RBL-Anheizer RBL-Anheizer: Tim Thoelke zwischen Comedy-Tribunal und Red Bull Arena

Leipzig - Ingolf Lück ringt nach Worten. Er ist sprachlos - und das ist ein Adjektiv, das sicher nicht oft auf den Comedy-Star und ehemaligen Wochenshow-Moderator zutrifft. Doch die zweieinhalb Stunden auf der Bühne des Kupfersaals in Leipzig haben dem Entertainer die Worte geklaut.
Lück, der seit Mitte der 80er Jahre im Unterhaltungsgeschäft dabei ist, ist begeistert und wirkt fast gerührt als er seine Sprache wiederfindet und ins Mikrofon sagt: „Ich bin im Moment sehr stolz, als etwas älterer, dass wir so fantastischen Nachwuchs haben.“
Tim Thoelke führt das Comedy-Tribunal an
Lücks Worte sind umso bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass der 59-Jährige in den Stunden zuvor unter verbalem Dauerbeschuss stand. Er wurde von sechs Laudatoren beschimpft, beleidigt und lächerlich gemacht. Angeführt wurde das Comedy-Tribunal von Tim Thoelke. Der 45-Jährige ist Discjockey, Moderator und Entertainer. Eine Leipziger Szene-Größe, die einem breiteren Publikum vor allem als Einheizer bei RB Leipzig bekannt ist. Thoelke ist Stadionsprecher des Fußball-Bundesligisten. Seine Bühne ist die Arena in Leipzig. Auf den Rängen sitzen dort bei Spieltagen 40.000 Menschen.
Im ausverkauften Kupfersaal ist es nur ein Bruchteil davon. Etwa 200 Zuschauer folgen dem Wort-Martyrium von Ingolf Lück: „Du bist der Inbegriff des abgehalfterten Comedy-Stars“ - „Inkontinenz und Prominenz - das hast du wohl beides“ oder einfach nur: „Wer zur Hölle ist Ingolf Lück?“ - das sind noch die harmloseren Sprüche, die sich der Ex-Moderator der TV-Hitparade „Formel 1“ anhören muss.
Roast Show: Verbales Promi-Prügeln mit Tim Thoelke
Die Schimpf-Tiraden sind Teil einer Show, der „Comedy Roast Show“. Deren Ziel ist es, dass mehrere Redner einen Abend lang auf einen prominenten Gast mit Witz und einiger Härte einhauen - wobei nur Worte als Waffen erlaubt sind. Das Format gibt es seit Jahrzehnten in den USA. In Leipzig erlebt es eine furiose Fortführung. Denn die Show der Beleidigungen gehört zweifelsohne zu den derzeit geistreichsten Comedy-Veranstaltungen, die es in Deutschland gibt.
In die Messestadt geholt hat das verbale Promi-Prügeln Tim Thoelke. Ein Treffen eineinhalb Stunden vor der Roast Show: Thoelke steht im Backstage-Raum mit einer Flasche Mate-Brause in der Hand. Er trägt Anzug - sein Markenzeichen. Seine Haare sind zurückgegelt - auch ein Markenzeichen. Wie bringt man jemanden dazu, sich einen Abend lang beschimpfen zu lassen? „Indem man beim ersten Mal einfach einen guten Freund fragt, der auch einen derben Humor hat und das dann aufzeichnet“, erzählt Thoelke. Mit dem Video habe er die ersten Prominenten überzeugt.
„Die haben gesehen, dass das eigentlich ein total lustiges Format ist.“
Die Comedy Roast Show gibt es seit 2014 in Leipzig. Künftig soll sie zwei Mal im Jahr stattfinden. Eines der ersten Opfer von Thoelkes Prügelknaben war Prinzen-Sänger Sebastian Krumbiegel. Und auch Handballer Stefan Kretzschmar wurde bereits verbal zurechtgestutzt. „Kretzsche hat das zum Beispiel als Herausforderung für sich selbst gesehen“, erzählt Thoelke. „Aber die Leute, die sich bei uns auf den Thron setzen, wissen schon genau, worauf sie sich einlassen.“
Tim Thoelke schätzt die Möglichkeiten in Leipzig
Der „Thron“ ist in Lücks Fall ein alter Sessel mit Velour-Bezug, der auf einem kleinen Podest steht. Von dort oben muss der in Bielefeld geborene Komödiant einiges ertragen. Seine Anti-Laudatoren kommen aus der Comedy- und Poetry-Slam-Szene - sie sind also vom Fach. Ihr Spott-Spektrum reicht von flachem Witz („Dich zu beleidigen ist wie bei einem Messi aufzuräumen - man weiß nicht, wo man anfangen soll) über zotige Bemerkungen („Ingolf klingt fast so wie der Ort, an dem Du gezeugt wurdest: im Golf) bis hin zu poetischen Versen („Wärst du eine Microsoft-Ware, ja das ist klar/ dann wärst Du ganz sicher Windows Vista“).
Dem Publikum im ausverkauften Kupfersaal entlocken solche Tiraden Jubel und Jauchzer. Es ist eine Mischung aus Schadenfreude und der Lust am fies sein, die dabei durchbricht. Aber auch die Erkenntnis, dass jeder Mensch Seiten hat, über die es sich zu lachen lohnt.
Für Tim Thoelke war die Roast Show zu Beginn nur ein Experiment. Eine dieser Möglichkeiten, die er an Leipzig so schätzt. Seit 2002 lebt er in der Stadt. „Damals bin ich aus Hannover hergezogen“, erzählt Thoelke. In seiner niedersächsischen Heimat kam er mit seinem Anglistik- und Soziologie-Studium nicht mehr voran. In Leipzig bot sich ihm die Möglichkeit im Club eines Freundes anzufangen. „Ich konnte dort so ziemlich alles machen, was mir einfiel.“ Das sei natürlich verlockend gewesen und den Schritt nach Leipzig habe er auch bis heute nicht bereut. „Das war vielleicht die beste Entscheidung meines Lebens.“
Thoelkes erster Auftritt bei RB Leipzig wird zum Desaster
Zur bewussten Entscheidung für Leipzig kommt 2011 noch der Zufall hinzu. Ein Verantwortlicher von RB Leipzig meldet sich bei ihm. „Die hatten wahrscheinlich irgendetwas von mir gesehen und fanden das gut“, sagt Thoelke. Er soll Stadionsprecher werden. Doch: Fußball, vierte Liga - ganz neues Terrain. „Berührungsängste hatte ich bei RB eigentlich nicht“, sagt Thoelke. „Ich fand das eher spannend.“
Doch gleich der erste Auftritt wird zum Desaster. Als Thoelke seine Moderation vor dem Spiel beginnen will, pfeifen und buhen die Fans. Ein fataler Auftakt. Doch die Emotionen gelten nicht dem neuen Stadionsprecher. „Zur gleichen Zeit kam die gegnerische Mannschaft auf das Feld“, erzählt Thoelke. Gerade in diesem Moment zu beginnen, sei ein Fehler gewesen, den man nur einmal begeht.
Thoelke ist heute als bunter Vogel unter den Stadionsprechern bekannt - nicht nur wegen seiner farbigen Sakkos. Seine Moderationen unterstreicht er immer mit viel Pathos und großem Gestenreichtum. Und am Seitenrand ist er mindestens so viel unterwegs wie die Spieler auf dem Feld.
„Zu Regionalliga-Zeiten war schon mehr möglich“
Doch mit dem rasanten Aufstieg von RB Leipzig in die erste Bundesliga und die internationalen Club-Wettbewerbe hat sich auch Thoelkes Spielraum verkleinert. „Zu Regionalliga-Zeiten war schon mehr möglich“, sagt der 45-Jährige. Gerade in der Champions League werde jede Sekunde von der Uefa durchgeplant. „Wenn ich da was machen will, dann muss ich das vorher beantragen. Und dann kann es auch sein, dass die Nein sagen.“
Es sind zwei sehr unterschiedliche Welten, die Thoelke bespielt. Subkultur trifft bei ihm auf Fankultur. Doch am Ende geht es auf der Kleinkunstbühne wie im Stadion darum, das Publikum zu unterhalten. Und selbst bei Ingolf Lück gelingt das. Nachdem der Pöbel-Trupp mit ihm fertig ist, darf er eine Abschlussrede halten. Darin sagt er: „Ich habe noch selten einen so schönen Abend erlebt wie heute.“
(mz)