Alzheimer-Gesellschaft Alzheimer-Gesellschaft: Wenn die fünf Sinne verloren gehen
Wittenberg/MZ. - Auf den Türen im Inneren der neuen Räume kleben selbstgebastelte Schilder in leuchtendem Orange mit verschiedenen Symbolen, die die Funktion des Raumes verdeutlichen: ein Waschbecken, eine Couch, Toilettenschüssel, eine Liege. Denn diejenigen, die hier seit Anfang August betreut werden, können mit Wörtern oft nur noch wenig anfangen, sie haben ihre Bedeutung manchmal schlichtweg vergessen. "Alzheimer-Patienten verlieren nach und nach ihre fünf Sinne; sie können nicht mehr riechen, nicht sprechen, weil ihnen bestimmte Worte einfach nicht mehr einfallen", erläutert Harald Jaap, Geschäftsführer der Alzheimer-Gesellschaft Sachsen-Anhalt, das Krankheitsbild. "Man muss sein Verhalten im Umgang mit den Erkrankten darauf einstellen."
Rund 1,3 Millionen Menschen, die an dieser unheilbaren Alterserkrankung leiden, gibt es allein in Deutschland, Tendenz steigend. Betroffen sind aber auch Ehepartner und Familienmitglieder, denn 80 Prozent der Alzheimer-Patienten werden von Angehörigen zu Hause gepflegt - 24 Stunden am Tag, oft über Jahre hinweg. "Eine Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ist da unmöglich, die Betreuung nimmt so in Anspruch, dass der Partner oft selbst krank wird", so die Erfahrung von HaraId Jaap. "Und das wollen wir mit unserer Arbeit verhindern helfen."
Drei geschulte ABM-Kräfte stehen dazu in den Räumen in der Straße der Völkerfreundschaft 128 wochentags zwischen 8 und 15.30 Uhr bereit. Hier werden Betroffene betreut, können gemeinsam singen und musizieren und die Bewältigung von Alltagstätigkeiten einüben. Doch auch darüber hinaus sind die drei Mitarbeiterinnen bereit, Angehörige zu entlasten, wie Christine Thauer betont. "Wenn jemand mal außerhalb der Betreuungszeiten einen dringenden Termin hat oder auch nur endlich mal wieder abends ins Theater gehen will, werden wir versuchen das zu ermöglichen, da müssen wir einfach flexibel sein."
Die neue Einrichtung in Wittenberg ist bereits die vierte Anlaufstelle, die die 1996 gegründete Alzheimer-Gesellschaft in Sachsen-Anhalt unterhält. Neben der Betreuung Betroffener und der Entlastung der Angehörigen sehen die Mitarbeiter ihre Aufgabe darin, für mehr Verständnis in der Öffentlichkeit zu werben, betont Jaap. "Viele Familien, in denen ein Mitglied erkrankt, ziehen sich erschrocken und verschämt in ein Mauseloch zurück; sie denken ´Oh Gott, jetzt haben wir einen Blöden in der Familie´. Aber das ist kein Blöder, das ist eine ernste, furchtbare Krankheit, und sie kann jeden treffen."
Hinzu kommt, so Jaaps Erfahrung, dass sich oftmals Freunde zurück zögen, ja manchmal sogar die eigenen Kinder. "Die können oder wollen nicht begreifen, dass Vater oder Mutter, die einst ein Vorbild im Leben waren, nun nicht mehr Herr ihrer Sinne sind. Da ist man auf einmal sehr einsam." Um die Familien vor dieser Erfahrung zu bewahren, gehört zum Angebot der Betreuungsstelle ein monatlicher Treff der Angehörigen.
Das Betreuungsangebot selbst ist kostenlos, die Alzheimer Gesellschaft bittet jedoch um Spenden zur Finanzierung ihrer Arbeit. Auch die Einrichtung der neuen Räume ist Ergebnis von Sachspenden. Mit dem bunten Sammelsurium geschenkter Möbel haben Christine Thauer, Karin Kießling und Swetlana Thoss die Zimmer wohnlich hergerichtet. Fröhliche Sonnenblumensträuße verbreiten gute Laune und die drei Damen Optimismus: "Nach unserer Schulung in Theorie und Praxis hat uns Herr Jaap noch mal gefragt, ob wir diese Arbeit wirklich machen wollen", erzählt die gelernte Kindergärtnerin Karin Kießling. Ihre Antwort: "Wir schaffen das."