75. Geburtstag des Boxtrainers Ulli Wegner: Der Boxtrainer feiert seinen 75. Geburtstag
Halle (Saale) - Hans-Ulrich Wegner, von allen nur Ulli genannt, ist das personifizierte Boxen. Der Mann mit den markanten Gesichtszügen und dem gebrochenen Nasenbein hat seit einem knappen halben Jahrhundert kaum etwas Anderes gemacht, als andere für das Duell Mann gegen Mann zu wappnen. Oder Frau gegen ...
Hans-Ulrich Wegner, von allen nur Ulli genannt, ist das personifizierte Boxen. Der Mann mit den markanten Gesichtszügen und dem gebrochenen Nasenbein hat seit einem knappen halben Jahrhundert kaum etwas Anderes gemacht, als andere für das Duell Mann gegen Mann zu wappnen. Oder Frau gegen Frau
Auf eine Art und Weise, die ihm Kultstatus eingebracht hat. Weltmeister-Macher wird er in der Branche anerkennend genannt. Box-Magier. Dauerbrenner. Während die Athleten im deutschen Profiboxen kommen und gehen, ist Ulli Wegner die Konstante. Selbst mit seinen ab Mittwoch 75 Lebensjahren hat er in seiner Trainingsgruppe enormen Zulauf. Obwohl er auch den wenig schmeichelhaften Beinamen Diktator hat. Trainer gnadenlos.
Er weiß um seinen Ruf, natürlich. Streng findet er sich dennoch nicht. „Korrekt, würde ich eher sagen. Sicher auch fordernd.“ Disziplin und Pünktlichkeit müssen sein. Wer nicht spurt, dem drohen harte Konsequenzen. Selbst einen wie Arthur Abraham hatte Ulli Wegner schon einmal am vereinbarten Treffpunkt wegtreten lassen und ist ohne seinen Top-Boxer ins Trainingslager gefahren, weil dieser sich verspätet hatte.
Ulli Wegner: Für viele seiner Sportler ist er der Ziehvater
Der Vorfall zeigt: Ulli Wegner sieht sich nicht nur als fachlichen Berater seiner Sportler. Viele seiner Schützlinge bezeichnen ihn als ihren Ziehvater. „Sie brauchen mich“, sagt er und sieht sich in der Verantwortung. „Solange das so ist, werde ich auch nicht aufhören, kann ich nicht aufhören. Ich würde mich schlecht fühlen.“ Als würde er sie im Stich lassen.
Das könnte einer wie Ulli Wegner mit seinem Gewissen nicht vereinbaren. Marco Rudolph beispielsweise hat diese Hilfsbereitschaft schon einmal aus schlimmer Notlage gerettet. Der Cottbuser, 1991 in Sydney Weltmeister, war danach erst wirtschaftlich und dann auch privat in arge Turbulenzen geraten. Als er nicht einmal mehr seine Unterhaltspflichten zahlen konnte, musste der einstige Champion sogar ins Gefängnis.
Ulli Wegner holte ihn da 2009 raus. Der Coach, der den Boxer bei Amateurweltmeisterschaften und anderen Großereignissen betreut, aber nie in seiner eigenen Trainingsgruppe hatte, zahlte damals ohne viel Federlesens die ausstehende Summe. Er hat auch später nie verraten, um wie viel Geld es dabei ging.
Ulli Wegner denkt nicht ans Aufhören
Der Trainerfuchs mit dem sozialen Gewissen redet lieber über positive Dinge. Gerade habe er wieder eine Gruppe von ganz fantastischen Jungs in seinem Berliner Gym, erzählt Ulli Wegner, und Stolz schwingt mit in seiner Stimme. Damit ist klar: Die Chance, sich anlässlich des Jubiläums unter dem Applaus der Boxszene aufs Altenteil zurückzuziehen, wird er nicht nutzen. Auch wenn sein Job ihm körperlich viel abverlangt.
„In der Halle bin ich der Chef“, erklärt Ulli Wegner und sieht sich trotz Helfern in der Pflicht, sich selbst fit zu halten, „weil ich ja immer mit jungen Menschen zu tun habe“. Nach seinem Achilles-Sehnenriss vor anderthalb Jahren hatte er sich mühsam wieder heranarbeiten müssen. Mit der gleichen Disziplin, die er seinen Jungs abverlangt. Nicht einmal sein Alter lässt ihn milder werden mit sich selbst. „Ein paar Kilo“, seufzt er, „habe ich noch zuviel.“ Weil die Zeit, in der er auf Krücken angewiesen war, an ihm nicht spurlos vorüber ging.
Ulli Wegner ist geduldig. Er hat gelernt, mit Rück- oder besser Querschlägen umzugehen. Denn seine Karriere verlief nicht so geradlinig, wie man vermuten könnte. Der ganz große internationale Erfolg blieb ihm als Aktiver verwehrt. Der Flüchtlingsjunge aus Stettin, der in Büssow und Penkun in Mecklenburg-Vorpommern aufwuchs, wollte lange nur Fußballspielen. Bis er beim ASK Vorwärts Rostock mit 19 seine eigentliche Berufung entdeckte. Der Späteinsteiger im Ring brachte es 1970 noch bis zum DDR-Mannschaftsmeister mit Wismut Gera.
Ulli Wegner kämpft sich durchs Studium
Der Wechsel in die Ecke des Seilgevierts schien nur folgerichtig. Doch auch das war kein Selbstläufer. Denn Wegner hatte nur einen Achtklassenabschluss und danach Traktorenschlosser gelernt. Die zehnte Klasse holte er nach, machte auch noch den Kfz-Meister. Vom Studium an der DHfK-Außenstelle in Bad Blankenburg wollte er „nach 14 Tagen wieder abhauen“, berichtet er über eine seiner größten Herausforderungen. Doch das wäre wie eine Niederlage gewesen. Also hat er das Studium durchgezogen.
Im Kampf um seine erste Ehe allerdings musste sich Ulli Wegner geschlagen geben. Auch wenn er die Zeit als Gewinn bezeichnet und das schmerzhafte Ende dieses Glücks erst der Anfang für ein zweites, späteres war. Seine jetzige Frau Margret lernte er 1985 kennen. Nach einem Vierteljahr heirateten der Experte für Faustkampf und die Lehrerin für Mathematik und Chemie in deren Heimatstadt Dessau. „Sie ist“, bestätigt Ulli Wegner nach mehr als 30 Jahren Partnerschaft, „tatsächlich mein ganz großes Glück.“ Mit seiner Familie an der Seite hat er nicht nur viele schöne Erlebnisse gehabt, sondern auch die schwierigen Momente im Beruf meistern können.
Denn für den lizenzierten Übungsleiter ging es zwar zunächst bergauf bis zum verantwortlichen Coach für die Spitzensportler. Doch 1985 folgte die Degradierung zum Junioren-Coach. Weil keiner seiner Jungs zur WM kam? Oder weil er zu aufmüpfig war? Vielleicht von beidem etwas. Doch 1988 durfte der Wahl-Berliner wieder in die erste Reihe aufrücken. Auch die Wende bremste ihn nicht. Als einer der wenigen aus der quantitativ und qualitativ starken Trainergilde des DDR-Boxsports durfte Ulli Wegner nach nur zwei Monaten Arbeitslosigkeit seine Erfahrungen als Bundeshonorartrainer an Talente aus Ost und West weitergeben.
Ulli Wegner bildete im Auftrag von Wilfried Sauerland Boxweltmeister aus
In der öffentlichen Wahrnehmung erfolgte aber erst nach seinem Wechsel 1996 ins Profigeschäft der Ritterschlag. Seitdem führte der erfahrene Trainer im Auftrag von Promotor Wilfried Sauerland Männer wie Sven Ottke, Markus Beyer, Arthur Abraham oder Joan Pablo Hernandez zu WM-Ehren. Die TV-Kameras fingen immer wieder seine markigen Sprüche in der Ring-Ecke ein. Entertainer-Qualitäten sind in der Branche Gold wert. Im wahrsten Sinne des Wortes. „Ich bin abgesichert“, bestätigt Ulli Wegner freimütig. Seine Erfolge im Job erlaubten ihm, sich und seiner Margret in Berlin-Tegel ein Häuschen zu kaufen.
Im Keller lebt der Box-Coach seine Hobbys aus. Dort steht unter anderem eine beachtliche Whisky-Sammlung im Regal - „alles Mitbringsel von Freunden oder Bekannten“. Dazu Erinnerungen und eine riesige Sammlung von DVDs mit John Wayne - den Film-Cowboy verehrt der Mann, der als Junge in Büssow die Familien-Kuh hüten musste. Das gibt er offen zu.
Die Verehrung durch die Fans gehört zum Leben des Meistercoachs. Eine Selbstverständlichkeit aber ist sie für ihn keineswegs. „Manchmal“, sagt er, „sitze ich zu Hause und denke darüber nach.“ Ulli Wegner ist dankbar. Er hat das Bundesverdienstkreuz erhalten und die Goldene Henne. Auf Usedom ist eine Sporthalle nach ihm benannt, und in Penkun und Gera ist er Ehrenbürger. Das alles mache ihn unheimlich stolz, sagt er.
Also rundum Zufriedenheit zum Jubiläum? „Einen Schwergewichts-Weltmeister“, sagt Ulli Wegner, „den hatte ich noch nie.“ Mit Kubrat Pulew könnte sich dieser Traum erfüllen. Der Bulgare aus seiner Trainingsgruppe kann sich am 28. April gegen Kevin Johnson in Sofia das Recht sichern, um den WM-Gürtel zu boxen. (mz)