Contergan (1) : Eine einzige Tablette
Hamburg/dpa. - Dieser Film hat TV-Geschichte geschrieben, noch bevor er zum ersten Mal auf dem Bildschirm zu sehen ist: Der ARD- Zweiteiler «Contergan» beleuchtet eines der dunkelsten Kapitel in der deutschen Medizingeschichte und löste einen anderthalbjährigen Rechtsstreit vor Hamburger Gerichten aus.
Der Pharmakonzern Grünenthal, damals Hersteller des Schlafmittels, das Missbildungen bei Neugeborenen verursachte, und der einstige Anwalt der Opfer waren gegen die Ausstrahlung vorgegangen. Das Bundesverfassungsgericht machte schließlich vor wenigen Wochen den Weg für das Werk in einer Eilentscheidung frei, auch wenn noch nicht abschließend entschieden worden ist. Nun zeigt die ARD an diesem Mittwoch und Donnerstag (jeweils 20.15 Uhr) den Film, mit dem Regisseur Adolf Winkelmann ein ebenso packendes wie bewegendes Drama gelungen ist.
Die WDR-Produktion erzählt die Arzneimittelkatastrophe anhand der Familie des Anwalts Paul Wegener (Benjamin Sadler). Wegeners Frau Vera (Katharina Wackernagel) ist schwanger, doch «eine einzige Tablette» - so auch der Titel des ersten Teils - verändert das Leben der Familie. Die Szene im Kreißsaal ist erschütternd und brutal: «Paul, was ist? Sie zeigen mir mein Kind nicht», sorgt sich Vera. Die Ärzte wollen ihr das Baby zunächst vorenthalten, dem ein Bein fehlt und dessen Arme nur winzige Stummel sind. Statt Worten des Trostes sagen die Mediziner den Eltern, man müsse sich damit nicht «belasten» und es gebe Heime für solche «verkrüppelten» Kinder. «Meinen Sie, der Anblick Ihrer Tochter ist für uns keine Zumutung?!», sagt ein Arzt sogar.
«Damals sprach man nicht von Behinderten, sondern von Krüppeln und Missgeburten», sagt Regisseur Winkelmann («Nordkurve», «Engelchen flieg»). 1957 war Contergan auf den Markt gebracht und vier Jahre später wieder gestoppt worden. Im ersten Teil zeigt der Film, wie in dem Anwalt der Verdacht reift, dass zwischen Medikament und Missbildungen ein Zusammenhang besteht. Schließlich setzt Wegener auf Drängen seiner Frau alles daran, der Herstellerfirma den Prozess zu machen. Doch es dauert Jahre. Im zweiten Teil («Der Prozess») schließlich verfolgt der Zuschauer das Gerichtsverfahren, in dem Grünenthal-Anwalt Naumann (August Zirner) auf Zeit spielt und auf eine Verjährung hofft. Der Prozess endete 1970 mit einem Vergleich, Grünenthal zahlte einmalig 100 Millionen Mark Entschädigung.
Dass es sich um keinen Dokumentar-, sondern einen Spielfilm handelt, dass Personen frei erfunden sind - darauf weisen Vor- und Abspann beider Folgen ausdrücklich hin. Grünenthal und der damalige Gegner der Firma, der Opferanwalt, hatten versucht, die Ausstrahlung unter anderem wegen der Verletzung von Persönlichkeitsrechten stoppen zu lassen. Basis der Klage war allein das Drehbuch. «Die Hälfte der Punkte, die uns danach vorgeworfen wurden, waren im Film gar nicht mehr drin», erläutert Winkelmann. Es seien 23 Verfahren angestrengt worden, berichtet Produzent Michael Souvignier. «Da erfährt man, was ein juristischer Apparat mit einem anstellen kann», sagt er und unterstreicht: «Das ist ein gewaltiges Stück unbewältigter deutscher Geschichte, das wir hier aufgearbeitet haben».
Die Macher betonten zugleich, dass sie aus ihrer Geschichte keine «Freak-Show» machen wollten. «Am schwierigsten waren die Szenen, in denen Behinderte zu sehen sind», meint der Regisseur. Auf der anderen Seite habe er aber auch nicht «zu verschämt» mit dem Thema umgehen wollen. Eindringlich demonstriert er am Beispiel der Wegener-Tochter Katrin (Denise Marko), wie Behinderte damals ausgegrenzt wurden, etwa als das Mädchen einen Kindergarten besuchen soll. Oder als es voller Vorfreude am Geburtstagstisch sitzt und erleben muss, dass keiner der Gäste erscheint. «Heute war der schlimmste Tag in meinem Leben - nicht der Tag, an dem Katrin geboren wurde», sagt die Mutter. Nach der Fiktion folgt die Dokumentation: Im Anschluss an den zweiten Teil sendet die ARD die Dokumentation «Contergan - Die Opfer, die Anwälte und die Firma».