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Schadenersatzprozess Schadenersatzprozess: Gericht lässt Klage von Claudia Pechstein zu

15.01.2015, 08:16
Eisschnellläuferin Claudia Pechstein
Eisschnellläuferin Claudia Pechstein dpa Lizenz

München - Für Claudia Pechstein war es ein Feiertag. Das Oberlandesgericht München nahm am Donnerstag die Schadenersatzklage der fünfmaligen Eisschnelllauf-Olympiasiegerin gegen den Eislauf-Weltverband ISU an. Das Gericht erklärte die 2009 getroffene Schiedsvereinbarung Pechsteins mit der ISU für unwirksam und erkennt die Entscheidung des Internationalen Sportgerichtshofes CAS zu ihrer Sperre nicht an.

„Es ist ein großer Tag für mich. Dieser Sieg ist mehr wert als alle meine Olympia-Medaillen zusammen“, sagte die 42 Jahre alte Hauptstädterin strahlend. „Wir haben einen Sieg errungen, der Sportrechtsgeschichte schreibt. Der CAS muss jetzt grundlegend reformiert werden“, erklärte ihr Münchner Anwalt Thomas Summerer.

Der CAS war am 25. November 2009 dem Urteil des Weltverbandes ISU gefolgt und hatte die Zwei-Jahres-Sperre Pechsteins wegen schwankender Retikulozyten-Blutwerte ohne Doping-Beweis bestätigt. Pechstein hat Doping stets bestritten und führt eine geerbte Blutanomalie als Grund für ihre schwankenden Werte an, die bis in die heutige Zeit weiter registriert, aber nicht mehr bestraft werden. In dem Münchner Schadenersatzprozess hat die Berlinerin die ISU daher auf 4,4 Millionen Euro für erlittenes Unrecht erklagt.

Pechstein tritt zum zweiten Wettkampftag bei den Mehrkampf-Weltmeisterschaften in Hamar nicht mehr an. Als Grund gibt sie einen fiebrigen Infekt an. Tatsächlich haben sie ISU-Verantwortliche in der Nacht über auffällige Retikulozyten-Werte informiert.

Fünf Monate nach der WM und wenige Tage nach einer geheimen Anhörung in Bern sperrt die Internationale Eislauf-Union ISU Pechstein wegen auffälliger Blutwerte, aber ohne positiven Dopingbefund. Ihr Anwalt Simon Bergmann kündigt an, beim Internationalen Sportgerichtshof CAS gegen diese bisher einmalige Sperre vorzugehen.

Pechstein bestreitet in einem Medien-Marathon Doping.

Bergmann legt beim CAS Berufung gegen die Sperre ein.

Auf einer Pressekonferenz präsentiert Pechstein ihre Verteidigungsstrategie. Sie wirft der ISU vertauschte Proben und Verfahrensfehler vor.

Der CAS veröffentlicht sein Urteil. Pechsteins Sperre durch die ISU wird bestätigt.

Pechsteins Anwälte stellen Eilantrag beim Schweizer Bundesgericht, um einen Start beim Weltcup in Salt Lake City zu erwirken. Das Gericht nimmt den Eilantrag an. Pechstein darf 309 Tage nach Verhängung ihrer Sperre wieder starten.

Das Schweizer Bundesgericht lehnt einen Eilantrag Pechsteins ab und verhindert ihren sechsten Olympia-Start bei den Winterspielen in Vancouver.

Das Bundesgericht lehnt nach Prüfung des CAS-Urteils auf formale Fehler die Pechstein-Beschwerde ab.

Die Sportlerin zieht vor das Ad-hoc-Gericht des CAS und will damit ihren Start bei den olympischen Team-Wettbewerben in Vancouver erzwingen. Zudem erstellt sie Strafanzeige gegen die ISU.

Das Ad-hoc-Gericht des CAS lehnt Pechsteins Antrag ab.

Ermittler des Bundeskriminalamts durchsuchen das Haus von Pechstein. So sollen potenzielle Hintermänner im Dopingfall Pechstein ermittelt werden. Insgesamt werden 21 Durchsuchungen vorgenommen.

Führende Blut-Experten legen neue Erkenntnisse vor, die Pechstein entlasten sollen. Demnach ist eine vererbte Anomalie für die auffälligen Blutwerte verantwortlich.

Die ISU widerspricht Pechsteins Argumentation von einer angeborenen Blut-Anomalie.

Pechstein darf Beamtin auf Lebenszeit bei der Bundespolizei bleiben. Das zuvor eingeleitete Disziplinarverfahren wird eingestellt.

Pechsteins Management bestätigt, dass die Athletin einen Nervenzusammenbruch erlitten hat und sich in psychologische Behandlung begeben musste.

Das Schweizer Bundesgericht teilt mit, dass Pechsteins Revisionsantrag gegen das CAS-Urteil abgelehnt ist und bestätigt damit die Dopingsperre.

Der Münchner Professor Stefan Eber legt als Spezialist für vererbte Blutanomalien öffentlich seinen Befund vor, wonach Pechsteins Blutwerte auf eine vom Vater geerbte Anomalie und nicht auf Doping zurückzuführen sind.

Vier Tage nach Ablauf ihrer Sperre wird Pechstein für ihr gelungenes Comeback vom Erfurter Publikum gefeiert.

Bei der WM in Inzell erkämpft sie Bronzemedaillen über 5000 Meter und im Teamrennen.

Wegen weiterhin überhöhter Blutwerte erstattet Pechstein Selbstanzeige. Sie will die ISU zwingen, einen Fehler einzugestehen.

Pechstein kündigt erstmals eine Schadenersatzklage gegen die ISU an.

Auch bei der WM 2012 erkämpft die Berlinerin über 5000 Meter eine Bronzemedaille.

Pechsteins Anwälte reichen fristgerecht Klage gegen ISU und DESG ein.

Pechstein beklagt sich, dass sie seit Ablauf ihrer Sperre 105 Doping-Kontrollen über sich ergehen lassen musste.

In Sotschi holt Pechstein über 3000 und 5000 Meter jeweils mit Bronze die einzigen WM-Medaillen für das deutsche Team.

Das Landgericht München I bestätigt den 25. September 2013 als Termin für die Verhandlung.

In Sotschi verpasst Pechstein mit 41 Jahren über 3000 und 5000 Meter als Vierte und Fünfte knapp die angestrebte zehnte Medaille bei ihren sechsten Olympischen Winterspielen.

Im Prozess vor dem Landgericht München I erhält Pechstein keinen Cent Schadenersatz. Doch erklärt das Gericht die unter Zwang geschlossenen Schiedsvereinbarungen für unwirksam.

Das Oberlandesgericht München äußert deutliche Zweifel an der Wirksamkeit der Sportgerichtsbarkeit und deutet an, dass die Klage von Pechstein am 15. Januar angenommen werden könnte.

Das OLG München nimmt die Klage Pechsteins an. Damit entscheidet erstmals ein ordentliches Gericht über einen Fall, für den bisher ausschließlich die Sportgerichtsbarkeit zuständig war. Es erklärt die Schiedsvereinbarung Pechsteins und das CAS-Urteil in ihrem Fall für unzulässig.

Pechstein spielte mit Selbstmordgedanken

„Die ISU-Betrüger haben mir alles genommen. Aber es ist jetzt nicht zu Ende. Mich freut es, dass die ISU jetzt handeln und Beweise auf den Tisch legen muss“, meinte Pechstein. Nach dem Urteil schilderte sie nochmals, in welch schwierige persönliche Situation sie der Weltverband mit seiner Sperre gebracht hatte. Sogar mit Selbstmord-Gedanken habe sie sich geplagt.

Die ISU geht nach der Niederlage in Revision vor dem Bundesgerichtshof (BGH). Das bestätigte ISU-Anwalt Christian Keidel. „Wir halten das Urteil nach wie vor für falsch“, bekräftigte Keidel. Er erklärte, es habe den Anschein, dass er vor dem Gericht mehr den Sportgerichtshof CAS als den Eislauf-Weltverband verteidigen musste.

Das Oberlandesgericht kippte damit die Entscheidung des Landgerichts München I, dass der Spruch des CAS anerkannt werden müsse. Die deutschen Gerichte seien daher in der Frage des Schadenersatzes nicht mehr an das CAS-Urteil gebunden, hieß es in der Begründung des OLG. Die Schiedsvereinbarung Pechsteins sei unwirksam, weil sie gegen „zwingendes Kartellrecht“ verstoße.

„Das ist eine epochale Entscheidung: Noch nie hat sich ein ordentliches Gericht auf diese Weise mit einem Dopingfall beschäftigt. Das Urteil eröffnet jetzt alle Möglichkeiten, auch die Frage, ob Claudia gedopt hat oder nicht, völlig neu aufzurollen“, erläuterte Pechsteins Berliner Anwalt Simon Bergmann, der sie seit der ersten juristischen Instanz betreut.

Große Tragweiter für Sportgerichtsbarkeit

Das Pechstein-Urteil kann somit von großer Tragweite für die deutsche und internationale Sportgerichtsbarkeit sein. Sollte der BGH dem Urteil des OLG folgen, würden künftig Sportler ein Wahlrecht zwischen Sportgerichtsbarkeit und ordentlichen Gerichten erhalten.

Erst nach dem BGH-Urteil wird vor dem Oberlandesgericht über die finanziellen Forderungen von Pechstein verhandelt. Die ISU müsste dann der Athletin Doping nachweisen. Vor den Sportgerichten hatte sie bisher ihre Unschuld beweisen müssen und war damit gescheitert. (dpa)