Die Pöhler von Dortmund
Hamburg/MZ. - Es ist eigentlich ganz ulkig, dass Jürgen Klopp seit dem Trainingslager im spanischen La Manga eine neue Lieblingsmütze trägt. Auf der Kappe des Trainers von Borussia Dortmund ist in gelben Großbuchstaben das Wort "Pöhler" gestickt. Im Sprachgebrauch des Ruhrgebiets werden damit Straßenfußballer bezeichnet. Es gibt sogar eine Hymne des Künstlers Baron von Borsig mit dem Titel "Pöhler von Dortmund". Damit huldigt das Revier der ursprünglichen Form des Fußballs, und wenn es derzeit gute Interpreten gibt, dann sind es tatsächlich Klopps Kicker, die gestern ein Zeugnis ihrer spielerischen Klasse und Reife ablegten.
Genau wie bei der Saisoneröffnung mutierte der Hamburger SV zum Spielball der schwarz-gelben Spaßfußballer, die im Volkspark einen imposanten 5:1 (2:0)-Erfolg feierten. "Wir haben unseren Fußball gespielt und ihn gnadenlos durchgezogen", konstatierte Klopp zufrieden, "so ein Spiel und so ein Ergebnis sind alles andere als selbstverständlich."Für den 44-jährigen Fußballlehrer war die Gala zum Rückrundenstart auch deshalb elementar, weil sein Ensemble endgültig den Beweis antrat, ohne den wegen Adduktorenproblemen fehlenden Feingeist Mario Götze auszukommen. "Die Erkenntnis ist sehr wichtig, dass Mario nicht für alles alleinverantwortlich ist", sagte Klopp. "So kommt er aus dem Fokus raus."
In der Tat: Mit erstaunlicher Selbstverständlichkeit und Leichtigkeit kombinierten die entschlossenen Westfalen auch ohne Götze ihre Treffer durch Kevin Großkreutz (16.), Robert Lewandowski (37. und 83.) und Jakub Blaszczykowski (58. und 76. / Foulelfmeter) heraus - bedeutungslos der Ehrentreffer von Paolo Guerrero (86.). Damit hat der spielfreudige Meister genau wie der FC Bayern und FC Schalke 37 Punkte auf dem Konto. Für den Rest der Rückrunde kündigt sich gerade ein brisanter Vierkampf an, in den ja auch Borussia Mönchengladbach (36 Zähler) noch involviert ist.
Bloß nicht vom Titel reden
Gleichwohl bleiben die Borussen aus Dortmund bei ihrer bereits in der Vorsaison sehr probaten Politik, niemals über die Meisterschaft zu reden. Während BVB-Stadionsprecher Norbert Dickel auf der Pressetribüne die Fäuste geschwungen hatte, gab sich Vorstandschef Hans-Joachim Watzke im Erdgeschoss später deutlich unaufgeregter: "Wir tun gut daran, uns mit Statements zurückzuhalten. Wichtiger ist, dass der Wille der Mannschaft auf dem Platz zu spüren ist." Eine Vorgabe, die die Profis wie Musterschüler befolgen: "Alles was die Bayern und die Blauen machen, interessiert uns nicht", versprach der Ur-Dortmunder Großkreutz und vermied dabei noch geschickt, den Rivalen aus Gelsenkirchen zu nennen.
Für den in Dortmund geborenen Thorsten Fink war hingegen die pure Ernüchterung angesagt. Der HSV-Coach, der einst im BVB-Dress sogar die deutsche B-Jugendmeisterschaft gewann und als Spieler nie gegen Dortmund verloren hatte, quittierte seine erste Bundesliga-Niederlage. Die gellenden Pfiffe des Hamburger Publikums, die damit einen verunsicherten und erschreckend verwirrten Gastgeber abstraften, dürften ihm noch lange in den Ohren klingen. "Wir hatten viel zu viel Respekt. Kein Mut, keine Courage - so kann man keine Zweikämpfe gewinnen."
Nicht mal das Fehlen von Dortmunds Stammtorwart Roman Weidenfeller (Rückenprobleme) wusste seine Elf zu nutzen, weil Mitchell Langerak in seinem zweiten Bundesligaspiel kaum geprüft wurde. Der 23-jährige Australier konnte sich von hinten in aller Ruhe ansehen, wie seine Vorderleute ein effektives Pressing aufzogen. Die Folge: unzählige Ballverluste des HSV. "Das war eine absolute Enttäuschung, bei uns hat überhaupt nichts zusammengepasst", erläuterte der ehemalige Dortmunder Mladen Petric.
Fans protestieren vor dem Stadion
Bemerkenswert war an diesem Nachmittag auch noch ein in dieser Form seltener Fanprotest außer- und innerhalb der Arena. Mehr als 500 Dortmunder Fans harrten draußen vor dem Südwest-Eingang aus, um gegen die aus ihrer Sicht überzogene Preispolitik im Gästeblock -Stehplätze 19, Sitzplätze 45 bis 85 Euro - zu demonstrieren. HSV-Fans unterstützten den Boykott mit Plakaten: "Fußball als Volkssport erhalten!"
Irgendwie passend dieser Protest von der Basis - dort wo wirklich noch "gepöhlt" wird.