CDU-Parteitag CDU-Parteitag: 97,94 Prozent plätten Merkel
Hannover/MZ. - Die Vorsitzende wird langsam unruhig. Drei Mal ist sie schon von ihrem Sitz aufgestanden, ans Podium zurückgegangen, hat den rund 1.000 Delegierten zugewinkt. An die fünf Minuten sind vergangen, aber immer noch wollen sie nicht aufhören zu klatschen. Angela Merkel tigert auf der Bühne herum. Mal spricht sie mit einem der christdemokratischen Honoratioren, mal geht sie in die Richtung, wo nur leuchtend rot und stumm die drei Buchstaben prangen: CDU.
Dann endlich ist die Tortur vorbei. Sieben Minuten und 41 Sekunden will ein besonders exakter Beobachter gestoppt haben. Irgendwann hat sich im deutschen Parteienwesen eingebürgert, dass ein Vorsitzender für seine Rede mindestens sechs Minuten Beifall braucht - sonst ist er in der Krise. Merkel weiß das. Die Delegierten auf der Hannover-Messe wissen das. Sie tun ihre Pflicht. Ein schweres Wahljahr steht bevor. Erst hier in Niedersachsen. Dann im Bund. Jetzt ist Kampfgemeinschaft angesagt.
Aber eine gute Stunde später passiert etwas, mit dem die Gemeinde der Pflichtmenschen dann doch nicht gerechnet hat. Die Delegierten nicht, und Merkel schon gar nicht. Der Jubel bricht explosionsartig aus, als David McAllister, der Gastgeber, der im Januar das Amt des niedersächsischen Ministerpräsidenten zu verteidigen hat, das Wahlergebnis der Vorsitzenden bekannt gibt: 97,94 Prozent. Persönlicher Rekord. Angela Honecker in freier Wahl. Nur Helmut Kohl hatte in der grauen Vorzeit der 70er Jahre einmal über 99 Prozent.
"Ich bin echt platt", gibt die vorsitzende Kanzlerin zu, als sie endlich zu Wort kommt, mit zwei Blumensträußen bewaffnet. Irgendwie ist der Frau, die ein halbes Leben in der DDR gelebt hat, dieses Ergebnis offenbar ein bisschen peinlich. Weshalb sie fortfährt, nun gehe es mit den Vorstandsmitgliedern, die gleich noch zu wählen sind, aber "ran an den Speck". Nicht ausruhen. Ranklotzen.
Soviel Emotion zu zeigen, ist normalerweise nicht Merkels Ding. Und in ihrer Rede hat sie es vermieden. Da ist das übliche Maß an christdemokratischen Grundwerten vorhanden. Frauen, Familie, Kinder vor allem kommen etwas stärker vor. Wo sie sonst umstandslos den Wert von Bildung und Forschung preist, sind diesmal zunächst Mal die lieben Kleinen dran - der "wichtigste Schatz" dieses Landes. Das gilt der konservativen Minderheit, aber vor allem den Frauen. Die müssen nämlich befriedet werden - weil ihre wichtigste Forderung nur sehr, na ja, unvollkommen erfüllt wird. Mütter, die ihre Kinder vor 1992 bekommen haben, sollen dafür ein kleines Plus in der Rente erhalten. Wenn's die Haushaltslage denn erlaubt. Die Frauen, in letzter Zeit immer aufmüpfiger, etwa gegen das ungeliebte CSU-Kind namens "Betreuungsgeld", sind schon öfter vertröstet worden. Also Vorsicht: Von allen was verlangen, aber keine(n) verprellen. Kein Zufall, dass sie, halb spöttisch, halb respektvoll, "Mutti" genannt wird.
Sie kümmert sich. Um die Partei, vor allem aber um die Welt. Genauer: Um Europa. Das ist ihre Welt. Und weil das in weiten Kreisen auch ihrer Partei populär ist (nicht nur bei SPD und Grünen), plädiert sie für jene "Finanztransaktionssteuer", die so wenig Chancen hat, jemals EU-weit Wirklichkeit zu werden. Ansonsten hartes pointenarmes Brot. Marke Merkel. Die Leute sollen was lernen, nicht sich amüsieren.
Aber am Ende wird sie sogar einmal pathetisch. "Gottes sind Wogen und Wind", zitiert sie einen Spruch, der in einem uralten Brunnen auf Rügen zu finden ist, wo Merkel ihren Wahlkreis hat. "Aber Segel und Steuer sind Euer!" Das passt dann auch gut zu dem Kompass, den ihre Partei in Gestalt des "christlichen Menschenbildes" besitze. Das hören Sie gern, die Delegierten, am Beginn des Wahljahres. Da schließt der Schlussbeifall ganz gut an.
Aber weil Merkel eben auch weiß, dass die eigenen Leute durchaus bereit sind, die Wirklichkeit wahrzunehmen, und weil sie gelegentlich auch das hat, was man einen "dicken Hals" nennt, bekräftigt sie nicht nur ihre Formel von der "erfolgreichsten Regierung seit der deutschen Einheit". Nein, sie macht einen Witz, den einzigen der Rede, auf Kosten der FDP. Die habe der liebe Gott wohl nur geschaffen, um uns zu prüfen, zitiert sie eine Satire-Sendung aus dem Fernsehen. Brüllendes Gelächter, in dem der Zusatz fast untergeht, in der FDP werde womöglich genauso "über uns" gedacht. Derlei Offenheit ist selten in einer Parteitagsrede. Ebenso wie der Hinweis, dass die CDU jede Stimme brauche und die FDP noch erheblich zulegen müsse, damit die Koalition die ach, so erfolgreiche Arbeit fortsetzen könne. Die politischen Gegner wie die SPD bekommen nur das Nötigste ab, von wegen Steuererhöhungen und-Nicht-zur-Agenda-2010-Bekennen. Die Grünen kommen so gut wie gar nicht in ihrer Rede vor - anders als in vielen Debattenbeiträgen, die den Schluss nahe legen, die Ökopartei sei der wichtigste Gegner der Christdemokraten, nicht die Sozialdemokratie.
Zu den Sponsoren, ohne die ein solcher Parteitag nicht zu finanzieren wäre, gehört in Niedersachsen selbstverständlich der VW-Konzern. Zum Medienempfang steuert er die angebliche Lieblingsspeise ihrees Vorgängers Gerhard Schröder bei: Currywurst. Und Thomas Steg - erst Schröders, dann ihr Vizeregierungssprecher in der Großen Koalition - bekommt eine diskrete Audienz. Ein Schelm, der Böses dabei denkt!