Ex-Patriots-Spieler Sebastian Vollmer Sebastian Vollmer: "Für mich ist Tom Brady ein ganz normaler Typ"

Die erste Frage stellt sich ja im Grunde von selbst. Wie geht denn der Superbowl am Sonntag aus?
Also ich persönlich tippe auf einen Sieg der Patriots, gehe aber davon aus, dass es ein knappes Spiel wird. Viele Experten sehen die Philadelphia Eagles natürlich als Außenseiter, aber ich glaube schon, dass sie den Patriots sehr gefährlich werden können und es am Ende auf ein, zwei Spielzüge drauf ankommt – quasi wird entscheidend sein, wer weniger Fehler macht. Allerdings habe ich zu Beginn der Saison schon auf die Patriots getippt, und das ziehe ich jetzt durch.
Wie könnte es den Eagles denn gelingen, den großen Favoriten um Quarterback Tom Brady doch zu packen?
Es wird vieles von der Defensive Philadelphias abhängen. Sie müssen Tom Brady früh, schnell und häufig umhauen, also hitten. Wenn sie früh an ihn rankommen, dann ist Tom traditionell nicht so gut, er kann mit dem Druck der Verteidigung nur schwer umgehen. Das könnte der Schlüssel sein.
Sebastian Vollmer wurde am 10. Juli 1984 in Düsseldorf geboren. Ein Jahr nach seinem Abitur erhielt er 2004 ein Footballstipendium an der University of Houston und spielte dort auf verschiedenen Positionen für die Houston Cougars.
Zu den New England Patriots kam Vollmer 2009, als er beim NFL Draft – dort werden Nachwuchsspieler an die Profiteams verteilt – als 58. Spieler ausgewählt wurde. Bis 2016 absolvierte Vollmer 88 Spiele, stand dreimal im Superbowl und gewann ihn zweimal – wobei er im letztjährigen Finale verletzungsbedingt fehlte. (mig)
Auf der anderen Seite wird Nick Foles stehen, ein Backup-Quarterback, der lediglich spielt, weil der äußerst talentierte Carson Wentz schwer verletzt ist. Was traust Du ihm zu?
Er hat immerhin das beste Quarterback-Rating (statistischer Wert der Passfähigkeiten; Anm. d. Red.) in den Playoffs. Es geht darum, dass er wieder so ein Spiel abliefert wie beim 38:7 gegen die Minnesota Vikings im Championship Game (dem Halbfinale; Anm. d. Red.). Mit einem schlechten Spiel wird es natürlich schwierig.
Für die Patriots ist es die dritte Superbowl-Teilnahme in den letzten vier Jahren, seit 2002 haben sie den Titel fünf Mal geholt. Was macht die Stärke dieses Teams aus?
Es ist schon bemerkenswert, was diese Organisation in den letzten Jahren erreicht hat. Eigentlich ist die NFL ja gerade darauf ausgelegt, alle Teams möglich gleich gut zu halten. Das schlechteste Team darf sich im Draft Pick zum Beispiel den besten Nachwuchsspieler aussuchen und wird auch sonst unterstützt. Da so eine Dominanz über so viele Jahre aufzubauen, dürfte eigentlich gar nicht passieren. Es hat natürlich viel mit Headcoach Bill Belichick und Tom Brady zu tun. Aber es hat auch viel damit zu tun, wie die Spieler trainieren.
Der Kick-off für den 52. Superbowl zwischen den New England Patriots und den Philadelphia Eagles findet am Sonntag, 4. Februar, um 17.30 Uhr Ortszeit (5. Februar, 0.30 Uhr MESZ) im U.S. Bank Stadium in Minneapolis im Bundesstaat Minnesota statt. An den Fernsehbildschirmen werden weltweit voraussichtlich 800 Millionen Menschen zuschauen. In der Halbzeit-Show tritt Justin Timberlake auf, die US-amerikanische Nationalhymne vor dem Spiel wird die Sängerin Pink singen. Einen 30-sekundigen Werbeclip während des Spiels lassen sich die Unternehmen bis zu fünf Millionen Dollar kosten.
Im deutschen Free-TV ist der Superbowl bei „ran“ auf ProSieben zu sehen. Die Übertragung mit Sebastian Vollmer als Experten beginnt um 22.50 Uhr. (mig)
Was heißt das konkret?
Das Team hat letztes Jahr den Superbowl gewonnen, ruht sich darauf aber nicht aus. Man feiert natürlich ein bisschen, aber dann fängt es wieder von vorne an. Und zwar von ganz vorne. Man startet komplett mit den Basics, also mit Dingen, die im Grunde jeder Spieler weiß. Aber sollte nur einer es nicht wissen, kann das während der Saison zum Problem werden. Deswegen trainiert man sich von Grundbaustein zu Grundbaustein. So ist es zumindest bei den Patriots. Und ich als Spieler empfand das immer als etwas Besonderes.
Deine Rolle als Offensive Tackle war, den Quarterback Deines Teams zu schützen, in diesem Fall also Tom Brady. Er musste Dir blind vertrauen. Entwickelt sich aus einem solch professionellen Verhältnis dann auch ein privates?
Ja, definitiv. Tom und ich sind gut befreundet, telefonieren häufig oder gehen Kaffee trinken. Wenn man solange miteinander spielt und es zwischenmenschlich passt, bauen sich natürlich Freundschaften auf. Schließlich habe ich mit Tom während der einzelnen Spielzeiten mehr Zeit verbracht als mit meiner Frau. Das heißt aber nicht, dass man mit jedem aus dem Team – das sind immerhin rund 60 Spieler – beste Freunde ist. Man kennt jeden. Aber das ist im Grunde wie mit Arbeitskollegen, mit manchen kann man besser als mit anderen. Und es ist absolut unabhängig davon, welche Position man spielt.
Tom Brady gilt als einer der Sport-Superstars überhaupt. Wie kann man ihn sich abseits des Platzes vorstellen?
Man hört immer von der Faszination Tom Brady. Für mich ist er ein ganz normaler Typ, der ein relativ normales Leben führt. Natürlich hat er einen anderen Standard als ein Normalbürger. Aber er ist Vater, er ist Ehemann, er ist Freund, er ist Bruder, er ist Sohn. Diese ganzen Rollen, die er hat, füllt er ganz normal aus wie du und ich auch. Wenn man ihn näher kennt, ist er ein super Typ – aber auch nicht besser oder schlechter als andere gute Freunde von mir.
Auf dem Feld ist er dann aber schon besonders, oder?
Klar. Er ist 40 Jahre alt, hat alles gewonnen und ist einfach der Beste, der auf dieser Position je gespielt hat. Tom ist unglaublich ehrgeizig, aber das muss man auch sein, wenn man so gut spielen möchte wie er. Was man da auf dem Feld sieht, seine Emotionalität, die ist auch nicht vorgetäuscht. Er will jedes Spiel gewinnen.
Der Superbowl ist eines der größten Sportereignisse des Planeten. Du durftest das mehrfach als Spieler erleben. Wie ist das, wenn man morgens aufsteht und weiß: „Hey, heute Abend spiele ich im Superbowl!“
Ich persönlich bin das Ganze eigentlich wie ein normales Spiel angegangen und habe mich nicht unbedingt anders gefühlt. Die tägliche Routine blieb irgendwie. Klar, man schläft im Hotel, trainiert in einer anderen Halle und so. Aber wie lange man schläft, mit wem man spricht, das bleibt eigentlich alles gleich. Es gibt natürlich auch Kollegen, die haben in der Nacht vorher Schwierigkeiten zu schlafen. Ich habe das Alles eher im Nachhinein realisiert. Dann kommen heftige Emotionen. Egal, ob du gewinnst oder verlierst. Nach dem Spiel ist vieles nicht mehr so wie vorher.
Was zum Beispiel?
Naja, die Saison ist dann vorbei und von den mehr als 50 Mitspielern siehst du höchstens 20 bis 30 beim nächsten Training wieder. Gute Freunde, mit denen du jahrelang zusammengespielt hast, gehen in Rente oder wechseln das Team. Und dann realisiert man: So wie jetzt wird es nicht noch mal sein.
Wie läuft ein Superbowl-Tag als Spieler ab?
Man macht nicht viel. Was man bis dahin nicht gelernt hat, bekommt dann man auch nicht mehr rein in den Kopf. Es ist eigentlich relativ relaxed. Wenn es ein Abendspiel ist, gibt es Frühstück von 6 bis 9 Uhr. Jeder kann sich das nach seinen Schlafgewohnheiten legen. Ich stehe meistens gegen fünf Uhr auf, war also eher früh dran. Dann hat man ein Meeting und legt sich mittags noch mal drei, vier Stunden hin, damit der Körper sich ausruhen kann. Anschließend geht’s in den Bus und man fährt ins Stadion. Wenn man einmal in der Umkleidekabine ist, geht es relativ schnell. Es dauert ja schon alleine eine halbe Stunde bis man die ganze Ausrüstung angezogen hat. Warmmachen, tapen. Da fliegt die Zeit.
Aber draußen in der Welt drehen doch alle aus Vorfreude durch, und das nicht erst am Tag selbst, sondern schon Wochen vorher. Lässt das einen als Spieler völlig kalt?
Man kann sich da schon reinsteigern. Am Spielort gibt es ja dann immer die Superbowl-Experience, also ein Event, wo man Achterbahn fahren und sonst noch was machen kann. Für mich war das aber nichts. Ich habe das Drumherum nie so an mich herangelassen, der Fernseher blieb in dieser Zeit zum Beispiel auch aus. Natürlich kann man es nicht total aus seinem Leben ausschließen. Alle Zeitungen sind voll davon und manche prognostizieren dir, dass du das Ding verlierst oder haushoch gewinnst. Dann denkst du natürlich: Woher willst du das denn wissen? Man kann es nicht ganz vermeiden, damit konfrontiert zu werden. Ich habe es aber immer ganz gut geschafft, einen klaren Kopf zu behalten.
Du bist beim diesjährigen Superbowl als Experte für „ran“ im Einsatz. Wie erlebst Du den Hype, der in Deutschland zunehmend um die NFL gemacht wird?
Ich war für die „ran“-Übertragungen ein paar Mal in Deutschland und auch bei den Spielen in London. Bei einem Treffen dort konnte ich mich kaum noch bewegen, so viele deutsche Fans waren da. Ich habe knapp 20 Jahre Football gespielt und während meiner Anfänge waren vielleicht 100 Leute auf der Tribüne – größtenteils Familie und Freunde der Spieler. Das Phänomen Football wächst derzeit in Deutschland tatsächlich enorm.
Und bekommt man das auch in den USA mit?
Absolut. Ich arbeite eng mit der NFL zusammen, bin quasi eine Art Botschafter der Liga. Und die Verantwortlichen sagen, dass Deutschland zu den am stärksten wachsenden Märkten gehört. Die Zuwächse sind dramatisch. Das wird hier als riesiges Potenzial wahrgenommen, das die NFL natürlich nutzen will.
Du hast in der vergangenen Saison Deinen Rücktritt bekanntgegeben, unter anderem weil du mit schweren Verletzungen zu kämpfen hattest. Auch in dieser Saison haben sich zahlreiche Stars schwer verletzt. Carson Wentz, Aaron Rodgers, Ryan Shazier oder Eric Berry – um nur einige zu nennen. Nehmen üble Verletzungen zu?
Die offiziellen NFL-Statistiken sagen, es hat sich nicht viel verändert. Als Spieler fühlt es sich schon so an, dass es mehr wird mit schlimmen Verletzungen. Wenn man sich die letzten Jahrzehnte anschaut, haben sich die Voraussetzungen aber auch verändert. Auf meiner Position waren die Spieler damals rund 100 Kilogramm schwer. Ich hatte zu meiner aktiven Zeit 145 oder auch 150 Kilo. Man ist aber trotzdem genauso schnell und genauso stark. Die Massen, die da aufeinander treffen, sind einfach immens. Der Verschleiß ist hoch, es gibt viele Entzündungen, beispielsweise an der Achillessehne. Über Monate tut es weh, und auf einmal reißt sie halt durch. Das passiert inzwischen relativ häufig. Mit solchen Verletzungen ist die Saison dann natürlich vorbei, wenn nicht sogar die Karriere. Aber das sind Entscheidungen, die jeder Spieler für sich selbst treffen muss. Wer da mit einer rosaroten Brille durchgeht, wird sich irgendwann wundern.
Und wie geht’s Dir jetzt körperlich?
Gut. Ich hatte wie gesagt rund 145 Kilogramm, als ich aufgehört habe. Inzwischen habe ich dank Trainings- und Ernährungsumstellung 35 Kilo verloren. Viele Dinge mache ich jetzt nicht mehr. Bankdrücken habe ich früher täglich gemacht, jetzt gar nicht mehr. Bringt mir schließlich nichts, ein paar hundert Kilo zu stemmen, außer vielleicht, dass ich es stolz meiner Frau erzählen könnte, die dann sagt: „Ja, schön!“ Der Trainingsschwerpunkt liegt jetzt woanders.
Juckt es manchmal noch, wenn Du die Spiele siehst?
Jein. Klar, wenn ich jetzt beim Superbowl sitze und die Nationalhymne höre, dann merke ich richtig, wie mein Körper Adrenalin ausschüttet und sagt: „Okay, jetzt geht’s los.“ Ich bin dann ein bisschen aufgedreht und zappele etwas. Aber dann setze ich die Kopfhörer auf und spreche halt ins Mikro, anstatt meinem Gegner auf die Rübe zu hauen. Mit meiner Entscheidung aufzuhören, bin ich absolut im Reinen.
Das Gespräch führte Michael Greuel