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Das Sorgenkind fehlt Das Sorgenkind fehlt: Jörg Stübner sagte «Legenden-Spiel» in Leipzig ab

Von Christoph Karpe 19.11.2010, 21:55
Jörg Stübner im Trikot des VfB Sangerhausen.
Jörg Stübner im Trikot des VfB Sangerhausen. Ralf Kandel/Archiv

Halle (Saale)/MZ. - Eduard Geyer ist gut gelaunt. Auf dem Empfang für einen befreundeten Hoteldirektor, der sich gerade in den Vorruhestand verabschiedet, meldet er sich mit "Hitradio" am Telefon und will dann im Scherz ein Honorar für Antworten aushandeln. Wohl eine nicht ernst zu nehmende Folge des Rummels dieser Tage um seine Person. Der hat seinen Grund: Am Sonnabend wird die Auswahl der Deutschen Demokratischen Republik unter seiner Leitung in Leipzig das "Spiel der Legenden" gegen die deutsche Weltmeister-Elf von 1990 um Lothar Matthäus bestreiten.

"Zwar fällt unser obligatorisches Abschlusstraining aus, aber wir spielen auf Sieg. Schon 1990 hätten wir ganz gute Chancen gehabt", sagt der letzte Fußball-Nationaltrainer der DDR fröhlich. "Und außerdem hat die BRD diesmal nur 16 Spieler im Kader." Seine einstigen Schützlinge seien da schon begeisterungsfähiger. "Ich rechne mit 23 bis 24 Spielern", so der spätere Erstliga-Coach von Energie Cottbus. Er hat fast alle Stars aus der finalen DDR-Ära beisammen, die später in der Bundesliga oder auch der gesamtdeutschen Nationalmannschaft gefeiert wurden. Ulf Kirsten, Thomas Doll und Andreas Thom wollen kommen. Dariusz Wosz fliegt aus Bochum ein. Bei Matthias Sammer streikt das Knie, er ist trotzdem vor Ort.

Einer wird fehlen: Jörg Stübner. "Wir haben ihn eingeladen. Aber er hat abgesagt", erzählt Ede Geyer und verliert plötzlich die Unbekümmertheit. "Vielleicht ist es ganz gut so, der Rummel wäre für ihn wohl zu viel gewesen", so Geyer, und dann sagt er noch: "Er hat mal wieder mit sich selbst zu tun."

Dieses "mit sich selbst zu tun", ließe sich auch mit "hat persönliche Probleme" übersetzen. Stübner ist der einzige Spieler der letzten DDR-Elf, der abstürzte, sich auf selbstzerstörerische Reise mit Medikamenten und Alkohol begab. Jahrelang galt Stübner quasi als verschollen. Doch zuletzt tauchte er im September wieder auf. Der WDR hatte ihn aufgespürt. Und Stübner redete. Davon, dass er jetzt vom Hartz-IV-Regelsatz lebe: "359 Euro, 11 Euro am Tag."

Jörg Stübner weiß, dass er an sich selbst scheiterte. 47 Mal spielte der heute 45-Jährige, der einst bei Motor Halle begann und mit zwölf Jahren nach Dresden an die Sportschule geschickt wurde, für die DDR. Das erste Mal mit 18. Er gab den Abräumer auf der Sechser-Position, mit ähnlicher Klasse wie Bastian Schweinsteiger heutzutage. "Stübs" legte den großen Michel Platini an die Kette - und nicht nur den. Doch als nach der Wende seine Freunde und Kollegen Kirsten, Sammer und Co. in der Bundesliga unterkamen, blieb der introvertierte, labile Schweiger mental überfordert mit den neuen Freiheiten zurück. 1993 feuerte ihn Dynamo nach einigen Eskapaden. "Der schlimmste Moment war, als ich meinen Spind im Stadion ausgeräumt habe", sagte er der "Sächsischen Zeitung".

Geyer holte Stübner zu Sachsen Leipzig in die dritte Liga. Der Comeback-Versuch scheiterte. "Eigentlich hätte ich das schon nicht mehr machen dürfen, sondern mich krankschreiben und therapieren lassen müssen", sagte Stübner rückblickend. Denn die Sucht hatte ihn im Griff. "Da kam eins zum anderen." 1995 flößte er sich einen Medikamenten-Cocktail ein, brach auf der Straße zusammen, landete auf der Intensivstation und entkam nur knapp dem Tod. Ein Selbstmordversuch, so wurde gemunkelt. "Es war ein Versehen", sagte er. Die Ärzte rieten ihm zu psychologischer Behandlung. Er lehnte ab. Seine Reise führte ihn zum 1. FC Neubrandenburg und nach Eresburg-Obermarsberg (Verbandsliga NRW). 2003 feierten ihn die Dynamo-Fans beim Abschiedsspiel von Ulf Kirsten. Da hatte er sich hingewagt. Im Juli jenen Jahres tauchte er plötzlich beim VfB Sangerhausen auf. Dem Verbandsligisten sollte er als Co-Trainer und eventuell als Spieler helfen. Die Episode dauerte nur gut eine Woche. An seinem 38. Geburtstag überlebte seine Mutter einen Autounfall nicht. Stübner verschwand von heut auf morgen. Irgendwann probierte er sich dann auf Gran Canaria als Fitnesstrainer. Jetzt ist er wieder in Dresden.

Inzwischen soll ihm ein Psychologe helfen. Stübner übt den geregelten Tagesablauf, macht etwas Sport, sucht einen Job, will endlich eine Familie. "Ich möchte nicht rumgammeln", sagte er im WDR. Matthias Sammer und Ulf Kirsten wurden via Bild auf Stübner angesprochen und gefragt, ob sie nicht helfen könnten. "Das ist ein sensibles Thema. Jörg ist ein scheuer Mensch, man darf ihn nicht überfordern. Wir wollen es über den Verein Dynamo probieren", so Sammer. Kirsten bestätigte, man wolle "ihn unterstützen und einen Job finden". Bislang ist das nicht gelungen. Der scheue Stübner kapselt sich ab. Doch in Leipzig werden sie heute auch über ihn reden.  (mz)