Boxlegende Boxlegende: Teofilo Stevenson, der Große

Halle (Saale)/MZ. - Es gibt sie, diese Nachrichten, die schwer auf den Magen schlagen. Am Dienstagvormittag, gerade zur Frühstückszeit, gab es so eine: Teofilo Stevenson, der vielleicht beste Amateurboxer aller Zeiten, ist tot, gerade mal 60 Jahre und zweieinhalb Monate alt geworden. Fassungslos sitze ich einen Moment vor der Videotext-Seite des Fernsehers. Dann werden Bilder der Erinnerung wach. Bilder, so stark und klar, als wäre es gestern erst gewesen. Und doch sind 40 Jahre vergangen seit dem ersten einschneidenden Erlebnis.
Olympische Spiele 1972 in München. Kubas Boxer sind plötzlich in aller Munde, praktisch von Null auf Hundert durchgestartet. Die ersten Kämpfer in den unteren Gewichtsklassen sind schon Extraklasse. Aber der beste soll erst noch kommen, ein gewisser Teofilo Stevenson im Schwergewicht.
Den muss ich unbedingt live im West-Fernsehen sehen, koste es was es wolle. Aber wie anstellen? Sein erster Kampf ist an einem Wochentag am frühen Nachmittag. Hätte ich normalerweise nie geschafft, weil erst 14.30 Uhr Schichtschluss ist. Also nehme ich all meinen Mut oder auch Übermut zusammen und schleiche mich eine Stunde früher nach Hause. Und dann wird es ein kurzes Vergnügen. In der dritten Runde schlägt Stevenson den Amerikaner Duane Bobick, der später noch ein brauchbarer Profi werden sollte, K.o.. Peter Hussing ergeht es im Halbfinale nicht besser. Zum Finale trifft dann der Rumäne Ion Alexe - offiziell wegen einer Verletzung - gar nicht erst an. Stevenson ist seit diesen Tagen mein Box-Held. Teofilo, der Große. Das Desertieren vom Arbeitsplatz bleibt im übrigen unbemerkt. Es hätte allerdings auch das Ende meiner jungen Facharbeiter-Karriere in Leipzig sein können.
Bis zur nächsten Begegnung und dem ersten Live-Erlebnis mit Stevenson sollten sieben Jahre ins Land gehen. Da sitze ich als Sportjournalist, jung, unerfahren, schüchtern und aufgeregt in der ersten Reihe beim Chemiepokal in der knüppelvollen Eissporthalle am Gimritzer Damm in Halle. Werner Kohnert, ein talentiertes Schwergewicht aus der zweiten Reihe der DDR-Garde, soll das Auftakt-Opfer geben. Mitleidige Blicke wandern zu dem jungen Mann, Wetten laufen, dass er wohl kaum länger als eine Minute aufrecht im Ring stehen würde.
Doch Kohnert macht den Kampf seines Lebens, verliert nur knapp nach Punkten. In der Erinnerung bleibt das Urteil sogar als sehr umstritten haften. Auch im Finale geht Jürgen Fanghänel mit Stevenson über alle drei Runden.
Was ist da los? Ist die große Zeit von Stevenson etwa schon vorbei? Hat er einfach nur zwei schwache Tage erwischt? Ist ihm der Kneipenbesuch im "Haus am Fuchsberg" in Kröllwitz nicht bekommen. Schließlich hat ihn Wirt Hans Meyer, 1952 DDR-Fußball-Meister mit Turbine Halle, grandios durchgefüttert. Stevenson, dem alle Experten zugetraut haben, dass er selbst gegen Profi-Weltmeister Muhammad Ali bestehen würde, gibt da einen freundlichen wie zurückhaltend-sympathischen Gast.
Eine schlüssige Antwort findet sich damals, 1979, nicht. Dafür gibt es weitere Erinnerungen an den Menschen Stevenson, der leicht und unbeschwert daherkommt mit all der kubanischen Lebensfreude. Jahre später erzählt mir ein Journalistenkollege eine fast unglaublich klingende Geschichte: Teofilo ist kurz vor einem seiner insgesamt drei Auftritte beim Chemiepokal Vater geworden. Also werden Geschenke gekauft, ein Strampler, ein paar Klappern. Und die überreicht er Stevenson nicht etwa in der stillen Abgeschiedenheit der Trainingshalle, sondern - fast schon dreist - eine halbe Stunde vor dem Finalkampf. Von jedem anderen Boxer wäre er wohl aus der Kabine geschmissen worden. Nicht aber von Teofilo Stevenson. Der sagt mit fast kindlicher Freude Danke.
Stevenson wird in dieser Zeit so etwas wie das Gesicht des Chemiepokals, so wie ein Jahrzehnt später Henry Maske. Für viele ist der Kubaner der beste Amateurboxer aller Zeiten. Ein Boxer, der Kuba immer treu blieb und sich auch nicht mit Millionen-Dollar-Gagen bewegen ließ, gegen die besten Profis seiner Zeit anzutreten.