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Depressionen Depressionen: Simunic war von «Selbstzweifeln zerfleischt»

Von Ulrike John und Florian Lütticke 18.11.2009, 16:37

Sinsheim/dpa. - Abwehrspieler Josip Simunic von Hoffenheim hatals erster noch aktiver Profi bekannt, dass er in seiner Karriereschon schwer damit zu kämpfen hatte. «Ich wollte mit Fußballaufhören. Ich war stark depressiv, körperlich am Ende. Zum Teil habeich sieben Tage am Stück keine Minute geschlafen», sagte derkroatische Nationalspieler in der «Sport Bild» (Mittwoch-Ausgabe)über seine Zeit beim Hamburger SV und bei Hertha BSC. Derweil istbekanntgeworden, dass immer mehr Leistungssportler Antidepressivanehmen.

Die Zahl der Athleten, in deren Dopingproben diese Medikamentefestgestellt wurden, hat sich von 2006 bis 2008 verdreifacht. Das istdas Ergebnis einer Studie der Deutschen Sporthochschule Köln. «Wirhaben in diesem Zeitraum einen auffälligen Anstieg festgestellt, derüber der Gesamtbevölkerung liegt», sagte Professor Wilhelm Schänzer,Leiter des Instituts für Biochemie, der dpa am Mittwoch. Insgesamtnahmen 73 von rund 11 500 Athleten Mittel gegen Depressionen. DieserAnteil ist sechsmal so hoch wie noch 1999. Damals waren nur acht vonetwa 7600 Sportlern betroffen. «Immer mehr Sportler können denmentalen Druck nicht verarbeiten und greifen daher zuAntidepressiva», sagte Professor Mario Thevis, Mitverfasser derStudie.

In einer Studie der Universität Tübingen gab jederzweite Sportler an, sich durch extreme Anforderungen immer wiederausgebrannt und kraftlos zu fühlen. Trotz dieser Ergebnisse ist nochunklar, ob der Trend zu Antidepressiva ein besonders ausgeprägtesProblemfeld für den Sport darstellt. «Dass Sportler unter ihreraußergewöhnlichen Belastung häufiger zu Antidepressiva greifen alsder Rest der Bevölkerung, können wir noch nicht sagen», meinteSchänzer.

Simunics früherer Mentaltrainer bei Hertha BSC, Gerd Driehorst,sagte in «Sportbild»: «Er hatte jeden Tag Versagensängste undSelbstzweifel. Ein Fehlpass im Training reichte und er war am Bodenzerstört, hat alles infrage gestellt. Er hat sich selbstzerfleischt.» Simunic sprach nicht darüber, wie es ihm heute geht,forderte aber mehr Menschlichkeit im Umgang miteinander: «Jedersollte kapieren, dass auch wir Sportler Menschen aus Fleisch und Blutsind. Und dass auch wir Schwächen haben.» Nach Angaben von Driehorsthat der 31- Jährige 2001 gesagt, in sechs Jahren spiele er definitivkein Fußball mehr. «Jetzt tut er es doch. Und das als zweimaliger WM-und EM-Teilnehmer nicht ganz unerfolgreich.»

Ex-Bayer-Profi Sebastian Deisler galt vor dem Selbstmord vonHannovers Nationaltorwart Enke als prominentester Fall imProfigeschäft. Auch der frühere Münchner Michael Sternkopf, heuteMarketingmanager beim Drittligisten Kickers Offenbach, hat jetztbekannt, dass er eineinhalb Jahre Psychopharmaka genommen hat.

2002 hatte sich Stürmer Guido Erhard (1860 München, VfL Wolfsburg,FSV Mainz 05) wie jetzt Enke vor einen Zug geworfen. «Es gibt vieleMenschen, die nun meinen und spekulieren, ob es die Leute in RobertEnkes sportlichem Umfeld nicht hätten merken müssen, dass mit ihmetwas nicht stimmte. Aber all denen kann ich versichern, so schwer eszu begreifen ist: Man merkt es nicht», sagte der Mainzer ManagerChristian Heidel nach den Erfahrungen mit Erhard. «Bei Guido hätteich bis zu dem Tag, als er von Selbstmord sprach, niemals vermutet,dass er labil war. Eigentlich war er der Mannschaftskasper.»

Keiner habe gedacht, dass der mit nur 32 Jahren gestorbeneFußballer Probleme hätte - «bis er sich vor einem Heimspiel 1998gegen Düsseldorf aus dem Fenster des Mannschaftshotels stürzenwollte.» Im Gegensatz zu Enke habe Erhard seine Erkrankung öffentlichthematisiert. «Deshalb fiel es uns auch leichter, damit umzugehen,wenn Guido die Nerven verlor», erklärte Heidel. Das einstigeKarlsruher Top-Talent Sternkopf sieht den Aufruf nach Verständnis undToleranz gegenüber Depressionskranken eher skeptisch: «Wenn ich heuteeinem Trainer sage: Trainer, ich hab' momentan eine Phase, ich habeAngst - der stellt einen nicht mehr auf, da ist man durch.»