1. MZ.de
  2. >
  3. Varia
  4. >
  5. Boxer Steven Küchler: Boxer Steven Küchler: Mr. Hollywoods Traum

Boxer Steven Küchler Boxer Steven Küchler: Mr. Hollywoods Traum

Von CHRISTOPH KARPE 20.05.2010, 18:01

HALLE/MZ. - Sandsäcke hängen von der Decke, vor den Backsteinwänden stehen Fitnessgeräte, gefährlich aussehende Männer mit bandagierten Händen wärmen ihre Muskeln bei diversen Dehnübungen. Es ist wuseliger Betrieb in der kleinen Boxhalle des Kultur Sport Klubs (KSC) über einer Spielothek im halleschen Glaucha-Viertel. Die GBA, die kaum bekannte German Boxing Association, richtet an jenem Mittwochabend hier zwei Profi-Kämpfe aus zwischen Jungs, die noch keiner kennt und die das ändern wollen. Dazu gibt es Trainings-Duelle für die etwa 30 Zuschauer.

Einer zieht die Blicke aller magisch an. Ist das nicht? Ja, es ist Steven Küchler, der gerade mit dickem Kopfschutz und einem Shirt, das über einigen nicht muskulären Pfunden schlabbert, in den Ring klettert. Es folgt ein verbissen, engagierter Schlaghagel. Der Sparrings-Gegner ist unbequem. Der haut richtig zu. Plötzlich schlägt es bei Küchler ein, er wankt kurz. Weiter geht's. War doch nichts.

Küchler boxt wieder. Er meint es ernst. Am 5. Juni will er im Mittelgewicht sein Comeback geben. Bei einer Veranstaltung in der hiesigen Brandberge-Halle unter dem martialischen Namen "Die Nacht, die kracht" soll der einstige Weltklasseboxer der deutschen Amateure die Zugnummer sein. Ein Gegner fehlt noch. "Mister Hollywood war niemals tot, er hat sich nur zurückgezogen. Jetzt ist er wieder zurück", sagt Küchler. Solche Sprüche, die "Mr. Hollywood" einst kennzeichneten, gehen dem jetzt 34-Jährigen noch immer locker über die Lippen.

Bloß warum nur will Küchler wieder mit den Fäusten arbeiten? Reichlich fassungslos beobachtet Ottomar Sachse die Szene und stellt sich hier nicht als einziger diese Frage. Sechs Mal hat er in den 70er-Jahren den weltbekannten Chemiepokal der Amateurboxer gewonnen. "Ich weiß nicht, was das soll", sagt das Box-Idol und schüttelt den Kopf über seinen einstigen Nachfolger. Küchler kennt solche distanzierten Reaktionen. "Natürlich hat man auch zu mir gesagt, ich sei bescheuert." Sechs Jahre hat Steven Küchler nach dem desaströsen Ende seiner kurzen Profikarriere nicht mehr für Geld geboxt. Jetzt muss er es. Dem Mann geht es nicht so gut, wie er sich gibt. Nach der Niederlage am 11. September 2004 gegen einen Nobody ließ ihn der Hamburger Universum-Box-Stall fallen wie eine heiße Kartoffel. Von heut auf morgen ohne Job dazustehen, zerrte an den Nerven. "Ich war ziemlich niedergeschlagen, weil ich keine Arbeit fand. Dabei war ich immer davon ausgegangen: wer arbeiten will, bekommt auch Arbeit. Weit gefehlt!", erzählte er einmal. Also machte er sich notgedrungen 2005 als Box- und Fitnesstrainer selbständig. Das Geschäft lief nicht gut, 2009 sogar immer schlechter. "Die Wirtschaftskrise ist auch an mir nicht spurlos vorübergegangen", sagt er und die eben noch feurigen Augen verglühen kurz.

Doch das sei beileibe nicht der Hauptgrund für das überraschende Comeback, beteuert er. "Als am 27. März der Hallenser Steffen Kretschmann vor einem Millionen-Publikum im TV gegen den Russen Denis Bachtow aufgab, und alle Trainer Jürgen Witte die Schuld gaben, hab ich mir gesagt: ,So darf mein alter Coach nicht abtreten'", sagt Küchler. Am nächsten Tag rief er Witte an. Dann ging es zum Training. Drei Tage lang habe er sich fast rund um die Uhr geschunden, um zu sehen, was sein Körper noch so hergibt. "Danach war ich platt. Aber ich hab gemerkt: Ich kann's noch. Also wurde es ernst."

Witte steht daneben, während Küchler erzählt. "Ich bin nicht sein Trainer. Ich berate einen alten Kameraden, der mich um Hilfe gebeten hat", sagt er und wirkt dabei traurig. Die Sorge um den Jungen, der einst unter seinen Fittichen bis in die Weltspitze vorgestoßen war, steht dem Coach ins Gesicht geschrieben. "Eigentlich", sagt Witte, "war Stevens Potenzial nach dem schweren Autounfall von 1997, nach dem sein Leben am seidenen Faden hing, verbraucht."

Küchler wischt Bedenken beiseite. Nein, da geht noch was. Das fühlt er. "Früher bin ich als Profi vom großen Fritz Sdunek falsch trainiert worden. Mit Witte hätte ich weiter Erfolg gehabt", sagt er. Und dann redet er glaubhaft davon, wie ernst er es wirklich meint. "Ich greife nochmal an. Mal sehen, wie weit ich komme. Vielleicht schaffe ich es ja, mit Sebastian Zbik eine alte Rechnung zu begleichen - sollte er dann noch Weltmeister sein." Der Schweriner, der ihn einst an den Rand drängte, ist heute Interims-Champion des Weltverbandes WBC und unbesiegt. Nur eines steht fest: "Mit 40 will ich nicht mehr im Ring stehen", so Küchler. Aber vorher möchte er es nochmal krachen lassen - allen Sorgen um seine Gesundheit zum Trotz. Ein Stoff für Hollywood.