Australian Open Australian Open: Rainer Schüttler steht im Finale

Melbourne/dpa. - Tennis-Deutschland träumt vom größten Wunder seit Boris Beckers erstem Wimbledon-Triumph 1985: Dauerläufer Rainer Schüttler schaffte bei den Australian Open den sensationellen Durchmarsch bis ins Finale und kann dort am Sonntag (4.00 Uhr MEZ) in die Fußstapfen des Leimeners treten, der in Melbourne vor sieben Jahren den letzten Grand-Slam-Triumph seiner großen Karriere feierte. Gut vier Monate später hatte in Wimbledonsieger Michael Stich bei den French Open letztmals ein Deutscher ein Grand-Slam-Finale erreicht. Gottfried von Cramm, Wilhelm Bungert und Henner Henkel sind die einzigen anderen deutschen Endspiel-Teilnehmer der Grand-Slam- Historie.
«Wahnsinn, das ist einer der besten Momente meines Lebens. Ich habe die Welt innerhalb von zwei Wochen ein bisschen auf den Kopf gestellt. Daran habe ich vor dem Turnier nie gedacht, ich war froh, in der dritten Runde zu sein», sagte Schüttler am Freitag nach dem 7:5, 2:6, 6:3, 6:3 über den neuen US-Hoffnungsträger Andy Roddick. Auf dem Weg zum größten seiner Träume muss der 26 Jahre alte Hesse aus Korbach allerdings die höchste Hürde überspringen: Der dreimalige Sieger Andre Agassi, der bei einem Erfolg mit Ehefrau Steffi Graf Mixed bei den French Open spielen will, gilt nach seinen bisherigen Vorstellungen als klarer Favorit. Aber Schüttler hat schon mal 593 925 US-Dollar sicher; der Sieger kassiert gar das Doppelte.
«Ich habe noch einen Traum. Sorry Andre, aber du hast hier schon so oft gewonnen», sagte Schüttler vor 15 000 Zuschauern in der ausverkauften Rod-Laver-Arena und einem Millionenpublikum am Fernsehen im Interview mit John McEnroe. «Willst du ihm in den Hintern treten?» fragte McEnroe. «Er hat mir schon in den Hintern getreten», antwortete Schüttler lachend. Das einzige Duell mit Agassi hatte er 1998 im Achtelfinale des ATP-Turniers in München 1:6, 4:6 verloren. Doch damals war Schüttler noch ein anderer, auch wenn er befand: «Er ist einer der größten Tennispieler, die es je gegeben hat. Vielleicht isst er ja vorher etwas Falsches.»
Dass nicht der zweimalige Australien-Halbfinalist Thomas Haas oder der momentan ebenfalls verletzte Nicolas Kiefer vor ihm aus Beckers und Stichs Schatten heraus treten konnten, war Schüttler egal - ebenso die Tatsache, dass er ins Beckers Fußstapfen treten kann und nun die deutsche Nummer eins ist. Während die Teamkollegen per SMS bei Daviscup-Teamchef Patrik Kühnen gratulierten, hatte der Auftritt seines neuen Spitzenspielers Kühnen fast die Sprache verschlagen.
«Dass Rainer von der Psyche her nie locker gelassen hat, als er den Gegner ab dem dritten Satz in der Hand hatte, finde ich bei den Umständen unglaublich. Wenn es um den Einzug in ein Grand-Slam-Finale geht, denkt man schon einmal nach. Das hat ihn heute als Spieler und als Mensch für die nächsten Jahre weiter gebracht.» Gegen Agassi müsse er sich vergegenwärtigen, was er in den vergangenen zwei Wochen geschafft habe. Trainer Dirk Hordorff hatte das Halbfinale relativ ruhig verfolgt und ist auch für Sonntag optimistisch: «Agassi ist nicht einer aus einer anderen Welt. Rainer muss sein Tennis spielen. Wenn einer aus Deutschland, den er nicht kennt und ihm die Bälle um die Ohren haut, kommt auch er vielleicht ins Schwitzen.»
Gegen Roddick war Schüttler die Nervosität anfangs anzumerken. Wie so oft im bisherigen Turnier verlor er zu Beginn seinen Aufschlag, glich aber schnell aus. Der Grundlinienspieler ließ den 20-Jährigen nach dessen beiden Fünf-Satz-Marathons so viel wie möglich laufen. Der in der Schweiz lebende Hesse profitierte beim ersten Satzball von einem der zahlreichen Rückhandfehler seines Kontrahenten, hatte selbst allerdings lange Zeit große Probleme mit seinem Aufschlag.
Zu Beginn des zweiten Durchgangs verlor der Weltranglisten-36. unerklärlicherweise wieder den Faden, lag schnell 0:4 zurück und kassierte den Ausgleich. Danach ließ sich Roddick am schmerzenden rechten Handgelenk behandeln. Nach einem Hechtsprung im Match gegen Younes El Aynaoui war er darauf gestürzt. «Vielleicht», sagte Roddick auf die Frage, ob er in einem anderen Turnier zurückgezogen hätte, lobte aber seinen Gegner nach dem 2:18 Stunden langen Duell: «Rainer hat es verdient. Er hat die wichtigen Punkte gewonnen und angesichts der Umstände sehr klug gespielt.»
An seine grandiose Vorstellung im Viertelfinale gegen El Aynaoui konnte der US-Daviscupspieler nie anknüpfen, Schüttler zeigte zudem aus dem Spiel heraus mehr Konstanz und steigerte sich wieder. Das Break zum 4:2 genügte zur erneuten Führung, ein weiteres zu Beginn des vierten Satzes und eines am Ende machten das Unfassbare perfekt. Nach seinem Passierball zum Sieg legte sich Schüttler auf die Aufschlaglinie und streckte alle Viere von sich.