelier von Thomas Karsten standen die beiden Hallenserinnen dann im April letzten Jahres einen Nachmittag lang Modell. Nackt, wie gewünscht, aber mit den Utensilien ausgestattet, die für ihre Hobbys stehen. Nicole hatte einen Pinsel in der Hand und eine Palette, Stefanie knipste sich per Selbstauslöserkabel. Es hat ihnen riesigen Spaß gemacht. Sie haben gleich ein halbes Dutzend Schul- freunde „angesteckt“, wie Nicole Kardas sagt, Jungs und Mädchen, die nun darauf drängten, unbekleidet abgelichtet zu werden. Eine Freundin hatte die beiden „auf den Geschmack“ gebracht, jetzt animierten sie die halbe Klasse zum Striptease.

Es schien für einen Moment der Trend zu sein an ihrer Schule. Eine Art Schulsport, Disziplin „Selbstüberwindung“. Wer am schnellstens aus den Klamotten ist, gewinnt – wenn auch nur respektvolle Blicke. Die ganze Nackedei-Euphorie wur de durch den Umstand gestärkt, dass Karstens Aufnahmen zuerst in der Zeitschrift „Bravo“ erschienen. Die „Bravo“ überwacht nicht nur den jugendlichen Hormonhaushalt. Sie macht Jugendliche bekannt und dann vielleicht zu Stars. Deshalb haben sich Nicole und Stefanie Kardas damals bei Thomas Karsten beworben.

Als dann ein RTL-Boulevardmagazin anrief, ob man nicht einen kleinen Beitrag über sie drehen dürfe, schien die Sache ins Rollen zu kommen. Sieben Stunden standen sie dem Team Rede und Antwort, liefen mit ihm quer durch Halle und wieder zurück. Doch bei der Ausstrahlung dann das blanke Entsetzen. Der Fotograf wurde heftig kritisiert – er habe sie „ausgenutzt“, sie seien ja noch „zu jung“ gewesen -, und ihre Äußerungen zur Stützung dieser Behauptung herangezogen. Die Konsequenz: Karsten verlor seinen „Bravo“-Job. Bei Familie Kardas wird seither kein RTL mehr geguckt.

Nach all der Aufregung wollen die Schwestern aber weiterhin Fotos von sich machen lassen. Die dürfen gerne etwas freizügiger ausfallen. Am Strand oder in einer alten Fabrikhalle möchten sie einmal posieren. Nicole hat ein neues Tattoo. Das könnte sie dann präsentieren. Thomas Karsten hat jetzt etwas mehr Zeit. Er will dieses Jahr ein neuen Aktfotoband herausbringen, hat er den Schwestern gesagt. Dort könnte Nicoles Tattoo dann zu sehen sein.

Heute nackt, Jugendliche zwischen 16 und 20, Fotografi en von Thomas Karsten, 240 Seiten, über 200 Abbildungen, Schwarzkopf & Schwarzkopf, 2003, 49,90 Euro