50 Jahre Sportschulen 50 Jahre Sportschulen: Liebe auf den zweiten Blick
Wittenberg/MZ. - Die Welt würde er am liebsten einreißen, der kleine Bülziger. Doch Harald Werner, Trainer beim SC Chemie Halle, winkt 1969 bei der Aufnahmeprüfung zur Sportschule ab. Frank Wartenberg, 14, hagere 48 Kilo auf 1,58 Metern verteilt, wird für zu leicht befunden. "Die hatten Angst, dass ich auseinander breche", erinnert sich der heute 49-Jährige, mittlerweile Sportreferent der Stadtverwaltung Wittenberg. Werner gibt dem "Floh" einen Tipp mit auf den Heimweg: "Du musst mehr essen und weiter Sport treiben. Komm doch in einem Jahr wieder."
1970 klopft Wartenberg tatsächlich erneut in Halle an. Seine Referenzen sind für einen Athleten aus der Provinz vielversprechend: Endkampf bei der Kinder- und Jugendspartakiade in Berlin über 300 Meter Hürden und im Dreisprung, vordere Ränge in den Bestenlisten des Bezirkes Halle. Der Wechsel an die Saale ist ein Kulturschock. "Ich habe noch immer den Speisesaal vor Augen. Es war wie in einer Mitropa-Gaststätte." Wie die Ölsardinen quetschen sich die Sportler in den Raum. Zwischen Zehnkämpfern zwängen sich zierliche Turnerinnen zur Essensausgabe. "Dieses Bild werde ich nie vergessen."
Kurioserweise ist es jetzt Hürdentrainer Werner, der mit seinem Sprungkollegen Siegfried Just um die Gunst des Talentes aus dem Vorfläming kämpft. Just gewinnt und formt aus Wartenberg innerhalb kurzer Zeit einen Weltklasse-Athleten. 1973 wird der nun baumlange Weitspringer Junioren-Europameister in Duisburg. Als Wartenbergs Stern heller denn je strahlt, schlägt das Schicksal gnadenlos zu. Nach einer Achillessehnenverletzung prognostizieren Ärzte in Bad Düben schon das Karriereende. "Ohne meine Familie und Freunde hätte ich vielleicht aufgegeben." Wieder beißt er die Zähne zusammen. Mit der Unterstützung des Clubs im Rücken humpelt Wartenberg zu den Lehrgängen vor den Olympischen Spielen 1976.
Sein eiserner Wille wird doppelt belohnt. In Kienbaum lernt er Christiane Stoll kennen, eine Mittelstrecken-Läuferin vom SC Neubrandenburg. Wie sich doch die Bilder gleichen. Auch sie scheiterte beim ersten Aufnahmeversuch für die Sportschule. Warum? "Ich war zu klein und zu leicht." In Montreal zahlt die junge Frau noch Lehrgeld, verpasst den Endlauf. Wartenberg hingegen, den eine Adduktorenzerrung plagt, landet bei 8,02 Metern im Sand und gewinnt Bronze. "Es war eine Zitterpartie, ein Zentimeterspringen. Als ich die Medaille in den Händen hielt, wusste ich, wofür die Schufterei gut war."
Es sollte der große Höhepunkt bleiben. Ein Knorpelschaden zwingt ihn kurz vor den Sommerspielen 1980 in Moskau in den leistungssportlichen Ruhestand. Ehefrau Christiane, 1977 hatten sie sich im Standesamt ewige Treue geschworen, nachdem die nunmehr 48-Jährige zum SC Chemie Halle gewechselt war, läuft im olympischen 1 500-Meter-Finale eine Traumzeit. 3:57,71 Minuten bedeuten für die heutige Leiterin eines Kindertreffs Silber und einen deutschen Rekord scheinbar für die Ewigkeit. Auch 25 Jahre nach Moskau beißen sich ihre Nachfolgerinnen die Zähne an dieser Bestmarke aus.
In Bülzig haben die Wartenbergs, zur Familie gehören die Töchter Anne, Jennifer und Janine, ihr privates Glück gefunden. Jetzt ist es Liebe auf den ersten Blick.