Fans oder Fanatismus? Fans im Spitzensport: Was, wenn die Liebe zu weit geht?
Ohne Fan kein Ruhm: Begeisterte Anhänger von Stars und Vereinen sind im Spitzensport nicht wegzudenken. Doch nicht jedes Fan-Verhalten ist normal - und kann für Athleten ernsthafte Folgen haben.
Berlin - Hier ein Autogramm, da ein Selfie, vielleicht ein kurzer Handschlag: Egal, wo die Fußball-Nationalmannschaft auftaucht, Stars wie Jamal Musiala oder Florian Wirtz können meist kaum einen Schritt gehen, ohne auf ihre Fans zu treffen. Mitunter stundenlang warten die Anhänger, um am Teamhotel oder an der Einfahrt zum Trainingsgelände ihre Idole treffen zu können. Begleitet werden die Spieler jedes Mal kaum sichtbar von Sicherheitspersonal.
Der Kontakt zu Fans ist für Spitzensportler so normal wie das tägliche Training. Doch nicht immer verläuft diese Annäherung reibungslos. Manchmal überschreiten Fans Grenzen, ignorieren die Privatsphäre der Stars. So etwa im Oktober vor der Nations-League-Partie gegen die Niederlande (1:0): Ein Foto- und Autogrammjäger quartierte sich im DFB-Hotel ein, wie die „Bild“-Zeitung berichtete, und suchte den Kontakt. Zu viel der Nähe.
„Als Profi und Bekannter bin ich kein normaler deutscher Bürger“, erklärt der Sportpsychologe Jürgen Walter das Dasein vieler Spitzensportlerinnen und Spitzensportler im Gespräch der Deutschen Presse-Agentur. Und letztendlich sei auch „ein Star nur ein Star, wenn er Fans hat“, sagt der Fan-Experte und Psychologe Martin Huppert. Doch wann ist Fan-Liebe noch in Ordnung - und wann wird sie zum Problem?
Von der Idealisierung zur Grenzüberschreitung
Gesund ist ein Fan-Verhalten laut Huppert dann, „wenn ich dadurch sozial vernetzt bin, wenn es mir vielleicht auch Halt oder Stärke gibt“. Wir alle seien von etwas Fan und die deutliche Mehrheit hätte das auch im Griff. Zu einem Problem werde es mitunter dann, „wenn ich versuche, eine Nähe herzustellen, die die andere Person nicht möchte“, erklärt der Psychologe Wolf Ortiz-Müller von der Beratungsstelle Stop-Stalking. Im Ernstfall gerate das Interesse außer Kontrolle und werde zu einer Obsession, sagt Huppert.
Dass die vermeintliche Fan-Liebe zu einem Sport-Star eskalieren kann, zeigen auch vergangene Fälle. Ex-Biathlon-Star Magdalena Neuner hatte während ihrer aktiven Karriere mehrfach mit Stalking und Morddrohungen zu kämpfen. Immer wieder sprach die Olympiasiegerin in Interviews über die Schattenseiten ihrer Popularität.
Der wohl bekannteste Fall ereignete sich 1993: Ein fanatischer Steffi-Graf-Fan rammte der Tennisspielerin Monica Seles in Hamburg ein Messer in den Rücken. Das Attentat veränderte die Tennis-Welt. Sicherheitsvorkehrungen wurden verschärft, heute sind Ordner hinter den Bänken Standard. Äußern will sich die neunmalige Grand-Slam-Turniersiegerin zu dem Fall nicht mehr. Bis heute blieb der Vorfall beispiellos.
„Anzügliche Mails oder Briefe“
Und wie sieht es aktuell aus? Ein Blick auf die Verbände zeigt: Zumindest Stalking und übergriffiges Verhalten scheint kein akutes Thema zu sein. „Hierzu liegen uns keine validen Zahlen vor“, heißt es etwa vom Deutschen Fußball-Bund (DFB) auf Anfrage. Im Wintersport gebe es gelegentlich „anzügliche Mails oder Briefe“, besonders an Athletinnen, erklärt Stefan Schwarzbach vom Deutschen Skiverband (DSV). Stalking sei bereits vorgekommen, aber „sehr selten und nur in Einzelfällen“.
Diesen Eindruck bestätigt auch Benjamin Reister vom Deutschen Tennis Bund (DTB). Für Nachwuchsathleten biete der DTB Schulungen an, sowohl zu Hass im Netz, als auch zum Umgang mit Popularität. Dabei gehe es darum, „eine Aufmerksamkeit zu schaffen, was soziale Medien bedeuten, was eine Öffentlichkeit bedeutet“.
In den letzten Jahren habe sich die Beziehung zwischen Fan und Sportler verändert, meint Sportpsychologe Walter. „Meine Beobachtung ist, dass sich die Sportler mehr zurückziehen, weil ihnen schon eine gewisse Gefahr bewusst ist. Wenn sie zu sehr in der Menge baden, sich zu sehr zeigen und vielleicht auch Beziehungen zu Fans aufnehmen, kann das nach hinten losgehen.“
Auch soziale Medien ändern die Wahrnehmung von Spitzensportlern. Viele werden nahbarer, teilen private Inhalte - wovor Walter warnt. „Social-Media-Kanäle muss ich als Sportler bedienen, keine Frage. Ich würde allerdings stark davon abraten, zu persönlich zu werden“, meint der Sportpsychologe. Denn dadurch mache man sich verletzlicher, „man weckt mitunter Bedürfnisse bei Leuten, dass die noch mehr Privates wissen wollen“.
Psychologe: Rampenlicht ist „zerbrechliche Ware“
Den Experten zufolge ist das Wohlwollen der Fans fragil - besonders, wenn die Leistung nicht stimmt. „Das ist ja gar nicht in, dass Sportler auch mal schlecht sind, mal Fehler machen oder in einer Formkrise sind. Das macht der Fan oft nicht mit, weil er sich mit dem Spieler, mit dem Verein identifiziert“, sagt Walter. „Die Leistung im Sport und das Rampenlicht sind eine unglaublich zerbrechliche Ware.“
Oft komme es - gerade in sozialen Medien - zu Hass, wie auch die Verbände betonen. Laut DFB sind Hasskommentare gegen Spielerinnen und Spieler „leider immer verbreiteter“. Das bestätigt auch Michael Schirp vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB). Häufig gebe es Beleidigungen, Bedrohungen, Rassismus und Sexismus, im schlimmsten Fall sogar Morddrohungen. „Und manchmal wird mit Hass einfach nur deshalb reagiert, weil jemand in einem Wettbewerb ausscheidet oder nicht die gewohnte Leistung bringt.“
Walter empfiehlt seinen Klienten, die Nachrichten und Kommentare auf ihren Social-Media-Kanälen filtern zu lassen. „Da muss ich jemanden haben der das für mich liest, der das ein bisschen filtert und mir dann wiedergibt, was wichtig ist.“ Als Spitzensportler müsse man sich damit beschäftigen, wie man mit Ruhm umgeht. „Das kann ich nicht von heute auf morgen mal eben so machen. Daran muss ich arbeiten, genauso wie an bestimmten sportlichen Techniken.“ Im Spitzensport werde das nach wie vor unterschätzt.