Leichtathletik-WM Neugebauer überrascht Hingsen: Zehnkämpfer große WM-Hoffnung
Leo? Leo Neugebauer? Als der 23-Jährige im Juni den Rekord von Jürgen Hingsen verbessert, überrascht er auch die Zehnkampf-Legende. Gibt's jetzt WM-Gold? Der Team-Kapitän wird Fünfter und mahnt.
Budapest - Bei der kniffligen Medaillenfrage verwies Ex-Weltmeister und Europameister Niklas Kaul lieber an den Weltjahresbesten, der in diesem Sommer den Uralt-Rekord von Jürgen Hingsen knackte: Leo Neugebauer.
Der 23-Jährige lächelte kurz vor seinem WM-Start in Budapest tiefenentspannt. Weder die Favoritenbürde oder verschwundene Koffer noch die erwartete Glutofen-Hitze für den Wettkampf können ihn aus der Ruhe bringen. „So heiß, wie es hier ist - das ist ein kühler Tag in Texas“, erzählte Neugebauer, der bei den diesjährigen US-Collegemeisterschaften den deutschen Rekord um vier Zähler auf 8836 Punkte verbesserte.
Hingsen: „Haben zwei tolle Zehnkämpfer“
„Ich freue mich, dass so ein toller und junger Athlet den Zehnkampf bereichert und dass wir mit Leo und Niklas zwei tolle Zehnkämpfer haben“, schwärmte der 65-jährige Hingsen, der vom Ende seines 39 Jahre währenden Rekords selbst überrascht war. „Es ist natürlich schön, wenn so eine Königsdisziplin von zwei so Ausnahmeathleten repräsentiert wird.“
Komplettiert wird das Trio am Freitag und Samstag im nationalen Leichtathletik-Zentrum von Budapest von WM-Debütant Manuel Eitel (26). „Es geht um drei WM-Medaillen. Wenn ich eine davon kriegen könnte und Leo ist trotzdem besser, dann ist das völlig in Ordnung und richtig so“, sagte der 25-jährige Kaul. Weltmeister 2019, Europameister 2022 - und jetzt?
„Ich bin dieses Jahr Neunter in der Welt - die Frage geht an Leo“, sagte Kaul, Deutschlands „Sportler des Jahres“. Neugebauer mag sich keinen Druck machen lassen. Begleitet von 26 persönlichen Fans, die T-Shirts mit der Aufschrift „Leo The German“ und den Punktemarken vom Rekord tragen, will der 1,98-Meter-Riese Neugebauer die Wettkampftage besonders genießen.
„Ich werde da rausgehen und Spaß haben“, versicherte Neugebauer, der an einer der Leichtathletik-Hochburgen Amerikas, der University of Texas in Austin, mit einem Vollstipendium Wirtschaftswissenschaften studiert. Bei perfekten Bedingungen. Die seien „fast besser als für einen Profi“, sagte Neugebauer, um dessen Hals eine Kette mit dem Kontinent Afrika als Anhänger baumelt. Neugebauer ist in Görlitz geboren und wie Eitel im Landkreis Esslingen aufgewachsen, sein Vater stammt aus Kamerun.
Kaul: „Leo ist mehr so der Entertainer“
Durch seinen Wechsel in die USA im Jahr 2019 ist er der deutschen Sport-Öffentlichkeit nicht allzu bekannt. Noch nicht. In Amerika ist der Modellathlet zu einem Weltklasse-Zehnkämpfer gereift - und hat eine ordentliche Portion Lebensstil mitgenommen. „Leo ist mehr so der Entertainer“, sagte Kaul, der mit einer mitreißenden Aufholjagd bei der EM in München im vorigen Jahr für einen ganz großen Gänsehaut-Moment sorgte.
Die Zehnkämpfer sind neben Speerwerfer Julian Weber die aussichtsreichsten Medaillenhoffnungen für den Deutschen Leichtathletik-Verband. Der ist nach sechs von neun Wettkampftagen und dem fünften Rang von Geher Christopher Linke am Donnerstag in deutscher Rekordzeit über 35 Kilometer weiter ohne Edelmetall.
„Wenn sich Leo Neugebauer hinstellt und sagt, er ist der Weltbeste, „ich gewinne Gold“, und er gewinnt Gold, dann ziehe ich da so was von den Hut“, sagte Teamkapitän Linke. „Er wird sich aber nicht hinstellen. Er wird sagen, er will eine Topleistung bringen und er will vielleicht eine Medaille gewinnen. Man muss seine Ziele immer realistisch setzen.“
So in etwa macht das Neugebauer, dem die Eltern wegen des zwischenzeitlich verschwundenen Koffers noch ein Set Spikes mit nach Ungarn brachten. Für jede Disziplin braucht er ein extra Paar. „Mein Hauptziel ist einfach zu zeigen, dass der Rekord kein Versehen war, und zu zeigen, dass ich es drauf habe“, sagte der Achte der Allzeit-Bestenliste. „Ich weiß, dass das definitiv nochmal so in die Richtung gehen kann.“ Im Teamhotel, in dem sich auch andere Nationen tummeln, sauge er „richtig Energie“ auf. Etwa, wenn man auf den Gängen einfach mal so Stabhochsprung-Superstar Armand „Mondo“ Duplantis aus Schweden trifft.
Franzose Kevin Mayer ist angeschlagen
Zehnkampf-Bundestrainer Christopher Hallmann ist vor der größten deutschen Titelchance in Ungarns Hauptstadt zuversichtlich. „Wir haben eine Konstellation, wie wir sie noch nie hatten mit Leo, Niklas und Manuel“, sagte er. Das bekam Neugebauer im Gespräch mit dem Amerikaner Trey Hardee, Weltmeister von 2009 und 2011, auch explizit vor Augen geführt. „Er hat gesagt, dass es ein bisschen wie Deutschland gegen Amerika wird“, sagte Neugebauer. Zumal der französische Weltrekordler und Weltmeister Kevin Mayer angeschlagen ist.
„Ich finde es wahnsinnig schön, dass wir mit so einem guten Team dastehen. Es macht besonders viel Spaß, wenn man weiß, da sind noch zwei andere Deutsche, die einem so ein bisschen im Nacken sitzen“, sagte Kaul, „und die einen in den Momenten, die auf jeden Fall kommen, in denen man etwas müde und platt ist oder sagt, jetzt habe ich eigentlich gerade nicht mehr so Bock, da rausholen.“